Berlin, Deutschland (Weltexpress). Es sieht aus wie ein unschuldiges Spiel, und man erwartet, irgendwie in seinen Überzeugungen bestätigt zu werden. Was in früheren Jahren noch so einigermaßen funktionierte, aber der Wahlomat zur EU-Wahl ist ein anderes Kaliber.
Der Wahlomat, von der Bundeszentrale für politische Bildung seit 2002 betrieben, soll auf spielerische Weise anzeigen, welche Partei zu einem passt, indem man eine Reihe von Fragen beantwortet. Aber es gibt eine ganze Reihe wichtiger, um nicht zu sagen überragend wichtiger Fragen, die im Wahlomat nicht auftauchen. Frieden beispielsweise. Dafür kann man sich nur häppchenweise entscheiden, indem man eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine ablehnt, beispielsweise, oder mehr Waffen für die Ukraine, oder für einen Abbau der Sanktionen gegen Russland stimmt. Das sind zwar alles kleine Puzzlesteinchen, die alle irgendwie zu einem Frieden beitragen könnten, aber dazu gehörte noch viel mehr. Die Entkopplung von EU und NATO beispielsweise, sofern man die EU überhaupt für etwas hält, das in irgendeiner Weise wünschenswert ist (aber keine EU zu wollen ist in diesem Spiel nicht vorgesehen).
Ein Ende der wirklich schrecklichen, verheerenden EU-Außenpolitik kann man ebenfalls nicht wollen, und das höchste der Gefühle in Bezug auf eine Demokratisierung der zutiefst undemokratischen Struktur EU mit ihrem Scheinparlament ist die Aussage „Das Europäische Parlament soll weiterhin eine zentrale Rolle in der EU spielen.“ Wenn es je ein Parlament gab, das die Bezeichnung „Schwatzbude“ verdient hat, dann dieses. Es hat kein Recht, Gesetze einzubringen, es darf selbst die Kommission nur abnicken, es hat keine wirkliche Haushaltskontrolle, aber dafür sehr viele sehr gut bezahlte Abgeordnete, die Demokratie simulieren. Man hätte ja wenigstens heucheln können beim Wahlomaten, und von einer stärkeren Rolle des EU-Parlaments schreiben. Aber nein, nicht einmal die Illusion ist noch zu haben.
Wobei, auch das muss man eingestehen: Liest man die Resolutionen, die dieses Parlament beispielsweise zu Russland beschlossen hat, muss man fast froh sein, dass es nichts zu melden hat, weil diese Resolutionen oft noch einen Tick irrer sind als das, was selbst eine Ursula von der Leyen von sich gibt. Und das ist wirklich eine Leistung.
Schauen wir doch einmal, in welchen Fragen das Thema Souveränität auftaucht. Nicht so ganz unwichtig, gerade jetzt, da sich doch ein paar etwas weniger kriegsgeile Regierungen in dieser EU bemerkbar machen, die dann womöglich auch noch darauf bestehen, die politischen Debatten in ihrem Land nicht von durchfinanzierten Pseudopolitwerbeagenturen, alias NGOs, bestimmen zu lassen. Das Angebot? Ja, man kann sich gegen EU-Steuern entscheiden. Man kann eine nationale Währung begrüßen. Man kann es ablehnen, mehr außenpolitische Entscheidungen mit Mehrheit statt einstimmig zu treffen. Und man kann es ablehnen, dass „EU-Fördermittel für Mitgliedstaaten, die Regeln und Werte der EU verletzen“ zurückgehalten werden, also sich gegen Binnensanktionen der EU entscheiden.
Klärt das die Frage der Souveränität? Okay, da gibt es noch den Punkt, dass Neuaufnahmen per Volksentscheid in allen Mitgliedsstaaten beschlossen werden sollen. Das heilt aber nicht den grundsätzlichen Konstruktionsfehler der EU: dass es eben keine Verfassung gibt. Der Text, der einst eine EU-Verfassung werden sollte, fiel gleich in drei Ländern durch, in Frankreich, den Niederlanden und in Irland. In Deutschland wurde er erst gar nicht vorgelegt. Dieses ganze Bürokratenmonster in Brüssel beruht auf einem Vertrag, dem Lissabon-Vertrag, der sich schlicht in so vielen Punkten gegen die Interessen der Bevölkerung richtet, dass er nie und nimmer in Volksabstimmungen angenommen würde. Aber dennoch hat dieser Vertrag, auch in Deutschland, rechtlich einen Rang über dem Grundgesetz (das den gleichen Makel aufweist, nebenbei).
