Angeblich soll sogar Dschingis Khan ein Musikliebhaber gewesen sein. Man erzählt sich, dass er auch schon mal 5000 Musiker mit Pferdekopfgeigen in der Steppe musizieren ließ, und dass dieser Klang kilometerweit zu vernehmen war und wie ein heilender Ton von den Menschen empfunden wurde. Auch Richard Wagner berichtet in seinen Erinnerungen von sonntäglichen Freilichtkonzerten in den Auen rund um Leipzig, die bei den Bewohnern seiner Geburtsstadt äußerst beliebt waren.
Und schon wären wir bei den renommiertesten Festspielen in Deutschland, den Bayreuther Festspielen. Allerdings haben diese mittlerweile viel Glanz durch unzählige Querelen und Skandale in der Führungsspitze verloren. Noch sind die Festspiele in der Hand der Familie Wagner, doch könnte eine Festspielleitung außerhalb des Wagner-Clans bald Wirklichkeit werden, denn die beiden Halbschwestern Katharina Wagner und Eva Wagner Pasquier haben seit dem Tod des Wagnerenkels Wolfgang Wagner kein glückliches Händchen gehabt, was den künstlerischen sowie den organisatorischen Bereich betrifft. Das Wagnerjahr 2013 könnte zum endgültigen Prüfstand für die beiden Damen werden.
So spricht Wieland Wagners älteste Tochter Iris Wagner den Bayreuther Cousinen in einem langen Interview, das am 16. Juni 2012 in allen fünf Tageszeitungen der Mediengruppe Oberfranken erschienen, wovon der Fränkische Tag die größte ist (siehe www.infranken.de), das Misstrauen aus. Im Namen des Familien Clans geht sie auf die Barrikaden: „Ich bin beschämt. Ich schäme mich zutiefst für das ganze Unternehmen. Es brennt in Bayreuth an allen Ecken und Enden. Wo man nur den Deckel aufmacht, kommt etwas Schreckliches hervorgekrochen – seien es die fehlenden Sozialbeiträge, die wegbleibenden Bühnenmeister, der aberwitzige Renovierungsstau des Festspielhauses oder die intransparenten Rechte-Verwertungsverträge der BF Medien GmbH. Den Verantwortlichen geht es eigentlich nicht um Richard Wagners Werk, weder oben im Festspielhaus noch unten in Wahnfried. In Bayreuth stehen jetzt gesellschaftliche Eitelkeiten, Repräsentation und Networking im Vordergrund. Zurück bleibt mehr oder weniger ein Nichts, ein ausgehöhlter Richard-Wagner-Kult. Seine Partituren, das Wertvollste, was Wahnfried hat, sind andernorts ausgelagert. Das ist alles tief traurig, trostlos. Mein größter Wunsch für das Jubiläumsjahr 2013 wäre, dass im Zentrum, im Auge des Taifuns, einfach nur Schweigen ist und sonst nichts – keine Festspiele und kein Baustellen-Event, während alle Welt wirbelt, um Richard Wagners 130. Todestag und seinen 200. Geburtstag gebührend zu feiern.“
Ja, das wäre auch der Wunsch vieler Wagnerfans weltweit. Bayreuth ist nicht mehr richtungsweisend für die Werke Richard Wagners. Zwar meint man in Deutschland dessen Opern bestens zu kennen, doch es bleibt noch vieles zu entdecken, was man hierzulande gerne verdrängt. Über Richard Wagner ist sicherlich mehr geschrieben und diskutiert worden als über jeden anderen Kunstschaffenden, doch erfassen konnten ihn nur wenige. Schillernd und erhaben, umgeben von einer Aura des Geheimnisvollen, steht seine Person immer noch im Raum der Musikgeschichte. Ihn selbst würden all die hitzigen Diskussionen über seine Person, in denen Welten aufeinander prallen, amüsieren. Seine Werke und seine Persönlichkeit sind aber letztendlich doch ganz leicht zu verstehen, denn beschäftigt man sich mit seinen Opern, dann fällt auf, dass nur ein und derselbe Grundgedanke in allen Werken vorherrscht und zwar der, dass der Weg zur Erlösung durch die Liebe zu finden ist. Diesen Weg hat uns Richard Wagner in seinen Werken immer wieder gezeigt und würde man sich die Mühe machen, seine Schriften auch heute noch zu lesen, die Bücherlawine Wagner wäre überflüssig. Gewiss, es ist nicht immer leicht seinen Gedankengängen zu folgen, aber selbst seine kleine Schrift ’Eine Mitteilung an meine Freunde` könnte einem Anfänger in Sachen Wagner schon sehr helfen, die Wesensart seiner Werke zu verstehen.
