Attraktiver Topjournalist, ein Begriff aus den Public Relations, steht für einen Redaktor, dessen Berichte sich wie Werbung lesen, obwohl sie aussehen wie die im Inlandteil. Der Ausdruck tauchte auf, als eine Marketingfirma im Herbst 2012 zehn Journalisten in Zürich zu einem Anlass lud, an dem Vertreter von Tourismusunternehmen ihre Angebote vorstellten. Die Journalisten bekamen einen Brief mit 500 Franken, die meisten nahmen ihn mit. Die Sache warf Wellen, weil Bargeld floss. Doch was ist ein Couvert mit fünf Hunderternoten gegen eine Woche auf einem Luxusschiff, einschliesslich Flug, Essen und Trinken?
Im Codex des Schweizer Presserats, der die Rechte und Pflichten der Journalisten umschreibt, heisst es: «Sie vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit jede Form von kommerzieller Werbung und akzeptieren keinerlei Bedingungen von Seiten der Inserenten.» Und weiter: «Sie nehmen weder Vorteile noch Versprechungen an, die geeignet sind, ihre berufliche Unabhängigkeit und die Äusserung ihrer persönlichen Meinung einzuschränken.» Aber wo genau fängt diese Einschränkung an? Gefährdet das Sandwich, das es bei der Pressevorführung eines Films gratis gibt, bereits die Unabhängigkeit? Wann hört Freundlichkeit auf, wann beginnt Bestechung? Der Grat ist schmal.
Ausser Autojournalisten, die auf Kosten der Hersteller um die Welt fliegen und mal auf Mallorca, mal in Las Vegas über Teststrecken rasen, bekommen keine Journalisten von Berufs wegen so viel geschenkt wie die in den Reiseressorts. Sie sagen zu Recht, dass die Redaktionen die Reisen selber nicht zahlen könnten, dass sie die Reiseteile ohne die Gratisdienstleistungen dichtmachen müssten. Ausserdem sagen sie, dies habe auf ihre Arbeit keinen Einfluss.
Die Panoramasuite sprengt jede Vorstellung: Riesenwohnzimmer. Drei Schlafzimmer. Privates Fitness- und Wellnesscenter im Dachgiebel. Jacuzzi draussen auf dem Balkon, unter dem Sternenhimmel. A propos Preise: Pro Nacht, pro Person gibt’s einen 150-Franken-Gutschein, einsetzbar in allen «Alpina»-Restaurants. Weitere Fixpunkte im Hotel: der erste Six Senses Spa (25-Meter-Infinitypool, Salzgrotte, Hot Yoga, Hammam, Ayurveda-Arzt), das hauseigene Kino (!), eine grosszügige Cigar Lounge. – Schweizer Illustrierte
Meine Gruppe attraktiver Topjournalisten setzt sich aus zwei Frauen um die fünfzig zusammen, eine arbeitet als Freelancerin bei einem Zürcher Peoplemagazin, eine schreibt für ein Heft aus Bülach. Daneben der Mann mit dem Rollkoffer, der seine Frau mitgebracht hat. Ausserdem anwesend ist eine Abgesandte der Reiseagentur, eine junge, nervöse Frau mit Bauchtasche und Sonnenbrand. Und ich, Praktikant, unterwegs auf meiner ersten und letzten Pressereise, einer Flussfahrt von Luxor nach Assuan.
Es gebe, sagt Peter Brun, Kommunikationsleiter bei Kuoni, zwei Typen von Reisejournalisten: viele Zuverlässige und wenige Sorgenkinder, denen man wie eine Nanny hinterherrennen müsse. Mal lassen sie den Pass liegen, mal vergessen sie den Verlobungsring, mal setzen sie eine Sauftour auf die Rechnung des Veranstalters – oder versuchen es wenigstens. «Ich kenne Journalisten, die sich schon im Flughafen verirren und auch sonst selten mit offenen Augen unterwegs sind.» Journalisten, die vielleicht besser Ferien- statt Reisejournalisten heissen sollten. Das zeige sich auch bei der Arbeitsweise: Während die einen ständig Notizen machten und schöne Geschichten schrieben, würden die anderen nie etwas notieren, sondern die Reise einfach konsumieren, sich durch die Welt essen.
Als Highlight im Hotelalltag entpuppt sich das Frühstück: viele Bioprodukte, frischer Fisch und auf jedem Tisch eine Etagère mit Überraschungsleckereien – von Roastbeef bis zu schön dekorierten Joghurtschalen. Eierspeisen gammeln nicht in Metallbehältern, sondern werden frisch serviert. – Sonntagszeitung
Bevor wir nach Kairo fliegen und dort noch vor der Passkontrolle die Frau vom Peoplemagazin suchen müssen, zeigte sich mein Chef von seiner harten Seite. Die Flussfahrt sei kostenlos, sagte die Reiseveranstalterin, den Flug müsse die Redaktion übernehmen. Das sei so nicht üblich, sagte mein Chef und setzte sich durch. So drifte ich ein paar Wochen später an Palmen vorbei und entwickle eine heisse Liebe für den extrasüssen Eistee mit Hibiskusgeschmack.