Taucht das irgendwo auf? Vor zehn Jahren war es noch Teil der öffentlichen Debatte, dass dieses grundlegende demokratische Defizit der EU irgendwie geheilt werden müsse. Inzwischen ist davon nicht mehr die Rede, aber dafür wird bestimmt, wie wir unsere Häuser heizen, was wir zu Mittag essen dürfen, mit welchen Fahrzeugen wir fahren können, und vor allem: ob wir in Frieden leben dürfen oder nicht. Die EU steht hier eindeutig für „nicht“.
Immerhin, die Klimaziele kann man verwerfen. Übrigens, da stecken auch so nette Dinge mit drin wie der Karbonzoll, ein wunderbares Hilfsmittel, um das koloniale System zu stützen. Und selbst jemand, der die ganze Klimaerzählung glaubt, wie sie geliefert wird, müsste irgendwann einmal merken, dass die Folge der „Klimaziele“ eigenartigerweise immer nur eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Normalbürger ist, aber nie auch nur eine Minderung von Spekulationsgewinnen. Im Gegenteil. Es war schließlich die EU, die dafür gesorgt hat, dass man erstklassig mit Strom und Gas spekulieren kann.
Zwei Beispiele gibt es, die zeigen, wie trickreich die Formulierung ist. „Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament sollen die Parteien weiterhin frei entscheiden können, wie groß der Anteil der Geschlechter auf ihren Listen ist.“ Das ist ein klarer Fall, bei dem der „liberale Linke“ mit „Nein“ stimmt. Oder stimmen soll.
Nur, wie ist es denn, wenn die augenblickliche Mode von ich weiß nicht wie vielen Geschlechtern samt Hund und Sofakissen per EU-Verordnung in eine Quotenregelung verwandelt würde? Also überall die Quotentranse vorgeschrieben wird? Als vor langer Zeit die Diskussionen über die Einführung von Frauenquoten stattfanden, war eines der stärksten Argumente dafür, dass Frauen die Mehrheit der Bevölkerung sind. Es gibt also eine Kollision mit den Grundsätzen der innerparteilichen Demokratie, aber die wird zumindest durch die Verteilung in der Gesamtbevölkerung wieder ausgeglichen.
Die Frauenquoten sind spätestens seit Markus Ganserer nur noch eine Lachnummer. Und es gibt nichts, wirklich nichts, was diese EU davon abhalten könnte, auch noch Menschen, die sich für Hunde halten, auf die Wahllisten zu beordern, sobald ihr diese Macht zugestanden wird. Es könnte Hunderte von Quoten geben, sollte dieses Monstrum die Erschütterungen der kommenden Jahre überstehen, nur eine nicht, niemals – eine Quote für die ärmere Hälfte der Bevölkerungen.
Die nächste Frage, die eine derartige Schieflage hat, schließt sich gleich an die Besitzlosenquote an. „Die EU soll Vorgaben für die Höhe der sozialen Grundsicherung in den Mitgliedsstaaten machen.“
Das ist gewissermaßen die Vertrauensfrage. Was hat denn die EU seit ihrem Bestehen geliefert? Unter anderem die große Lohndrückermaschine Dienstleistungsfreiheit, dank derer ukrainische Fahrer für polnische Firmen zu polnischen Löhnen in Deutschland LKW fahren können. Nichts gegen ukrainische Fahrer, aber dann doch bitte zu anständigen Löhnen, wie für alle anderen auch. Also wer würde ernsthaft davon ausgehen, dass eine von der EU verhängte Höhe der sozialen Grundsicherung eine Verbesserung ergeben würde? Mehr noch, der ganze Apparat, der allerhöchstens für die Belgier noch unmittelbar erreichbar ist, und der tagein, tagaus mit Konzernlobbyisten diniert, ist schon so geschaffen, dass er für Druck aus der Bevölkerung nur noch schwer erreichbar ist.
Wenn ich das einmal in der klassischen Diktion der klassischen Linken formulieren darf, bedeutet das: Der Klassenkampf und die Durchsetzung der Interessen der Besitzlosen sind in der EU deutlich schwerer als auf nationaler Ebene. Was diese metastaatliche Struktur grundsätzlich zu einer gegen die Arbeiterklasse gerichteten Einrichtung macht.
Aber man kann das auf Grundlage vieler anderer Interessen formulieren, sofern es nicht die Interessen großer Konzerne oder gar Finanzanleger sind (weil mittlerweile auch Konzerne, sofern sie wirkliche Dinge produzieren, in der EU unter „ferner liefen“ einsortiert werden). Was dann der Wahlomat für einen Trick nutzt – er macht alle, die die EU grundsätzlich ablehnen, zu Rechten.