Das Verstehen von Richard Wagners Werken in ihrer eigentlichen Aussage setzt nach meiner Ansicht ein Wissen oder ein Akzeptieren der Lehre der Wiedergeburt voraus. Sehr früh schon kam Wagner mit den großen Schriften des Fernen Ostens in Berührung. Wir dürfen auch annehmen, dass er schon in der Kindheit durch Gespräche mit seinem Onkel Adolf Wagner, einem philosophischen Schriftsteller, der zum Geisteskreis Goethes gehörte, mit dieser Thematik vertraut gemacht wurde. Während der Jahre in Zürich diskutierte er mit den damaligen Freunden immer wieder über dieses Thema und ermunterte den Dichter Herwegh ein Gedicht über den Mythos der Seelenwanderung zu schreiben. In Cosima Wagners Tagebuchaufzeichnungen finden sich unzählige Beispiele, die beider Glauben an die Wiedergeburt belegen und die beweisen, wie tief diese Lehre in ihrem Leben verankert war. So hofft Cosima, dass ihr so früh verstorbener Bruder Daniel vielleicht in der Gestalt eines ihrer Kinder wiedergeboren werde. Richard Wagner bemerkt, dass nur die Musik das Geheimnis der Wiedergeburt ausdrücken könne , und fügt hinzu: „Wie ich mich nach den Studien der Inder sehne! Das ist alles unmittelbare Wahrheit; ihre Allegorien sprechen das aus, was nicht auszudrücken ist.“ In Tribschen und dann auch in Bayreuth greifen Richard und Cosima immer wieder zur Lektüre der indischen Schriften. Inspiration und Tröstung fließen ihnen beim Studium der Upanishaden zu und die Lektüre der indischen Sagen und Märchen bezaubert beide ungemein. Dem an einem Weiterleben nach dem Tod zweifelnden Hans Richter entgegnete Wagner, ob er denn meine, er sei nie gewesen und würde nie mehr sein, begänne und beende mit sich sein Leben?
1860 schreibt er an Mathilde Wesendonck: „Gestern ergriff mich der Lohengrin sehr, und ich kann nicht umhin ihn für das allertragischste Gedicht zu halten, weil die Versöhnung wirklich nur zu finden ist, wenn man einen furchtbaren weiten Blick auf die Welt wirft. Nur die tiefsinnige Annahme der Seelenwanderung konnte mir den trostreichen Punkt zeigen, auf welchen endlich Alles zur gleichen Höhe der Erlösung zusammenläuft, nachdem die verschiedenen Lebensläufe, welche von der Zeit getrennt nebeneinander laufen, außer der Zeit sich verständnisvoll berührt haben. Nach der schönen buddhistischen Annahme wird die fleckenlose Reinheit des Lohengrin einfach daraus erklärlich, dass er die Fortsetzung Parsifals – der die Reinheit sich erst erkämpfte – ist. Ebenso würde Elsa in ihrer Wiedergeburt bis zu Lohengrin hinanreichen. Somit erschien mir der Plan zu meinen ’Siegern` als die abschließende Fortsetzung von ’Lohengrin`. Hier erreicht Sawitri (Elsa) den Ananda (Lohengrin) vollständig. So wäre alle furchtbare Tragik des Lebens nur im Auseinanderliegen in Zeit und Raum zu finden; da aber Zeit und Raum nur unsere Anschauungsweisen sind, außerdem aber keine Realität haben, so müsste dem vollkommen Hellsehenden auch der höchste tragische Schmerz nur aus dem Irrtum des Individuums erklärt werden können: Ich glaube es, es ist so! Und in voller Wahrheit handelt es sich durchaus nur um das Reine und Edle, das an sich schmerzlos ist.“
Möchte man sich ernsthaft mit Richard Wagners Werken an dessen 200. Geburtstag auseinander setzen, dann muss diese philosophische Kernaussage unbedingt beleuchtet werden, was auch zu einer Wiederbelebung der fernöstlich angehauchten Lehre von Arthur Schopenhauer führen könnte. Im Ausland ist diese Diskussion schon lange im Gange, also wäre auch hierzulande viel zu tun. Die geistige Essenz der Wagner-Opern wird in Deutschland in fast allen Inszenierungen einfach negiert, damit sollte nun endlich Schluss sein. Das wäre ein wunderbares Geburtsgeschenk für den Komponisten.