Daniel ist der zweite der beiden weißen Männer, welche an den Strand gekommen sind. Jeder Tag scheint gleich in der geschlossenen Welt La Barras, über dessen Grenzen Ruiz Navias Kamera nie hinaus wandert. Immerzu dröhnt der gleiche Rap-Song aus der Stereo-Anlage eines notdürftigen Hotels, welches dessen Eigentümer Paisa zu einem Touristenressort ausbauen will. Er war der erste Weiße hier, Verkörperung des ausbeuterischen Besatzers. Den seit Generationen den Einheimischen gehörenden Strand betrachtet Paisa als sein Eigentum, weil die anderen keine Grundpapiere besitzen. Er will Touristen nach La Barra locken, jene Menschen, die noch mehr Müll auf dem schon lange nicht mehr unberührten Sand verstreuen. Die jungen Frauen unter den Einheimischen versucht er sexuell auszubeuten, selbst seinen Gesprächen mit der kleinen Lucia haftet etwas Bedrohliches an. Daniel ist der Gegenpol zu diesem Weißen. Während die Schwarzen für Paisa arbeiten, arbeitet Daniel für den Einheimischen Cerebro. Jeden Tag sammelt er für ihn, der sich den Schutz des Strandes zur Aufgabe gemacht hat, den dort zurückgelassenen Abfall auf. Eine Sisyphusarbeit, denn am folgenden Tag liegt wieder neuer Müll auf dem Sand. Paisa redet viel, laut und aufdringlich. Leere Worte, die seinen Gesten gleichen. Seine Hand hält er nur dem anderen Weißen hin, selbst hier nur um zu nehmen, nicht um zu geben.
Daniel schweigt, doch seine äußere Ruhe ist trügerisch. Er sehnt sich nach einem Boot, das ihn wegbringt von La Barra. Daniel weiß, dass er nicht an diesen Ort gehört, Paisa hingegen wird es nie lernen, höchstens durch Gewalt. Die symbolische Vorahnung jenes Widerstandes, durch den die Einheimischen in „Crab Trap“ zurückfordern, was ihnen gehört, beschließt Ruiz Navias Parabel. Die Rollen in „Crab Trap“ sind klar verteilt. Das moderne Fremde steht im Konflikt mit der Naturverbundenheit der Einheimischen. Doch Ruiz Navias hinterfragt auch das Wertesystem der kolumbianischen Anwohner, deren junge Männer trinken und den Song zitieren, der unablässig aus den Boxen der Anlage klingt. Die Bedrohung liegt in der Starre, dem Stillstand in einer immer gleichen Tagesroutine, welcher die Charaktere auf unterschiedliche Weise entfliehen wollen. Die jüngeren Einwohner La Barras sind der Eintönigkeit müde. Sie beschwören die Vision der Stadt, wie der alte Cerebro jene der See beschwört, welche das Leben der Menschen bestimmt. Bevor sich der Konflikt zwischen Fremden und Einheimischen auflöst, zeichnet sich eine neue Kluft zwischen alter und junger Generation ab. Über allem schwebt gleich einem bösen Omen die Gewalt der militärischen Konflikte, welche wie der monotone Rhythmus aus der Stereoanlage die Handlung begleitet.
Ohne die eigenwillige Atmosphäre fast märchenhafter Entrücktheit, welche Sofia Oggioni Hatty und Andres Pineda in „Crab Trap“ erstehen lassen, würde die langsame Erzählung in langatmigen Mystizismus münden. Die karge Schönheit von Urwald und Küste übt auf die Zuschauer den gleichen Sog aus, mit welchem sie die Charaktere gefangen hält. Ruiz Navia gelingt es eine bizarre Vision zwischen Realität und düsterer Ahnung auf die Leinwand zu bannen. Seine „Crab Trap“ nimmt den Zuschauer gefangen.
Titel: El vuelco del cangrejo – Crab Trap
Berlinale Forum
Land/Jahr: Kolumbien/Frankreich 2009
Regie und Drehbuch: Oscar Ruiz Navia
Darsteller: Rodrigo Velez, Arnobio Salazar Rivas Cerebro, Ysela Alvarez
Laufzeit: 96 Minuten
Wertung: * * *