Edvard Strindberg, der sehr häufig in Deutschland war und hier sehr anerkannt wurde, war darin ein Meister und das Städel besitzt über 80 Druckgraphiken von ihm, die es auch Geschenken seitens des Künstlers verdankt, aber eben auch frühen Erwerbungen, die aufmerksame Städeldirektoren und ihre Mitarbeiter am Puls der Zeit vornahmen. Eigentlich bevor dieser Puls so richtig zu schlagen begann, denn die Widerstände gegen Munch waren genau so groß, wie seine Befürworter erst einmal eine Minderheit. Das lag hauptsächlich an den Themen, für die er die Druckgraphik verwendete, aber auch an der künstlerischen Form, die er den Inhalten gab. Er veränderte übrigens seinen Schaffensprozeß ständig, er experimentierte und versuchte Inhalt und Form in eins zu bringen.
Die Inhalte kennen wir von seiner Malerei, es ist der Aufbruch in die Moderne, die den Menschen verstört, es sind existentielle Erfahrungen wir Krankheit, Einsamkeit, Trauer, Eifersucht, die der Liebe folgt, und auch Angst, immer wieder Angst, diesem untergründigen Boden der Moderne, die den Menschen entwurzelte, auch wenn er sich die Wurzeln selber aus dem Boden zog. Selbstverschuldet sozusagen, ob aus Unmündigkeit oder Mündigkeit. Munch vermag diesen Gefühlen eine visuelle Seelenlandschaft zu geben. Wer also in eine Munchausstellung geht, der weiß, daß er Gespenstisches aus den Abgründen und Urgründen der Seelenlandschaft zu erwarten hat, die Gespenster zwischen Mann und Frau, Leben und Tod, Materie und Geist.
Eines der bekanntesten Motive und hier in einem Druck von 1894 ist „Das kranke Kind I“. Bekannt ist, daß eine persönliche Betroffenheit die Ursache der fast manischen Besessenheit mit dem Thema ist. Seine ältere Schwester Sophie starb 1877 an Tuberkulose, mit gerade 15 Jahren. Schon 1885 hatte er dies im Gemälde festgehalten, aber immer wieder fängt er von vorne an, variiert, auch diese Fassung bleibt nicht die letzte. Später gibt es eine Farblithographie, die noch stärker die Aussichtlosigkeit des jungen Lebens zeigt. Schade, daß es keinen Katalog zur Ausstellung gibt – warum eigentlich nicht? –, denn um solche überzeitlichen Drucke wie „Die Gasse“ lohnt sich jedes Buch.
Das muß man sich immer wieder vorstellen, wann so etwas gemacht wurde. 1895 ist dieses doppeldeutige Motiv entstanden. Ist es frauenfeindlich oder frauenfreundlich, würden wir heute wissen wollen. Ist es für Frauen gestaltet worden, zu ihrem Schutz, ist es für Männer fabriziert worden, um ihre Angst auszudrücken vor der Frau oder wollen sie sie beschützen? Das sind so Fragen, die man stellt und die das Bild dennoch nicht beantwortet. Nehmen wir erst einmal folgende Fassung. Eins junge Schöne ist angetan mit einem fast durchsichtigen Schleier, in der Art wie Lucas Cranach sie den Schönen um den nackten Leib band. Sie kommt hinein in einen Raum voller Männer, kein ungewöhnliches Bild in den Salons der guten Gesellschaft – auch damals. Schnell stellen sich die mit Frack und Zylinder bekleideten Stützen der Gesellschaft im Spalier auf, die vorne noch Gesichter weiter hinten nur noch Zylinder tragen. Jeder will dieser Schönen teilhaftig sein, sie wenigstens mit Blicken ausziehen können, was sie am Ende allen gewährt. Allerdings nur von hinten, denn sie ist schon auf dem Weg, den Zylindern zu entschweben. Das ist die angenehme Vision.
Es gibt aber auch die andere. Eine, die einen aus dem Alptraum hochfahren läßt, denn inmitten einer ’guten` Gesellschaft hat sich die junge Schöne durch die Blicke der anwesenden Männer wie ausgezogen gefühlt, die männliche Bedrohung wird immer massiver, sie stellen sich auf im Spalier, sie geht an ihren entlang, kein Ausweg, weder links noch rechts, mit Kleinmädchengeste drückt sie ihre Unterwerfung aus und bittet nur noch um Schonung. Aber wir haben noch mehrere Versionen, denn hier steht eine Selbstbewußte, die ihre Nacktheit zu Markte trägt, denn sie weiß, sie ist etwas wert, ihre nackte Haut und so wie der Herr links neben ihr schon in seine Tasche greift und die Geldscheine zählt, so ist sie schon an seiner guten Stück zugange, das er noch unter dem Mantel versteckt, während ihre Rechte den ihr ebenfalls sehr zugetanen dicklichen Bürger grault, denn wo einer glücklich werden kann, schafft sie auch zwei, ob hintereinander oder gleichzeitig. Da gibt es den prostituierenden Bezug genauso wie den ängstlich mädchenhaften, nur eines ist immer gleich: es geht um Geschlechtliches.
Aber damit sind die Möglichkeiten noch längst nicht erschöpft. Erfinden Sie die Geschichten von selber weiter, denn die drängen sich vor den Drucken geradezu auf. Natürlich gibt es auch Eindeutigkeiten, aber das Schwarz –Weiß der Lithographie oder der Radierung schafft weitere Spielräume, als es die Farbe je könnte. Anrührend sind auch die Porträts, die Edvard Munch von den ihm Nahestanden macht. Dazu gehört sicherlich der Schwede August Strindberg, den er in Paris wiedersieht und von ihm 1896 – da war Strindberg 47 Jahre – die 505 x 378 Millimeter große Lithographie fertigt. An den Wänden sind übrigens viele Erklärungen nachzulesen und zu diesem Blatt lesen wir, daß Strindberg seinen Porträtisten als „einen esoterischen Maler der Liebe, der Eifersucht, der Traurer und des Todes“ bezeichnet hat. „Sie waren Partner im Verhältnis zum Femininum, beim Glase und in der Neurose“ erinnerte sich Kunstkritiker und -historiker Julius Meier-Graefe später, aber diese Seelenverwandtschaft zerbrach unter den Realitäten des Lebens. Munch allerdings bildet den Freund hier als kraftvollen und energiegeladenen Mann, wie er später auch Henrik Ibsen zu einem Heroen gestaltet. Die weiteren Lithographien und Radierungen müssen Sie sich alleine anschauen.
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Ausstellung im Städel Museum bis 18. Oktober 2009