Gelegen als kapitalistischer Sumpf im roten Meer, bot Westberlin bis 1990 allerlei bunten und verwegenen und jungen Menschen Obdach, Schutz vor der bösen Bundeswehr. Mit seinem Hauptbiotop Kreuzberg gab es einen wunderbaren Ort, fernab von der westdeutschen Kleinstadt mit ihrer Pein, wo man mit seinesgleichen langsam wegnicken konnte. Das Jobcenter hieß noch Arbeitsamt und war ein Ort der Freude, wie insgesamt das gute, alte Füllhorn Westberlin regierte.
Der Künstler Wolfgang Müller hat nun auf 600 Seiten die schöne Westberliner Zeit zusammengefasst. Alles war irgendwie Tödliche Doris, zumindest dreht sich Müllers Westberliner Kosmos um die Band Tödliche Doris, er ordnet sein Westberlin um die Zeit vor, während und nach Doris. Ein enger Blick, doch umso intensiver, da er seinen privaten Mikrokosmos auseinanderpflückt. Das ist natürlich eine ungeheure Fleißarbeit. Der insgesamt eher plauderige Ton, der sehr, sehr nah an der Westberliner Aufgeblasenheit ist, überzeugt den Leser. Der Autor weiß vom bürgerlichen Vorleben mancher Protagonistin und lässt Intimes nicht unerwähnt, insgesamt ist sein Blick mitunter etwas abfällig und scheint auf Bloßstellung aus, original Marktplatz Westberlin? Ein Buch für Erinnerungshoteliers, ein redseliger Westberliner Reiseführer.
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Wolfgang Müller, Subkultur Westberlin 1979-1989, Freizeit, 600 Seiten, Abbildungen, gebunden mit Lesebändchen, Philo Fine Arts Hamburg, 2. überarb. Auflage 2013, ISBN: 978-3-86572-671-1, 24 Euro