Ein kleines konkretes Beispiel. „In der EU sollen Unternehmen mehr für den Ausstoß von CO2 zahlen müssen.“ Das ist eine Formulierung, die auf die CO2-Abgaben zielt, und auf die Zertifikate, mit denen gehandelt wird. Etwas, das ich selbst dann ablehnen würde, wenn ich die Klimageschichte glaubte, weil das Ergebnis nur eine weitere Konsumsteuer ist, weil diese Abgaben bei den Preisen aufgeschlagen werden und damit letztlich den Endabnehmer treffen. Wie die Mehrwertsteuer, nur ganz ohne Vorsteuerabzug.
Also sehen wir einmal, was bei der Partei zitiert wird, die ich wählen würde, wäre ich in Deutschland, der DKP. „Wobei die DKP den Handel mit ‚Verschmutzungsrechten‘ (!!) ablehnt. (…) Es braucht für Konzerne (…) klare Regeln/ Umweltauflagen, die dann auch streng kontrolliert werden müssen.“
Steht da irgendwo etwas von „mehr für den Ausstoß von CO2 zahlen“? Tut es nicht. Wird aber vom Wahlomaten gewertet, als stünde es dort. Warum? Weil dieses Ding ein „pädagogisches“, vielmehr propagandistisches Ziel verfolgt. Weil man nur für die EU sein kann. Oder eben Nazi.
Dabei ist Weniges mehr Nazi als die EU. Dazu muss man nur einmal „Hallstein“ googeln. Oder zufällig auf die Aussagen der SS zu Europa stoßen.
Zitieren wir doch einmal aus einem Buch von 1944, geschrieben von einem Staatssekretär im US-Außenministerium, Sumner Welles, einem engen Mitarbeiter Roosevelts. Auf Seite 265 steht da: „Die deutschen Offiziere, die den Weg für den nächsten Krieg bahnen sollen, werden von den folgenden Annahmen ausgehen. Es wurde ihnen gesagt, dass der Krieg, den Deutschland 1939 der Welt aufzwang, nur verloren ging, weil die materiellen Ressourcen der deutschen Armeen höchst unzureichend waren. (…) Daher muss der deutsche Generalstab, um dieses rein materielle Hindernis zu nehmen, den neuen Krieg vorbereiten, indem er ganz Europa und nicht nur Deutschland selbst zu seiner Operationsbasis macht. Alle industriellen und wissenschaftlichen Kontakte und Kenntnisse, die in den Ländern verfügbar sind, die Deutschland in den letzten vier Jahren besetzt hat, müssen in einen Vorteil gemünzt werden.“
Es gibt übrigens Strategiedokumente auch aus der deutschen Industrie aus dieser Zeit, die genau dieselbe Sicht vertreten. Ich habe sie leider hier in Moskau nicht zur Verfügung, aber es ist eine gruselige und sehr erhellende Lektüre: Reinhard Opitz, Europastrategien des Deutschen Kapitals.
Und nun vergleiche man die Karte der damals von Deutschland besetzten Länder mit der Karte der heutigen EU. Es gibt einen gewissen Bonus – Spanien, Portugal und Schweden (wobei Spanien und Portugal ebenfalls von Faschisten regiert wurden, und Schweden so freundlich neutral war wie die Schweiz). Aber man kann es wiedererkennen. Und das ist die Struktur, die heute zum Krieg gegen Russland bläst. Selbst wenn diese Struktur jetzt unter US-Befehlen agiert, sie wurde von Nazis erdacht, und sie tut gerade das, wozu sie von diesen Nazis erdacht wurde.
Aber der Wahlomat stammt aus einer anderen Welt, in der all das keine Rolle spielt. Er wirkt wie ein Teil einer dystopischen Maschine, die nur noch an eine handelnde KI gehängt werden müsste, die auf falsche Antworten sofort alle Bankkonten sperrt. Vor allem, wenn man Gegner dieser EU ist. Denn Nazi sind immer die anderen.
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn mit dem Titel „Der Wahlomat oder wie man zum Nazi wird“ wurde am 8.6.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.
Siehe auch die Beiträge
- Wagenknecht-Partei zur EU-Wahl: Ihr Antiimperialismus lässt den Mainstream wüten von Susan Bonath
- Was wir uns im Wahljahr 2024 wünschen von Dr. Wolfgang Schacht
im WELTEXPRESS.
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