Insgesamt acht Mal wurde „Barbara“, gespielt von Nina Hoss, zum höchstdotierten deutschen Kulturpreis nominiert und die Kaiserkategorie Bester Film ist auch dabei. Ronald Zehrfeld ist für seine Leistung an der Seite von Hoss als bester Darsteller nominiert, Petzold als bester Regisseur. Am 27. April, wenn die Sieger im Berliner Friedrichstadtpalast gefeiert werden, wissen wir mehr. WELTEXPRESS berichtet.
Die blonde Barbara sitzt an einem Sommertag im Jahr 1980 auf einer weißen Bank und wartet auf den Anfang der Arbeit an einem neuen Ort, in einer Kinderchirurgie irgendwo im Nirgendwo der Repressionsrepublik, aus der sie flüchten will. Von einem der oberen Fenster eines ziegelroten Backsteinbaus schaut ein Mann in einem weißen Kittel runter. „Ist sie das?“, fragt er. Ein zweiter im mausgrauen Anzug gesellt sich zu ihm, schaut und antwortet: „Ja.“ Beide beobachten Barbara. Der ältere und MfS-Mann, gespielt von Rainer Bock, sagt, daß sie keine Minute zu früh hochkommen werde. Der andere, der junge und überaus sympathische Oberarzt Andre, ein Mann mit wehender Mähne, Dreitagebart und Dackelblick, gespielt von Ronald Zehrfeld, fragt, ob sie hier Bekannte habe. Die Haft habe sich zersetzend auf den Freundeskreis ausgewirkt, hören wir und ahnen, daß die flotte Frau, die mit den langen Beinen und den himmel-himmel-himmelblauen Augen, die durch den Lidschatten in ihrer Klarheit und ihrem Ausdruck noch stärker betont werden, an die Dietrich erinnert, nicht mehr fröhlich wird im Arbeiter- und Bauernparadies. Warum? Ganz einfach. Sie ist zwischen das Schwert und den Schild der Partei geraten. Barbara oder auch Frau Dr. Wolf von der Charité aus Berlin hat alle guten Gründe, die DDR zu hassen und einem Schnösel aus dem Westen nachzulaufen, zu dem sie über die Ostsee flüchten will, zu lieben.
Petzold zeigt alles kommentarlos und also wortkarg unverblümt und somit den SED- und Stasi-Staat von seiner barbarischen Seite: Überwachung, Zersetzung, Einschüchterung, kurz: Schikane bis zum Terror. Mittenmang statt nur dabei Barbara als Opfer am äußeren Rand in der inneren Immigration. Schütz ist in diesem Spiel der Böse und Andre, so scheint es, der Gute. Beide, vermuten Barbara und der Betrachter im Lichtspielhaus, sollen mehr oder minder dafür sorgen, daß das alles so bleibt, wie es ist, und vor allem: daß sie in der DDR bleibt. Doch die „weichen“ und „leisen“ Formen der Repression der Stasi, also der Allzweckwaffe der SED, läßt Barbara offensichtlich kalt. Die neue Wohnung und die Nachbarn, selbst der herrliche Sommer und das weite, grüne Land lassen die Kinderärztin aus der Hauptstadt umso kühler erscheinen, wenn sie mit dem Fahrrad über Wege und durch Wälder fährt, wo der Wind weht. Es ist nicht der Wind of Change.
Andre beginnt das Baggern, doch Barbara würdigt ihn mit keinem Blick und schenkt ihm auch kein Lächeln. Sie solle sich nicht so separieren, rät er, als er sie nach endlosen Absagen endlich einmal nach Hause fahren darf. Trotz treuem Blick aus unschuldigen Augen, in welche die schöne Barbara blickt, läßt sie sich nicht erweichen. Will er das Eingewöhnen der Einsiedlerin erleichtern oder steckt die Stasi dahinter? Barbara traut keinem. Petzold zeigt das Elend als Drama einer unmöglichen Liebe im Überwachungsstaat.
Lange Einstellungen stummer Ausweglosigkeit erzählen schon genug vom Elend dieser Frau auf der Flucht, die überall Bedrohung wittert. Und bedrohlich ist das allemal. Das Bedrohliche in penetranter Permanenz samt subtiler Ängste der Bedrohten inszeniert Petzold mit feiner Präzision und stellte Fragen. Soll Andre sie überzeugen, den Ausreiseantrag zurückzuziehen? Was weiß die Stasi von ihren Fluchtplänen? Wie lange noch kann sie sich den Avancen von Andre entziehen?
