Berlin, Deutschland (Weltexpress). Uli Hoeneß stand am vergangenen Wochenende quermedial an der Spitze der Sportnachrichten in Deutschland. Trotz Formel 1-Entscheidung, trotz Bundesliga und diverser Wintersport-Weltcups! Die Rückkehr von Uli Hoeneß als Präsident des Fußball-Rekordmeisters Bayern München überstrahlte alle Ereignisse und gehörte in der ARD-Tagesschau zum unverzichtbaren Neuwert. Verständlich, denn wohl noch nie in der Geschichte des deutschen Sports – und wohl kaum auch auf internationaler Ebene – ist ein vorzeitig entlassener Strafhäftling in eine solche exponierte Stellung beinahe triumphal zurückgekehrt!
Hoeneß, 64, erhielt am Freitagabend auf der Mitgliederversammlung des FC Bayern München mit großer Mehrheit das Vertrauen für dieses Amt, das er schon 2009 bis 2014 inne hatte. Danach musste er wegen Steuerbetrugs 28,5 Millionen Euro Strafe zahlen und saß 21 Monate, zuletzt im offenen Vollzug, im Gefängnis. Die Reststrafe der insgesamt 3,5 Jahre Haft läuft nun unter Bewährung.
Hoeneß erreichte eine Zustimmung von fast 98 %. Lediglich 108 der knapp 7000 Stimmberechtigten votierten mit Nein, 58 hatten Enthaltung angekreuzt.
Der „Volkstribun“, die „Abteilung Attacke“, „Herz und Seele“ des ruhmreichen FCB sind also zurück. Der Interims-Präsident Karl Hopfner, lange Jahre in verschiedenen Leitungsfunktionen, schied klag- und kommentarlos – wie erwartet – vom präsidialen Vorsitz. Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge, einst Mitspieler, hatte in der Honeß freien Periode genügend Freiräume, sich zu profilieren. Ließ aber eher deutlich werden, dass er nicht Gestaltungskraft und Außenwirkung des Häftlings auf Zeit besitzt. Wird sich in der neuen Altkonstellation mit Hoeneß arrangieren, denn als Gegenspieler hat er sich nie gesehen.
Erstaunt darüber, dass Hoeneß so wenig Gegenstimmen erhielt, können nur Außenstehende sein. Die nicht bedenken, dass im Freistaat Bayern vielfach andere Spielregeln gelten als im Rest der Republik.
Zum Vorschein kommt das in der mantrartig wiederholten „Mia-san-mia“-Rhetorik des Rekordmeisters. Wir sind wir, wir sind die Nummer eins, wir lassen uns nicht vorschreiben, wie man erfolgreich arbeitet!
Dass von der Mitgliederversammlung kritische Einwände zur Kandidatur des Gestrauchelten nicht überliefert sind, verwundert daher nicht. Stattdessen lagen Uli-Fanschals im Trend und Gesänge „Uli, du bist der beste Mann…“.
Ganz offenbar hat die übergroße Mehrheit der Anwesenden und der Medien honoriert, dass Hoeneß von Anfang an zu seinem Fehlverhalten stand. Von seinen Ämtern 2014 als Präsident bzw. Aufsichtsratsvorsitzender der Bayern AG zurücktrat. Hat nicht wie andere Prominente – Ex-Bundespräsident Wulff, die Führungsclique des Fußball-Bundes um Niersbach und Beckenbauer oder die VW-Konzernverantwortlichen – vertuscht und nach Ausreden gesucht, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Und hat den bitteren Gang in die Vollzugsanstalt Landsberg angetreten.
Letzte Zweifler dürfte er am Abend mit seinem Auftritt für sich eingenommen haben. Hat sich zu seinen Fehlern bekannt. Gab sich demütig, bat um Vertrauen und die zweite Chance. Betonte, Ablehnung seiner Person als echter Demokrat zu akzeptieren. Versprach, seinem Markenkern der klaren Worte treu zu bleiben und – natürlich — alles für den Verein zu geben.
Nur einmal fiel er aus der Rolle und in altbekannte Attacke-Muster zurück. Als er das 4:1 von RB Leipzig verkündete und nachschob, jetzt hätte man eben neben Dortmund einen zweiten Feind, den man bekämpfen wolle…
Der Shitstorm in den sozialen Netzwerken setzte prompt ein, worauf Hoeneß zurückruderte und die Wortwahl bedauerte. Dies bekräftigte er im Samstag-Sportstudio des ZDF und entschuldigte sich förmlich für den Begriff. Leipzig und Dortmund seien sportliche Rivalen, denen man sportlich fair begegne. Feinde gäbe es in Kriegsregionen wie Irak oder Afghanistan.
