Die Triangulierung ist ein intrapsychischer Prozess, der sich aber auch im zwischenmenschlichen Sozialraum, also in der Kommunikation abspielt. Sicher sind wir Menschen alle körperlich geboren und somit Individuen. Durch diesen äußeren Vorgang der Geburt ist aber noch lange nicht der innere Vorgang der Geburt der Subjektivität und Individualität gewährleistet, worin sich der Mensch von anderen Menschen unterscheidet, ist er noch nicht als differenziertes, integriertes und komplex wahrnehmendes Individuum geboren, der Unterschiede von sich selbst und der Umwelt wahrnimmt und sich eigenständig in seiner Welt entfalten kann. Dazu ist die Triangulierung als intrapsychischer Prozess notwendig. Die Zerstörung des Individuums wiederum erfolgt durch die Psychotraumatisierung. Was dies nun bedeutet oder wie das verstanden werden kann, soll im Folgenden veranschaulicht werden.
Entwicklung des Begriffs der Triangulierung
Das Konzept der „frühen Triangulierung“ hat erstmalig Ernst Abelin 1971 an der Schnittstelle des Trennungs-Individuations-Prozesses in der frühen Kindheit etwa ab einem halben Jahr formuliert und bezeichnet mit diesem Begriff den Prozess der Erweiterung der Dyade zur triadischen sozialen Beziehung. Die Schule der britischen Psychoanalytikerin Melanie Klein nennt diese erste Lebensphase paranoid-schizoide Position und deren Überwindung und den nächsten Reifungsschritt depressive Position. Diese führt zur Wiedergutmachung. In der paranoid-schizoiden Position sind in der Wahrnehmung des Säuglings Subjekt und Objekt noch nicht getrennt und unterschieden, sind miteinander verschmolzen. Die Bezeichnung paranoid stammt daher, dass wie in der Paranoia eigenes im Objekt und das Objekt im Selbst wahrgenommen wird, die Bezeichnung schizoid, weil frühe Wahrnehmungs- und Abwehrmechanismen wie Spaltung, Projektion und Introjektion vorherrschen.
Entwicklungspsychologisch tritt in der Mutter-Kind-Dyade (Zweierunion) mindestens eine dritte Person hinzu, meist der Vater. Dadurch findet die Triangulierung statt. Ist diese Dyade enttäuschend oder sogar traumatisierend, kann der Vater oder eine andere nahe Bezugsperson eine Korrektur, Wiedergutmachung oder sogar eine Errettung und Erlösung darstellen. Dieser erschließt also andere Bereiche außerhalb der Dyade, kann das Kind unterstützen, sich von der Mutter zu lösen, anderen Objekten zuzuwenden, Aggressionen zuzulassen, so dass Aggressionen gegen die Mutter, da Alternativen bestehen, nicht den Untergang bedeuten und Liebe und Aggressionen nebeneinander bestehen können. In der frühen Triangulierung nach Abelin geht es um die Abgrenzung als eigene Person, die vom Umfeld zugelassen werden muss, etwa dass ein trotziges Kind auch trotzig sein darf und sein eigener Wille nicht unterdrückt wird. Sicherlich haben die meistgelesenen pädagogischen Bücher des Arztes Schreber Ende des 19. Jahrhunderts, wo die Devise galt, der Wille des Kindes ist um jeden Preis zu brechen, Auswirkungen bis heute.
Sigmund Freud und seine Schule der Psychoanalytiker sehen die Triangulierung in der ödipalen Phase, der Dreierkonstellation Vater, Mutter und Kind, deren Beziehungen untereinander, Interessen und Rivalitäten, deren Grenzen, dass etwa der Sohn zwar die Mutter begehren, aber nicht heiraten und den Vater nicht umbringen darf. Das Realitätsprinzip beinhaltet, dass das Kind seine Grenzen akzeptiert und mit ihnen zu leben vermag. Interessant ist das Konzept der Systemtheorie und –therapie, die unter Triangulierung die Einbeziehung des Kindes in die Konflikte der Eltern versteht, beispielsweise nach einer Scheidung, wobei das Kind als Bündnispartner im Kampf gegen den Partner eingesetzt und benutzt wird, sich etwa mit Hilfe des Kindes an diesem zu rächen. Nach den vorherigen Konzepten bedeutet dies mehr eine fehlende Triangulierung. In der Triangulierung nach Freud geht es um die Beziehungen zu den und Auseinandersetzung mit den Bezugspersonen, wobei für diesen Entwicklungsschritt das Gelingen der frühen Triangulierung Voraussetzung ist. Diese Hervorhebung der dritten Person in sich selbst steckt sicherlich auch in den Konzepten von Abelin, Freud und der Systemtheorie, in der ebenfalls die Selbstwahrnehmung in der Einbeziehung wichtig ist, und kann Folge der Verinnerlichung der dritten Person sein.
