Sie alle wurde herzlich begrüßt vom Buchmessenchef Juergen Boos, der wie kein zweiter derzeit in zwei Welten lebt: die Abschlußtage mit dem Ehrengast Argentinien und die Vorbereitung und auch Vorfreude auf das nächste Jahr mit Island: „Island ist weltweit einer der kleinsten Buchmärkte, aber unglaublich produktiv. Die Kreativität der isländischen Autoren ist sagenhaft, und ich bin gespannt auf die Überraschungen die der Ehrengast 2011 für uns bereithält.“, was die Kulturministerin Jakobsdóttir damit erwiderte, wie sehr sie sich für Island freue, eingeladen zu werden und die reichhaltige und vielseitige Landeskultur einem internationalen Publikum zu präsentieren: „Wie wichtig uns dies ist, zeigt sich daran, daß nach der Finanzkrise die staatliche Förderung des Projektes um keine Krone gekürzt wurde – als einziger Teil des isländischen Haushalts.“
Allein der Begriff „Island“ ruft in den meisten Deutschen Emotionen hervor, die von „Kälte und Eis“ über „Herzlichkeit und Gemüt“ über „Krimis und dunkle Leidenschaften“ bis zu „Musik, sprich Björk, und rotbuntige Kleidung“ geht. Halt, die Sagas nicht zu vergessen: Die Island Sagas und die spuckenden Geysire, die Gletscher, Wasserfälle und die Vulkane, von denen der unaussprechliche und plötzlich aktiv gewordene Eyjafjallajökull all denen, die nicht mehr per Flugzeug nach Hause kamen, in unauslöschlicher Erinnerung bleibt.
Da es aber um die Buchmesse geht, spielen nicht die wilde Natur und nicht die Größe der Insel im Nordatlantik und auch nicht ihre 320 000 Einwohner eine Rolle, sondern die überproportional vorhandene Kulturszene mitsamt einer Literaturproduktion, die ihresgleichen sucht und beantwortet wird von einer enthusiastischen Leserschaft. Längst nicht mehr nur in Island, denn sowohl die Romanliteratur wie auch die isländischen Krimis – Arnaldur Indridason und Yrsa Sigurdardóttir – haben längst einen Kultstatus errungen – auch bei den Deutschen, die überhaupt eine sehr positive Beziehung zum sagenumwobenen Island haben.
Insofern wird alles, was sich das Komitee zum Auftritt „Sagenhaftes Island“ auf der Buchmesse ausdenken wird, auf offene Ohren, Augen und Hirn stoßen. Direktor Gudmundsson fing mit der Tradition der Island Sagas an, die wir gleich zu Hause eingepackt hatten und nun herausholten, denn sie sind der wichtigste isländische Beitrag zur Weltliteratur, die „Heldenepen“, „Erzählkunst“ und „Historische Fahrten und Abenteuer“, in der alten Ausgabe bei Diederichs, die, das erfuhren wir auf der Pressekonferenz, im Fischer Verlag eine kommentierte Neuübersetzung der Islandsagas – íŒslendingasögur – erhalten wird, die von den ersten Siedlern auf Island vor 930 bis etwas 1030 reichen und über die wir gesondert berichten.
Das Besondere daran ist nämlich, daß die Sagas in der Volkssprache geschrieben wurden, die bis heute lesbar ist, worauf eben der Direktor des Gastlandauftrittes einging: „Island ist eine Literaturnation. Nicht nur, weil jährlich pro Kopf acht Bücher gekauft und pro tausend Einwohner doppelt so viele Titel veröffentlicht werden wie in den anderen nordischen Ländern, sondern auch, weil sich die Isländer seit dem 13. Jahrhundert in ihrer Literatur spiegeln, die bis in die Gegenwart eine zentrale Rolle für das Selbstbild der Bevölkerung spielt. Da sich unsere Sprach bis heute kaum veränderte, hat jeder Isländer einen direkten Zugang zur Mittelalterliteratur. Das ist in Europa einzigartig.“ Das stimmt.
