Bei der DGCH ist die Bundeswehr als Kooperationspartner willkommen. Sie wird auch auf den nächsten Chirurgenkongress im April erneut präsent sein. Vielleicht irkt unterschwellig noch die »Theorie« des ehemaligen Präsidenten der Gesellschaft, Georg Magnus (NSDAP 1933), der Krieg sei der große Lehrmeister der Chirurgie und habe medizinische Erkenntnisse gefördert. Das wird trotz der katastrophalen Folgen beider Weltkriege immer wieder postuliert, zum Beispiel in der Ausstellung »Krieg und Medizin« im Deutschen Hygienemuseum Dresden im Jahre 2009. Auch die DGCH ist wieder auf diesem Kurs. Der Einsatz in »Krisen- und Konfliktregionen« (Krieg sagt man nicht) erfordere hochqualifizierte Chirurgen. Die versorgen bei Bundeswehreinsätzen die verletzten »Einsatzkräfte« der eigenen und der verbündeten Streitkräfte, aber auch, »im Rahmen freier Kapazitäten«, die Zivilbevölkerung. »Die Bedeutung dieses anspruchsvollen Arbeitsfeldes wird vielfach unterschätzt, dementsprechend ist es auch hier notwendig, den chirurgischen Nachwuchs gut auszubilden und zu versuchen, motivierend einem möglichen Mangel entgegenzuwirken. Um die chirurgische Versorgung der Soldaten auch zukünftig zu sichern, müssen sich auch weiterhin junge Ärzte für diesen Berufsweg entscheiden«, erklärte der Präsident der Gesellschaft, Professor Dr. med. Peter M. Vogt, vergangene Woche in einer Pressekonferenz in Berlin. Ansprechend sei die fachliche Vielfalt im Auslandseinsatz, die eine komplexe Ausbildung erfordere.
Wie interessant die Ausbildung »im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Afghanistan« (zum Beispiel in Afghanistan, in Afrika und »aktuell beim NATO-Einsatz an der türkisch-syrischen Grenze«) ist, erläuterte Dr. med. Gerhard Achatz, Oberstabsarzt am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. In »Krisen- und Konfliktregionen« begegneten die Ärzte Verletzungen, die im Klinikalltag »eher selten« sind: Schuß- und Explosionsverletzungen. Damit erweitere sich das operative Spektrum gegenüber der geregelten Arbeit in der Klinik zu Hause. Der Auslandseinsatz sei eine große fachliche, zudem persönliche und menschliche Herausforderung, weil auch psychische Belastungen durch Verwundung und Tod von Kameraden auf einen einwirken können. Ihre Erfahrungen könne die Bundeswehr dann für die notfallchirurgische Versorgung in Deutschland anbieten. Das meint auch Professor Vogt: »Die zivile Chirurgie kann von der Wehr-Chirurgie viel lernen, etwa über bestimmte Arten von Verletzungen, die in diesem Bereich besonders häufig versorgt werden.« Klar, wo Krieg, Tod und Verstümmelung als unvermeidlich angesehen werden. Man folgt der Gedankenkette: Krieg als Sachzwang, medizinische Versorgung im Kriege als Sachzwang, Nutzung der Erfahrungen durch die Chirurgie – der Krieg als großer Lehrmeister der Medizin. Die Medizin braucht den Krieg. Bei dieser Logik wird die Medizin nicht zur Lösung, sondern zum Teil des Problems. Wohlgemerkt: hier sei nicht die Pflicht des Arztes in Frage gestellt, zu heilen und Leben zu erhalten. Doch die Chirurgie gibt es auch ohne Krieg, vornehmlich die großen Errungenschaften bei der Organtransplantation, und Verletzungen durch Arbeits-, Verkehrs- und Sportunfälle vermag die Unfallchirurgie mit der entsprechenden Forschung und Lehre zu bewältigen.
Frage eines Journalisten am Rande: ob die Bundeswehr darauf vorbereitet sei, dass in Deutschland in den nächsten Jahren mehr Splitterchirurgie, zum Beispiel durch Anschläge von Terroristen aus dem Lager des Islamischen Staates benötigt werde. Für solche Fälle gäbe es genügend zivile und militärärztliche Spezialisten, meint Achatz. Von anderen Gefahren wurde nicht gesprochen.
Kriegseinwirkungen beschäftigen nicht nur die Chirurgen. 2009 lief auf ARTE der Film »PTBS – die Posttraumatische Belastungsstörung. Unsichtbar verwundet« von Piet Eekman. Es geht um Bundeswehrsoldaten, die aus den Auslandseinsätzen seelisch krank und zerstört zurückkommen. Heilmethoden werden erörtert. Der Regisseur fragt den Chef einer Psychiatrischen Klinik nach dem geeigneten Mittel. Der sagt: »Kein Krieg, das wäre das beste.«