Als wir auf halber Strecke ein Dorf besichtigen, geht die Frau des Topjournalisten auf eine Schar Kinder zu, hält ihnen die Kamera vor das Gesicht. Die Kinder wollen sehen, wie die Bilder geworden sind. Aber die Frau dreht sich weg und sagt mit einem Lächeln: «Don’t touch me.» Wieder auf dem Schiff, sagt die Angestellte der Agentur zu ihr: «Weisst du, was ich an dir bewundere? Wie du mit Kindern umgehen kannst.»
Am Ende unserer Werbetexte, die Monate später erscheinen, steht manchmal, dass die Reise von der Agentur «unterstützt» worden sei. Unterstützung heisst nicht nur, dass wir alles umsonst bekommen. Es heisst oft auch, dass die Geschichte vorgespurt ist: für eigene Ausflüge, für eigenständige Recherchen bleibt uns kaum Zeit. Das unterscheidet Pressereisen für Gruppen von solchen, die es Journalisten ermöglichen, kostenlos in ein Land zu gehen und selber nach Geschichten zu suchen, ohne sich an den Plan eines Veranstalters halten zu müssen. Solche Reisen liess sich auch das Folio schon zahlen oder vergünstigen. Ist das statthaft? Wir fanden: ja, weil wir den Lesern so eine journalistische Leistung bieten konnten, auf die sie sonst hätten verzichten müssen. Aber natürlich ist das nicht konsequent und macht auch uns zu Recht angreifbar.
Die Woche auf dem Nil besteht aus Tempelführungen, Dorfbesichtigungen, endlosem Dämmern auf Deck, ausufernden Gelagen an Land und einer Frage, die die Angestellte der Agentur fast stündlich stellt: «Ist es recht?» Einmal fragt sie auch, ob sie die Artikel lesen könne, bevor sie in Druck gingen. Wir sagen zu, natürlich unter Berufung auf unsere Unabhängigkeit. Dann schauen wir wieder auf den Nil, trinken aus den Teegläsern mit der Zuckerkrone am Rand und versuchen, woran wir während dieser Woche so oft scheitern: bis zum nächsten Essen mit dem Verdauen des letzten fertig zu werden. Es sei schade, sagt die Frau des Peoplemagazins, dass es keine Massagen gebe. Sie sei ein wenig verspannt.
Etwas aber hat mich tief beeindruckt: der Fitness-Analyse-Computer im Hotel Abama. Skeptisch lasse ich mir Elektroden an die Hände und auf die Stirn kleben und stelle meine Füsse auf zwei Metallplatten. Nach zwei Minuten Sitzen stellt die Maschine ihre Diagnose: «Sie sind gestresst.» Womit quasi wissenschaftlich belegt ist, dass auch Reisejournalismus harte Arbeit ist. – Tages-Anzeiger
Tobias Pogorevc, Pressesprecher bei Helvetic Airways, teilt Reisejournalisten in drei Klassen ein: Füller, Intellektuelle und Studenten. Die Füller tauchen bei jeder Infoveranstaltung auf, schreiben entweder für ein obskures Heft oder gar nicht mehr, behaupten aber, dass sie es täten. «Wir füttern sie durch. Das ist Teil der Rechnung. Wenn sie ein paar Brötchen essen und später ein paar Tage durch Italien reisen, ist das nur ein Verlust von ein paar Hundert Franken.» Das werde durch die «erstklassige Werbung» ausgeglichen, die die Intellektuellen leisteten: belesene Journalisten, oft alte Korrespondenten, die meist mehr über das Reiseziel wissen als die Veranstalter selbst. Bleiben die Studenten: junge, hungrige Leute, die übers Reisen in den Journalismus einsteigen wollen. «Weil Reisen viel Zeit in Anspruch nehmen, man dabei aber nur wenig verdient, sehen sie hier ihre Chance, zu schreiben. Für uns ebenfalls eine vielversprechende Gruppe – die Studenten machen oft einen tollen Job.»
