Der Schuh des Winnetou – Mit Karl May auf der Fährte des Apachen

Ein indianischer Gentleman von Kopf bis Fuß: „Seine Mokassins waren mit Stachelschweinborsten und die Nähte seiner Leggins und des Jagdrockes mit feinen, roten Nähten geschmückt. Das Haar war so lang, dass es reich und schwer auf den Rücken niederfiel. Die Farbe seines Gesichts war ein mattes Hellbraun mit einem leichten Bronzehauch. Ich glaubte zu bemerken, dass in seinem ernsten, dunklen Auge für einen kurzen Augenblick ein freundliches Licht aufglänzte, wie ein Gruß, den die Sonne durch eine Wolkenöffnung auf die Erde sendet.“

Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen dem Ich-Erzähler Old Shatterhand und Winnetou, dem Krieger aus dem Volk der Apachen. Eine Sympathie auf den ersten Blick, die – wie sich im weiteren Verlauf zeigt – gegründet ist auf der beiderseitigen Charakterstärke, die auch vor den harten Herausforderungen des „Wilden Westens“ nicht kapituliert. Spiegelt sich in dieser über die Grenzen hinweg verbindenden Freundschaft  nicht sogar die Sehnsucht Karl Mays nach einer Welt, die er selber nie betreten hat, aber deren baldiges Ende er bereits vorausahnt?

Pioniere und Profiteure

Denn er kennt sie sehr wohl, die Pioniere und Profiteure jener Zeit, die mit Planwagen und Eisenbahnen aufbrechen, um sich irgendwo im Westen eine neue Existenz aufzubauen, koste es was es wolle. So wie sein Landsmann Jacob Waltz, dessen „Legende von der verlorenen Dutchman Mine“ damals nicht nur in Arizona die Runde machte. Sie handelt von jenem Deutschen, der östlich von Phoenix in dem zerfurchten Felsmassiv des Superstition Mountains heimlich nach Gold gräbt und sein Wissen mit ins Grab nimmt.

Stattdessen kommen Andere, die er mit seinen angeblichen Funden neugierig gemacht hat. Sie gehen eifrig daran, mit Hilfe dubioser Lageskizzen seinen verlassenen Stollen aufzuspüren oder sich am Fuße des Berges sogar mit tiefen Schächten einen anderen Zugang zu dem glänzenden Metall zu verschaffen. War diese Gegend am Ausgangspunkt des legendären „Apache Trails“ nicht auch die Heimat von Winnetou? George Johnston müsste es wissen. Als einstiger Präsident der „Superstition Mountain Historical Society“ kennt er sich hier bestens aus, wie seine anschauliche Führung durch das „Superstition Mountain Museum“ beweist. Aber Karl May und Winnetou? Fehlanzeige!

Apachenblut in Wildwest-Kulisse

„Wenn überhaupt Informationen, dann vielleicht weiter südlich in Tucson“, vermutet er und legt damit eine neue Fährte. Die Fahrt zu den „Old Tucson Studios“ führt wie mit einer Zeitmaschine mitten hinein in eine Wildwest-Stadt des 19. Jahrhunderts. Ist sie doch bis heute die perfekte Kulisse für alle hier in den letzten Jahrzehnten in dreistelliger Anzahl gedrehten Wildwest-Filme, von denen viele Klassiker wie  „Broken Arrow“ oder „Rio Bravo“ ihren Siegeszug um die Welt antraten.  

Joe Camarillo, dem das Indianerblut in seinen Adern gut zu Gesicht steht, genießt während seiner Führung offensichtlich den Nimbus, der diese Geisterstadt umgibt. Ob er wohl etwas weiß über den Winnetou-Mythos, der in dieser Gegend besonders die deutschen Besucher umtreibt? Natürlich habe er schon von Winnetou gehört, auch wenn hier in den Studios keine Filme zu diesem Themenkreis entstanden seien. In Tombstone jedoch gebe es ein Karl-May-Museum. Dort sei sicherlich mehr darüber zu erfahren.

Revolverhelden beim Schusswechsel

Vorbei an Wäldern von hoch aufragenden Saguaro-Kaktusbäumen führt der Weg immer weiter hinein in den Südosten von Arizona, wo sich die mexikanische Grenze bereits erahnen lässt. Hinter einer Ortseinfahrt erscheinen plötzlich verwegen aussehende Wildwest-Gestalten am Straßenrand, denen der Colt offenbar recht locker sitzt. Eine auf den ersten Blick brenzlige Situation – käme da nicht, rechtzeitig vor dem sich anbahnenden Schusswechsel, Wyatt Earp höchstpersönlich, um auf seine Weise Recht und Ordnung wieder herzustellen.

Kein Zweifel, das ist Tombstone, genau so, wie ihm sein schlechter Ruf seit alten Zeiten voraus eilt. Und das Karl-May-Museum? Einer der Revolverhelden zeigt mit dem Lauf seines Colts auf ein im Wind schwankendes Hinweisschild in einer der Seitenstraßen. Nein, drinnen war er auch noch nicht. Aber für die angereisten Spurensucher ist endlich ein weiteres Teilziel erreicht. Gleich im Eingangsbereich steht eine Vitrine, deren Exponate die handwerkliche Kunstfertigkeit der Apachen demonstrieren sollen. Darunter ein  in hellbraunem Leder gearbeiteter Mokassin – vielleicht sogar der Schuh des Winnetou?

Durchbruch des Winnetou-Mythos?

Im Hauptraum dahinter informieren Stellwände über den Autor Karl May anlässlich seines 100. Todestages. Und natürlich über die literarischen Welten, die ihm in einer schier unübersehbaren Anzahl von Buchbänden aus der Feder flossen. Die Karl-May-Stiftung in Radebeul und die nur wenige Kilometer von Tombstone entfernte „Apache Spirit Ranch“ beflügelt bei diesem Projekt offensichtlich gemeinsam der Wille, dem in Deutschland sprießenden Winnetou-Mythos ein Stück weit auch im Wilden Westen zum Durchbruch zu verhelfen.

