Die lange Nacht der kurzen Liste – Serie: Fünf der sechs Finalisten zum Deutschen Buchpreis 2009 stellen sich im Literaturhaus Frankfurt vor (Teil 1/2)

Das Literaturhaus Frankfurt in einer Außenansicht.

Diese lange Nacht der kurzen Liste wird das zweite Mal durchgeführt, was eine logistische Leistung ist, so kurz nach der Bekanntgabe der ausgewählten Sechs einen Abend durchzuführen, zu dem immerhin fünf Schriftsteller kommen können, der Sechste, Rainer Merkel mit „Lichtjahre entfernt“ bei Fischer, weilt in Afrika. Diese Veranstaltung war nicht nur vom Publikumsinteresse her überfüllt – mit Ohnmacht – , sondern bringt tatsächlich mit der Literatur auch die Autoren unter die Leute. Es ist einfach etwas anderes, wenn ich jemanden lesen höre, dann sein Buch kaufe – weit über hundert verkaufte Bücher an diesem Abend – , eventuell es noch signieren lasse, als wenn man in der Zeitung darüber liest. Aus dieser Veranstaltung sollte Tradition werden, dann können sich in Zukunft die Autoren eines eingereichten Romanes den Stichtag zum Literaturhauslesen schon im Kalender ankreuzen und halten diesen frei, wenn sie es erst auf die Lange Liste oder dann auf die Kurze schaffen.

Felicitas von Lovenberg stellt Herta Müller, Autorin von „Atemschaukel“ im Hanser Verlag vor, geboren im deutschen Teil Rumäniens, erzählt von ihrer Ausreise und dem außer Landes geschmuggelten ersten Buch. Sie bringt eine Kürzestfassung des ausgewählten Buches und rühmt die Sprachform. Zwei Jahre habe sie sich mit Oskar Pastior getroffen, wie sie Rumäniendeutscher und außer Landes gegangen, also in eines der beiden damaligen Länder der Muttersprache, erläutert dann Herta Müller sehr sachlich und souverän ihr literarisches Projekt, Pastior habe von Rumänien und vom Arbeitslager erzählt, sie mitgeschrieben. Ja, das wäre ein anderes Buch geworden, wäre Pastior nicht so plötzlich gestorben. Zuvor war sie mit Pastior in der Ukraine gewesen, wo sich das Arbeitslager befand und wo auch ihre eigene Mutter interniert war, die erst später nach Rumänien zurückkam. In der Kindheit wurde in der Familie der Müllers nicht darüber gesprochen, öffentlich schon gar nicht. Anrührend begründet Herta Müller das Nichterzählen auch mit der Mentalität ihrer bäuerlichen Familie: „Bauern sprechen nicht über sich.“

Die Moderatorin fragt nach, ob die noch lebende Mutter heute darüber spreche. Sie verweigere sich nicht, wie auch nicht die übrige Dorfgemeinschaft, aber sie sind das Sprechen nicht gewöhnt, wiederholt die Gefragte. Oskar Pastior hat im Alter das Bedürfnis verspürt, darüber zu reden. Als Pastior kurz vor der Verleihung des Büchnerpreises starb, glaubte Herta Müller, daß damit auch das Buch gestorben sei. Er war ihr bei allen Worten und Bildern gegenwärtig, weshalb sie nicht weiterarbeiten konnte. Aber mit Abstand und dem Wissen, wie wichtig ihm das gewesen wäre, fing sie an, den Roman zu schreiben und solange sie schrieb, blieb er ihr lebendig, obwohl er ja tot war. Ab irgendwann hat sich das Buch von alleine geschrieben, wenn auch im Ton Pastiors. Für die Lesung hat sie das Kapitel „Taschentuch und Mäuse.“ ausgewählt. Eine auch emotional berührende Geschichte.

Alf Mentzer vom Hessischen Rundfunk stellte als nächsten Norbert Scheuer vor, einen Systemprogrammierer, der schon in den letzten Jahren durch seine literarische Beschäftigung mit seiner Heimat, der Eifel, in Erscheinung trat. Das neue Buch „Überm Rauschen“, erschienen im Verlag Beck, handelt von Männern, vom Vater und Söhnen, vom Bruder und Brüdern, vom Fischen und welches die besten Methoden sind, diese an die Angel zu bekommen, wobei Angel eine unzulässige Vokabel ist, denn damit sind die Feinheiten des Fliegenfischens nicht erfaßt. Das männerlastige Thema blieb auch im Gespräch zwischen Moderator und Autor etwas spröde, weil Alf Mentzer wenig Fragen einfielen als die nach der Auffälligkeit der Beschäftigung mit der Heimat: „Was wird das, wenn es fertig wird, eine Chronik?“, die Norbert Scheuer brav mit „Ja, eine Chronik.“ beantwortete. Die Lesung zeigte, wie mit dem Fischen und dem alten Fisch, nach dem die Männer suchen, mehr gemeint ist als nur Fische.

Info:

Die Liste der nominierten Romane in alphabetischer Reihenfolge und ihrem jeweiligen Erscheinungsdatum sind:

– Rainer Merkel, „Lichtjahre entfernt“ im Fischerverlag, März 2009

– Herta Müller, „Atemschaukel“ beim Verlag Hanser, August 2009

– Norbert Scheuer, „Überm Rauschen“ im Verlag Beck, Juni 2009

– Kathrin Schmidt, „Du stirbst nicht“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Februar 2009

– Clemens J. Setz, „Die Frequenzen“ im Residenzverlag, Februar 2009

– Stephan Thome, “Grenzgang” beim Suhrkampverlag, August 2009

Info: Ab dem 22. September 2009 werden Auszüge aus den Shortlist-Titeln in englischer Übersetzung und ein englischsprachiges Dossier zur Shortlist auf dem Internetportal www.signandsight.com präsentiert.

Die Auswahlentscheidung für den Träger des Deutschen Buchpreises findet statt am Vorabend der Buchmesse, am 12. Oktober , in Kaisersaal des Frankfurter Römer.

Weitere Informationen und Termine des Preisträgers rund um die Frankfurter Buchmesse können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de.

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