Triangulierung als intrapsychischer Prozess
Die frühe Erfahrung der Dreier- oder Mehrfachbeziehung und -konstellation wird im Laufe des Lebens verinnerlich und somit im fortschreitendem Alter zu einem intrapsychischen Prozess. Deswegen erscheint es mir selbst nützlich, bei der Triangulierung als dritte Position die Selbstreflexion und Selbstbetrachtung hervorzuheben, die eigenen Phantasien, Bilder, Träume, den eigenen Glauben, eigene Hintergründe und Zusammenhänge, also die innere Realität und Befindlichkeit und das resultierende Verhalten zur Umwelt wahrzunehmen. Man kann auch von einer reifen Identität sprechen, die Differenzierungen und komplexe Verhältnisse erfasst.
Im zwischenmenschlichen Bereich ist die Triangulierung die Voraussetzung für die assoziative Kommunikation, ein Begriff, den ich zwar irgendwo aufgeschnappt habe, der mir aber zur Veranschaulichung bestens geeignet erscheint. Jeder Mensch ist für sich selbst und für das Umfeld, seinem Sozialraum, mit einem Bündel oder einer Aura von Zuschreibungen, Bedeutungen und Wertigkeiten begleitet und umgeben, die seine Befindlichkeit bestimmen. Im Gegensatz zur dissoziativen Kommunikation, wo Befindlichkeiten, Gefühle, Wahrnehmungen, Sichtweisen, Werte, Bedeutungen und Interessen von Menschen nicht berücksichtigt, unterdrückt und über ihre Köpfe hinweg nicht wahrgenommen werden, ist in der assoziativen Kommunikation dies alles berücksichtigt. Den Begriff „assoziativ“ habe ich gewählt, da alle Einfälle und Assoziationen auf dem Bilder-, noch nicht auf einem fixen Realitätsniveau wie bei der Dissoziation zugelassen sind, diese einen vorübergehenden und subjektiven Charakter haben. Sie ermöglicht eher Konsens, Kooperation und Kompromisse, womit alle Beteiligten einverstanden sein können. Jeder weiss, wie häufig das nicht der Fall ist.
Dieser innere Vorgang kann durch eine dritte Person eingeleitet werden, setzt aber voraus, dass Mutter und Vater sich unterscheiden, also sich uneins sind, etwa, dass die Mutter das Kind böse, der Vater aber oder andere wichtige Bezugspersonen es als gut wahrnehmen. Sind sich Vater und Mutter, eventuell noch das weitere Umfeld weitgehend einig, etwa, dass das Kind böse oder eine Schande ist wie früher das uneheliche Kind, hat es geringe Chancen zur Erlangung der Wiedergutmachung.
Jeder Mensch wird in seiner Kindheit geprägt. Er lebt also heteronom, fremdbestimmt und vielfach determiniert. Innerhalb dieser Heteronomie wie Normen, Regeln und Zuschreibungen, dadurch seine Befindlichkeiten, entfaltet er seine Autonomie. Er lebt also nach einer heteronomen Autonomie. Der Unterschied ist nur, ob er mehr von einem gutem oder für ihn schlechtem Umfeld geprägt ist. Der wichtigste Mechanismus, der die Entwicklung der dritten Person in sich selbst verhindert, ist nach Melanie Klein die Projektive Identifizierung. In ihr projiziert das primäre Umfeld eigene negativ erlebte Anteile, nimmt also eigenes Böses im Kind wahr, das dieses übernimmt, sich also mit dem Bösen identifiziert. An dieser Schnittstelle der Verschmelzung oder Trennung von Personen kann die dritte unterstützende Person rettend sein.