Als Stella, eine mißhandelte Notfallpatientin eingeliefert wird, entpuppt sich die attraktive wie kluge Unnahbare, die gebildete wie bildschöne Unberührbare zu einer warmen, mitfühlenden Frau, zu einer Ärztin aus Leidenschaft. Sie hilft und will das Mädchen davor bewahren, von Vopos erneut in den Jugendwerkhof Torgau verfrachtet zu werden. In Kinderheimen, den 32 Jugendwerkhöfen und vor allem in der härtesten Jugenderziehungseinrichtung der DDR, in Torgau, demütigten, erniedrigten und misshandelten Erwachsene Kinder und Jugendliche systematisch. Körperliche und seelische Grausamkeiten waren an der Tagesordnung. Es wurde geschlagen und vergewaltigt, Einzelarrest und Essensentzug waren keine Seltenheit. Für viele der jungen Menschen zwischen 14 und 18 waren die Qualen so groß, dass sie sich an ihren Pullovern erhängten, Schmierfett tranken, sich anzündeten oder Nadeln und Nägel schluckten. Bis heute leiden die Opfer, Tausende, an Alpträume, Angstzustände, Selbstverstümmlung.
Barbara versteht die aus Torgau abgehauene Stella, weil die Ärztin wie ihre Patientin eingesperrt ist und gequält wird. Petzold, der auch das Drehbuch schrieb, zeigt, wie sie, weil sie eines Abends nicht pünktlich zu Hause ist, sich MfS-Mann Schütz mit Gehilfen einlädt. Die ausladende Wohnung wird auf den Kopf gestellt. Dann klingelt es an der Tür. Ein Frau erscheint auf der Bildfläche, steift sich Latex-Handschuhe über und befiehlt Barbara ins Bad. Wir ahnen, was Petzold nicht zeigen muß: Die DDR ist für`n Arsch.
Nun fährt der Fickfreund, der Geliebte namens Jörg, gespielt von Mark Waschke, im Westwagen vor und Barbara blüht auf, kommt selbst Andre immer näher. Barbara wird zerrissen zwischen der offenherziger Liebe, in der sie sich schwach zeigen könnte, ohne Stärke zu provozieren, und der Angst vor Verlogenheit, Verrat, Stasistaat auf der einen und Mann, Mark und Markenartikeln aus dem Westen auf der anderen Seite.
Warum deckt Andre ihr Engagement für die junge Ausreißerin Stella? Ist er auf sie angesetzt? Ist er verliebt? Barbara beginnt die Kontrolle zu verlieren. Hans Fromm fängt das Lieben und Streiten und Schweigen mit seiner Kamera mit Gegenschüssen hochauflösend ein.
Der Tag ihrer geplanten Flucht steht kurz bevor. Erneut wird Stelle eingeliefert. „Lass` mich nicht allein“, fleht sie und: „Geh` nicht weg.“ Barbara kämpft mit sich, Wissen und Gewissen sind zu groß. Dann weht draußen der Wind so kalt. Dieses Mal in der Nacht am Ostseestrand. Er rauscht sein Lied dazu. Barbara bleibt.
Petzold schenkt den Zuschauern wegen eines, seines nachdenklichen Endes, weil „Barbara“ Stella vor den Häscher bewahrt, sie mit ihren DM-Scheinen auf den Weg in den Westen schickt, sie somit die wahre Lieben suchen darf, statt der Waren-Liebe der Schaufensterschlawiner zu verfallen, und also der elenden Tristesse des Industriefeudalismus a la DDR trotzen muß, Hoffnung als Prinzip. Die DDR dient dabei nicht als Kulisse, ihre Symbole, Hammer, Sichel, Ährenkranz, Spruchbänder und Honecker-Bilder werden weder aufgewärmt noch durch den Kakao gezogen, und somit sind die zwischenmenschlichen Themen auf den Begriff von Liebe, Haß, Leichtigkeit, Vertrauen, Mißtrauen, Kontrolle, Wachheit, Angst gebracht und universell.
„Barbara“ ist ein dichtes Drama, ein emotionaler Liebesfilm ohne Gequatsche, ein Psycho- und Soziogramm gerader, klarer Menschen voller Wachheit und Wahrheit in einer Welt voller Lüge und Liebe. Petzold präsentiert ein besonderes Liebesverhältnis vor einem und gegen ein allgemeines Staatsverhältnis. „Barbara“ ist auch ein Psychodrama, gespickt mit noch immer aktuellen Argumenten der Gesellschaftskritik. Und „Barbara“ ist als fiktionale Doku Systemkritik an einem gescheiterten sozialistischen Versuch. Ganz schön viel für einen Film. Nebenbei bemerkt: Ganz schön gute Gründe, viele – vor allem Christian Petzold für Drehbuch und Regie sowie Nina Hoss in der Rolle der Barbara, „ja, ja sie ist so wunderbar“ – auszuzeichnen.