Ein Hoeneß, der sich vor Millionenpublikum für eine verunglückte Formulierung entschuldigt – das hätte es in früheren Verbal-Gefechten mit Werder-Manager Willi Lemke oder VfB-Trainer Christoph Daum kaum gegeben. Und der gewandelte Patriarch des FCB (Ex-Ministerpräsident und FCB-Vorstandsmitglied Edwin Stoiber: Uli ist nach den zwei Jahren ein anderer geworden) wird von sich aus kaum Scharmützel mit Dortmunds Dauer-Lautsprecher Hans-Joachim Watzke vom Zaune brechen. Schon gar nicht über die Medien, „die sollen mal selber ihre Arbeit machen und Dinge bewerten“.
Der gewandelte Hoeneß wird ehrlich und authentisch bleiben, wie es einem Naturell entspricht. Und sicher zurückhaltender. Dass er in TV-Talkrunden anknüpft an Moralpredigten in Richtung der Eliten und der Allgemeinheit, das wird man von ihm nicht mehr erleben.
Schade dennoch, dass sich unter über 280 000 Mitgliedern des größten Vereins in Deutschland – und damit einer der weltweit größten im Fußball – kein Gegenkandidat fand. Einer, der vielleicht Jünger ist, zeitgemäßer denkt und Entwürfe für die Zukunft über das kommende Jahrzehnt hinaus äußert. Das ist zu bedauern. Und dürfte nicht nur darin liegen, dass Hoeneß beim Rücktritt seinerzeit trotzig die Rückkehr versprach: „Das war’s noch nicht.“ Dagegen anzutreten, von vornherein chancenlos zu sein gegen den zumindest in Bayern abgöttisch verehrten Patriarchen, dazu gehört Mut. Neue Ideen für den Entertainment-Großkonzern Bayern AG (Jahres-Rekordumsatz mehr als 620 Millionen Euro) sind selbst vom Übervater – wer wollte es ihm verdenken – her nicht zu erwarten.
Ein Fehler im gesamtgesellschaftlichen System. Hoeneß war und ist momentan alternativlos in der Wagenburg FCB wie es auch sonst viel zu viel Alternativlosigkeiten und damit Parteien- und Politik-Verdrossenheit gibt.
Wie erwähnt war Kritik an Re-Inthronisierung des Bayern-Übervaters kaum vernehmbar. In der Süddeutschen Zeitung fand der Kommentar, trotz aller Verdienste habe die Angelegenheit einen „schalen Beigeschmack“.
Kabarettist Frank Lüdecke schöpfte Rahmen einer Glosse optimal aus, als er im Tagesspiegel den FC Bayern in den Status einer „anerkannten Sozialeinrichtung für die Wiedereingliederung ehemaliger Straftäter“ erhob: Der Vorstandsvorsitzende – ein ehemaliger Uhrenschmuggler (Rummenigge hatte beim Zoll eine Rolex vergessen anzugeben). Gegen Ehrenpräsident (Beckenbauer) laufen in der Schweiz Ermittlungen wegen Untreue und Steuerhinterziehung im Rahmen der WM-Vergabe 2006. Und nun werde ein Steuerhinterzieher zu ihrem Präsidenten gewählt…das nennt man in der Branche wohl einen satirischen Volltreffer!
Bei sachlicher Betrachtung und dem Aspekt des Rechts – ob Promi oder Otto Normalbürger – auf Resozialisierung lässt sich das Votum pro Hoeneß als Präsident nachvollziehen.
Problematischer dürfte sein, ihm auch wieder den Vorsitz des Aufsichtsrates der Bayern AG anzuvertrauen. Da müssen dann Dax-Vorstände von weltweit operierenden Konzernen aushalten, von einem Mann moderiert zu werden, der den Compliance-Kodex sträflich missachtet hat. Jener gebietet, die üblichen Geschäftsregeln zu beachten und gesetzestreu zu handeln.
Und fällt beispielsweise in Asien oder Nordamerika, wo Bayern Filialen betreibt, bei Verstößen stärker ins Gewicht als man zwischen München und Tegernsee glaubt.
Hoeneß als Aufsichtsrat und quasi Mitkontrolleur des Präsidenten Hoeneß im FC Bayern e.V.? Hoeneß Repräsentant und Big Boss des FCB gegenüber dem Ausland? Muss das sein?
Eine Konstellation, die konfliktbeladen und knifflig scheint. Denn nur über den Aufsichtsrat hat Hoeneß Zugriff auf seine Kernkompetenz der wichtigsten Entscheidungen im Verein – die Trainer- und Spielerverpflichtungen!