Einigermassen stressfreies Gleiten auf dem Nil: Wenn nicht eine Führung auf dem Programm steht, hängen die attraktiven Topjournalisten in ihren Stühlen und schlafen. Sind sie nicht an Deck, liegen sie in ihren Kajüten und zappen durch die Kanäle. Es ist die Tonspur der Reise: das Surren der Klimaanlagen, das Dudeln der Fernseher, zwischendurch das Knarren der Edelholzplanken. Gehen wir an Land, schleppen die beiden Journalistinnen ständig drei oder vier Liter Wasser mit sich herum. Beim Verlassen des Schiffs stehen die Männer der Besatzung Spalier und verabschieden uns, die Topjournalisten sagen bye-bye. Wenn wir jeweils fertig gegessen haben, kommt einer von ihnen und schaufelt die Reste zusammen, später isst die Besatzung die Überbleibsel, zusammengekauert im Bug des Schiffs. Die Topjournalisten halten sich derweil gern achtern auf, geniessen die Aussicht, die nur selten von Riesenschiffen gestört wird, von denen Partymusik herüberweht. Die Peoplejournalistin sagt: «Grässlich.»
Der Sand ist weiss, die Palmen sind grün. Und dann ist in dem Bild noch ein wenig Platz für himmelblau (Himmel) und kanariengelb (Tragfläche des Flugzeugs). Es kann nicht Absicht eines Reiseschreibers sein, so zu schreiben, wie ein Reiseprospekt geschrieben ist, aber in diesem Fall würde man an der Geschichte vorbeischreiben, falls man anders schreiben würde. – Die Weltwoche
Jürg Mettler führt drei Hotels im Engadin und lädt immer wieder Journalisten zu sich ein. Er fasst zusammen: «Es ist wie bei allen Gästen: Schlimm sind nur wenige, dann aber richtig.» Zwar seien die Zeiten vorbei, in denen Starjournalisten oder solche, die sich dafür hielten, nur dann kamen, wenn bei ihrem Empfang der Champagner sprudelte. Die Zeiten, in denen Journalisten aus Deutschland verlangten, dass Mettler ihren Flug zahle. Aber noch immer gebe es solche, denen nur das Teuerste gut genug sei. «Bestellt wird nur der Wein für 150 Franken, gegessen nur das Entrecôte, gefahren nur mit dem Taxi, obwohl der Bahnhof nah ist.» Wenn mal wieder einer den teuren Wein bestellt, fragt sich Mettler ab und zu, warum die Journalisten eigentlich gekommen seien: «Zum Schreiben oder zum Trinken?» Vorsichtig geworden ist er auch bei Leuten, die Sätze sagen wie: «Ich schaue dann, wo ich den Text publiziere.» Seit er die Pressearbeit an eine Agentur ausgelagert habe, sei das aber kein Problem mehr. Solche Leute würden meist herausgefiltert. Es sei ihm jedoch wichtig zu sagen, dass viele Journalisten brauchbar seien. Mit einigen, sagt Mettler, sei er heute sogar befreundet.
Nach dem Rundgang durch den Tempel von Esna sitzen wir auf einer Mauer und hören dem attraktiven Topjournalisten zu. Er erzählt aus seinem Leben. Er hätte überall arbeiten können, sagt er. Aber er sei immer glücklich gewesen bei seiner Zeitung. All die Länder, all die Einblicke, das sei – doch dann müssen wir zurück zum Schiff. Auf dem Rückweg kommen wir an einem Markt vorbei. Als Händler den Topjournalisten bedrängen und auch nach gelächelten, geknurrten und gebellten Absagen nicht nachgeben, gerät der weitgereiste Mann ausser sich, erst fuchtelt er, dann boxt er sich frei. Auf dem Schiff, das Glas mit dem süssen Hibiskustee in der Hand, ruft er auf den Nil hinaus: «Diese Halunken!» Die Wut vergeht rasch, wenig später sitzt er still über seinen Unterlagen und isst Kekse. Bald gibt es Essen. Zum Abschluss tanzen wir in Gewändern wie aus der Antike und ordern nach dem letzten noch einen allerletzten Absacker.
Welchen Geschmack hat die eigene Bestechlichkeit? Den nach zu viel gutem Essen, zu viel überzuckertem Tee, Sonne, Alkohol und Schlaf. Doch eine Woche gemästet und abgefüllt zu werden, das war auch schön. Es war ein wenig, als wäre man noch einmal das verwöhnte Kind von früher. Es schmerzt, aus der Sonne in den Regen zurückzumüssen, plötzlich wieder alles selber zu zahlen. Im Flugzeug nach Zürich kommt noch ein Schmerz dazu: Zahnweh.
Anmerkungen:
Florian Leu ist Folio-Redaktor. Vorstehender Beitrag wurde in NZZ Folio erstveröffentlicht. Wir bedanken uns bei Herrn Leu und der Redaktion NZZ Folio, Zürich, für die Genehmigung zur Zweitverwertung im WELTEXPRESS.