Vorausschickend etwas grundsätzliches zur Wahrnehmung, zumindest so, wie ich es gegenwärtig, wohl nicht für alle Zeiten sehe: Ähnlich wie der Mensch von der Aussenwelt und dem ungeheuren Universum nur kleinste Ausschnitte wahrnehmen kann, kann er nur kleinste Ausschnitte des eigenen Innenlebens wahrnehmen. Im Laufe seines Lebens hat er sich einen ungeheuren Erfahrungsschatz angeeignet, von dem immer nur ein sehr geringer Anteil in die Wahrnehmung treten kann. Im Inneren ist es wie eine Landschaft, von der er nur kleinste Teile sieht wie ebenfalls von der Landschaft aussen und der Erde. Viel weniger als die Spitze eines Eisberges wird sichtbar, der grösste Teil bleibt unsichtbar und unbewusst. Von der Aussen- und Innenwelt weiss er folglich wenig, so dass einer der berühmtesten Philosophen des griechischen Altertums, Sokrates, zu recht sagen kann „Ich weiss, dass ich nichts weiß!“ Je mehr der Mensch weiss, desto mehr eröffnet sich ihm der Blick zu dem, was er nicht weiß. Aus Wissen entsteht also Nichtwissen. Innerhalb des Wissens dies Nichtwissen auszuhalten und sogar förderlich umzusetzen, wo alle Welt um Wissen und Objektivierung bemüht ist, ist wohl eine der wichtigsten Künste des Lebens. Diese Kunst mobilisiert den menschlichen Forschungsdrang.
Hinzu kommt, die Wahrnehmung der Außenwelt erfolgt immer mit inneren Bildern, der Innenwelt. Da diese Innenwelt nur in winzigen Ausschnitten erfahrbar ist, werden mit ihnen winzige Ausschnitte der Außenwelt, des Universums wahrgenommen. Diese inneren Bilder sind Folge des subjektiven Erfahrungsschatzes, sodass für den Menschen die Außenwahrnehmung immer subjektiv sein muss. Es gibt zwar objektiv vorhandene Dinge, aber nicht für den Menschen. Auch die scheinbar objektive Naturwissenschaft, nach der auch vieles wiederholbar funktioniert, ist mit menschlichem Geist erfasst und mit seinen Werkzeugen geschaffen. Durch zwangsläufige Bewegung und Veränderungen innerhalb der Zeit erweitert der Mensch seinen Erfahrungsschatz und Horizont, nimmt mehr von innen und aussen wahr, so dass der innerhalb des Universums winzige Mensch großartiges geschaffen hat.
Da der Mensch im sozialen Kontext lebt, gehört auch die Betrachtung anderer dazu, diese ähnlich wie sich selbst zu betrachten und zusätzlich sich selbst im Sozialraum wahrzunehmen. Deren Innenleben kann zwar man nie so genau wissen, aber man kann wissen, dass es vorhanden ist, und aus Aussagen, Verhaltensweisen und Folgen für sich selbst Rückschlüsse ziehen.
Durch die Wahrnehmung anderer kommen wir zu dem Begriff der Empathie, einer menschlichen Eigenschaft, des Einfühlungsvermögens in sich und andere. Diese besitzt wohl der Mensch als einziges und einzigartiges Wesen. Die Einfühlung in andere setzt die Selbstwahrnehmung der eigenen Person und die Unterscheidungsfähigkeit zwischen sich und anderen voraus, die Unterscheidung, dass im Innenleben anderer zwar Ähnlichkeiten, aber keine total identischen Abläufe vorhanden sein können. Eine totale Gemeinsamkeit, etwa dass der Andere identisch wie ich erlebt, ist eher eine „falsche“ Empathie und Ausdruck des Fortbestehens der paranoid-schizoiden Position.
Die depressive Position, Ausgleich und Wiedergutmachung von Spannungen, Unwohlsein und Schmerzen des kleinen Kindes wird normalerweise durch Tröstung, Beruhigung, Verzeihlichkeit und Gelassenheit des Umfeldes, vor allem der Mutter, erreicht. Oft liegt jedoch die Ursache der Spannungen des Kindes in Spannungen des Umfeldes, Ängsten, Sorgen, Schuldgefühlen, Zerstrittenheit und Aggressionen der Mutter und Eltern, die sich auf das Kind übertragen. Das Kind schreit, weil etwas, nämlich das Kind in der Mutter schreit. Dann sind Trost, Beruhigung und Verzeihung schwer möglich.
Oft ereignet sich sogar eine Rollenumkehr, die Paternalisierung, wobei das Kind die sich sorgende und ängstigende Mutter beruhigt und tröstet, also Mutter für die Mutter ist. Die Paternalisierung stellt einerseits eine ungeheure Belastung für das Kind dar, andererseits kann es aus ihr einen grossen Gewinn und ein Grössenbild schöpfen. Das kleine Kind beruhigt die grosse Mutter, und diese ist von seinem Verhalten abhängig. Das aus dieser Konstellation gewonnene und verinnerlichte Grössenbild kann jedoch im späteren Leben zu Schwierigkeiten führen, wenn nicht mehr diese ungleichen, diskrepanten Verhältnisse bestehen.