Doch war sich Karl May damals selber bewusst, welcher Figur seine Fantasie zum Leben verholfen hatte? Literarische Vorläufer schloss er für seinen indianischen Helden aus. Aber gab es nicht zumindest historische Vorbilder, die ihm als Vorlage gedient hätten? Die Fährtensuche führt noch tiefer hinein in den von den Grenzlinien Mexicos und New Mexicos eingezwängten äußersten Südosten von Arizona. Eine bizarre Felslandschaft, bei kriegerischen Auseinandersetzungen sicherlich als Rückzugsgebiet bestens geeignet.

Bergformationen als Felsenfestung

Sie war einst, wie Luanne Mattson vom Cochise County erklärt, die Heimat des legendären Cochise, dem mächtigsten und einflussreichsten Stammesführer der Chiricahua Apachen. Ein Taktiker durch und durch, dazu umgeben von einem außerordentlichen Prestige, erwachsen aus den teils erfolgreichen Auseinandersetzungen mit den nachrückenden US-Truppen. Die mächtigen Dragoon Mountains dienten ihm dabei als Versteck und als Felsenfestung zugleich. Und schließlich sogar als steil in den Himmel aufragende Felsentreppe in die ewigen Jagdgründe.

Von ähnlich schroffem Aussehen waren die Chiricahua Mountains, die sich wie von Riesen erschaffene Burgzinnen mächtig vor jedem Angreifer auftürmten. Ein Gelände, in dem Cochise ebenfalls den Heimvorteil der Ortskenntnis  für seinen Guerillakampf zu nutzen wusste. Vom Massai-Aussichtspunkt öffnet sich noch heute der Blick über die Felsvorsprünge und tiefen Schluchten hinweg bis hinüber zur vorgelagerten Sandebene, an deren anderem Ende der Gebirgszug der Dragoon Mountains wie aus einem perfekt gestalteten Landschaftsmodell herauswächst.

Blutvergießen auf beiden Seiten

Doch auch die US-Armee spielte ihre Trümpfe aus, wie Park Ranger Kristin Sanderson während eines Fußmarsches entlang dem Apache Pass auf historischem Boden klarstellt. Denn diese hatte sich, heute noch gut erkennbar, mit Fort Bowie ebenfalls einen sicheren Stützpunkt geschaffen, von dem aus sie im Konfliktfall flexibel operieren konnte. Wie zum Beispiel während der legendären Bascom-Affäre, als der karrieresüchtige Leutnant George Bascom dem Häuptling Cochise mit fadenscheiniger Begründung  die Entführung eines Jungen vorwarf und es daraufhin auf beiden Seiten zu unnötigem Blutvergießen kam.

So klingt es fast wie ein Wunder, dass der einzige Vertraute des Häuptlings Cochise, Tom Jeffords, ausgerechnet ein Weißer war. Zwei Männer, die trotz gegensätzlicher Herkunft und Hautfarbe dennoch eine tiefe Freundschaft miteinander verband. Eine Zuneigung, die sogar soweit ging, dass allein der „weiße Bruder“ Kenntnis haben durfte über den genauen Beisetzungsort des Apachenhäuptlings irgendwo in der unübersichtlichen Felsenlandschaft von „Cochise Stronghold“.

Generationen überspannender Mythos

Häuptling Cochise und Tom Jeffords sogar denkbar als Vorlage für die Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand? So sehr eine positive Antwort auf diese Frage auch wünschenswert wäre, entzieht sich der Sachverhalt heute jedoch einer klaren Beurteilung. Autor Karl May selber trägt zu dieser Verwirrung bei, indem er die Personen seiner Winnetou-Bände zunächst mit historischen Vorbildern gleichsetzte. Eine Position, die er später jedoch widerrief, als er in Winnetou lediglich eine von Anfang an geplante Allegorie auf den „roten Mann an sich“ sehen wollte. Am Winnetou Mythos ändert dies voraussichtlich  nichts. Denn es ist nicht auszuschließen, dass dieser auch weiterhin die Generationen überdauert.

Reiseinformationen „Arizona Süd“

Anreise

Günstig mit US Airways ab Frankfurt und München nach Phoenix über Philadelphia bzw. Charlotte; als Mitglied der Star Alliance gute Zubringer nach/ab Frankfurt und München; www.usairways.com

Einreise

Mit Reisepass und Teilnahme am US Visa Waiwer Programm für eine elektronische Einreiseerlaubnis („ESTA“), https://esta.cbp.dhs.gov

Reisezeit

Ganzjährig bei über 300 Sonnentagen; wegen der trockenen Luft ist die Hitze auch in den Sommermonaten erträglich.

Reiseveranstalter

www.argusreisen.de (Ranchurlaub); www.fti.de; www.DetoursAZ.com(dt. Tourguide Johannes Rothbauer – Email: US-tourguide@email.de)

Unterkunft

Phoenix: www.marriott.com/phxmm; www.fiestaresortcc.com; Tucson: www.WhiteStallion.com; Tombstone: www.apachespiritranch.com; Cochise County: www.sunglowranch.com

Essen und Trinken

Tucson: www.RanchoDeTiaRosa.com; www.houseoftricks.com; Apache Trail: www.tortillaflataz.com; Tucson: www.WhiteStallion.com; Tombstone: www.CrystalPalaceSaloon.com

Auskunft

Arizona: www.arizonaguide.com; Tucson: www.visittucson.org; Tombstone: www.cityoftombstone.com; Cochise County: www.explorecochise.com

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