Auf den Schreibdrang der Isländer, der nur noch vom Lesedrang überholt wird, ging Autor Sjón ein, dessen Roman „Schattenfuchs“ auch in Deutschland beachtet wurde und der auch dadurch Renommee hat, daß er Texte und Stücke für Björk geschrieben hat, die ebenfalls sagenhafte isländische szenische Sängerin. Warum also die Isländer derart ausufernd Geschichtenerzähler – eben auch auf dem Papier – waren und sind, stellt sich ihm so dar: „Die Gründe sind umstritten. Manche schreiben es den unbändigen Naturgewalten zu, die jahraus, jahrein gnadenlos auf dieses arme Volk hernieder prasseln, andere beschuldigen die weißen Nächte, die unverdorbene Wildnis und die Reinheit des Trinkwassers. Dann wiederum gibt es jene, die klug genug sind, sich den Teufel darum zu scheren, sollte die Frage ihnen jemals überhaupt in den Sinn kommen und die einfach die Seite des isländischen Romans oder Gedichtbandes umblättern, den sie gerade in Händen halten”¦“
„Liest man ein isländisches Buch, dann spürt man die jahrhundertealte Erzähltradition und die Erzählkunst, in der die Autoren, ihre Figuren und Geschichten stehen. Geschichte, die in den einzigartigen Landschaften Islands speilen. Diese Mischung aus Tradition, Kunst und Natur macht die isländische Literatur in vielerlei Hinsicht ’elementar`.“, fügte Programmleiter Thomas Böhm hinzu.
Ein Genuß war es, Steinnunn Sigurdardóttir zuzuhören, die mit „Herzort“ 1996 den isländischen Literaturpreis erhielt und deren nächster Roman „Der gute Liebhaber“ bei Rowohlt erscheint. Sie wohnt derzeit in Berlin und spricht so gut Deutsch wie viele Isländer, bescheinigt aber im Umkehrprozeß den Deutschen, sehr schnell und sehr gut Isländisch zu lernen. Sie traf den persönlichen, gleichwohl nicht geschwätzigen Ton, der im oft formalisierten Literaturbetrieb verloren geht: „Wie ist es, über Island, auf Isländisch, aus der Ferne zu schreiben? Auf diese Frage muß ich manchmal antworten, weil ich seit meiner Studienzeit in Dublin mit einem Fuß im Ausland bin. Ich habe sieben Jahre in Frankreich gelebt, bevor ich zuletzt nach Berlin zog. Die richtige Entfernung ist eine wichtige Sache beim schreiben. Die alten Birken vor meinem Arbeitszimmerfenster in Selfoss sind mit die liebste Aussicht auf der Welt, aber sie versperren mir mit der Zeit die Sicht. Island sieht man am besten durch die Kirchtürme in Kreuzberg hindurch, über den Fußballplatz auf der anderen Seite der Straße hinweg.“
Das ist eine richtige Sicht auf die einen, die anderen dagegen müssen den Geruch, die Geräusche, die Stimmungen aufnehmen können, um Verdichtungen zustandezubringen. Wie es mit dem einzigen Literaturnobelpreisträger Halldór Laxness war, das wollen wir demnächst herausfinden, wenn wir uns – nach der Buchmesse – verstärkt dem nächsten Gastland zuwenden. Das machte es uns auch leicht, denn ab Herbst 2010 stellt „Sagenhaftes Island“ in Kooperation mit dem Netzwerk der Literaturhäuser, dem Goethe-Institut, Verlagen, Buchhandlungen, Bibliotheken, Literaturfestivals und anderen Partnern in einem breit gefächerten Veranstaltungsprogramm die isländische Literatur vor. Was mit den Filmen ist, das wollen wir auch noch herausfinden. Es fängt ja erst an, mit dem Gastland 2011, dem Ehrengast Island.