Urvertrauen
Diese differenzierte Betrachtung in der Triangulierung setzt allerdings ein einigermassen gutes Selbstwertgefühl, Selbstakzeptanz, -wertschätzung oder -anerkennung und Selbstvertrauen und Vertrauen in die Umwelt voraus. Der heranwachsende Mensch muss gute Erfahrungen mit sich und dem Umfeld gemacht haben, ein Urvertrauen erworben haben. Meiner Ansicht nach ist der Reifungsschritt der Triangulierung nicht unbedingt an eine dritte Person wie den Vater gebunden. Das kann auch eine einzelne Person vermitteln, etwa eine allein erziehende Mutter. Leider sind die Mütter aber oft deswegen allein erziehend, weil sie diese reife Fähigkeit nicht ausreichend entwickelt haben.
Anlagebedingt hat das menschliche Gehirn, sein Geist und seine Seele, die Fähigkeit, unter günstigen und förderlichen Bedingungen die Reifung in der Triangulierung zu erreichen, unter ungünstigen Konfliktbedingungen komplett wie in der Schizophrenie oder in Teilbereichen auf der paranoid-schizoiden Position zu verhaften. Gelingt es nicht, die depressive Position und Wiedergutmachung zu erreichen, kann der Mensch mit der ganzen Konflikt- und Krankheitspalette reagieren. Das ist ebenfalls seine Anlage und wird in den Genen weiter vererbt.
Die Wahrheit und die Wahrnehmung
Um die innere Fähigkeit der Triangulierung zu veranschaulichen, beginnen wir mit der Wahrheit. Diese ist abhängig 1. vom Standpunkt des beobachteten Gegenstandes oder Menschen, 2. vom Standpunkt des Beobachters, 3. dadurch der Perspektive, 4. den Interessen und Wünschen, 5. der Beleuchtung und 6. der Zeit. Die Wahrheit ist also eine Frage der subjektiven Wahrnehmung. Eine objektive oder absolute Wahrheit wird es wohl für den Menschen nicht geben, wenn sie auch oft genug vertreten wird. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen sind für viele Menschen jedoch unerträglich, und sie streiten sich um die Wahrheit, etwa um Erinnerungen oder was richtig oder falsch ist.
Durch zwangsläufige Bewegungen innerhalb der Zeit verändern sich die Standpunkte des beobachteten Gegenstandes und Beobachters, dadurch die Perspektive, oft sogar die Interessen und all dies wird im Lichte der jeweiligen Erfahrungen, der Beleuchtung, wahrgenommen. Jeder Mensch hat trotz vieler Gemeinsamkeiten unterschiedliche Erfahrungen. Über die persönlichen Erfahrungen hinaus werden Erfahrungen über Generationen hinweg in Familien und Völkern, von Eltern zu Kindern und Kindeskindern weiter gegeben. Transgenerationelle Erfahrungen sind oft nicht benennbar und werden dem Kind nicht bekannt. Es wird also oft nach Hintergründen behandelt, auf es eingewirkt, die es nicht kennen kann, die häufig die Eltern selber nicht kennen. Vor allem durch die Beleuchtung wird das Leben zu einer Konstruktion. Die Wirklichkeit ist konstruiert und unterschiedlich. Für einen differenziert und komplex wahrnehmenden Menschen gibt es die Wahrheit nicht.
Erfahrungen, auch oder sogar vor allem die unsichtbaren und unbewussten, prägen weiterhin den Zukunftsentwurf, nämlich gute Erfahrungen machen Hoffnung, schlechte das Gegenteil. Also ist das Verhalten sehr auf die Zukunft ausgerichtet. Hinzu kommt, da alle Dinge und Menschen Vor- und Nachteile, Sonnen- und Schattenseiten in sich tragen, muss bei Interessen und Wünschen eine Ambivalenz herrschen. Gutes wird erwünscht, schlechtes nicht und, was gut oder schlecht ist, stellt sich häufig erst im Nachhinein heraus. Oft sind die Vor- und Nachteile ziemlich gleichwertig wie bei einer ausgewogenen Waage, so dass es gar nicht so wichtig ist, was man gerade tut oder anstrebt, und man sich bei gutem Urvertrauen durchaus den Zufällen des Lebens überlassen kann.
Im nächsten Teil der Serie wenden wir uns frühkindlichen Umständen zu, die das Erreichen der Triangulierung, der inneren dritten Position, der inneren Geburt des Subjekts und der Wiedergutmachung verhindern, sodass der Mensch meist in Teilen seiner Persönlichkeit in der paranoid-schizoiden Position verharrt.