Organisiert wurde das Referendum durch die Bürgerinitiative Soste To Nero und nicht von der Stadt. „Es ist ein privates und kein öffentliches Referendum“, erklärt Giannis Konstantinidis, Professor für Ingenieurswissenschaften und Mitinitiator der Initiative. „Die Stadt Thessaloniki verfügt nicht über die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen. Aber wir glauben, dass wenn genügend Leute abstimmen, dies Druck auf die Regierung ausübt.“
Referendum trotz Verbots aus Athen
Und es kamen genügend Leute. Die Hoffnung der Veranstalter war es, durch die organisatorische Kopplung an die Kommunalwahlen eine repräsentative Anzahl Bürger an die Urnen zu bringen. Mehr als die Hälfte der Wähler stimmten auch für das Referendum ab. „Viele Menschen kommen zur Abstimmung und nehmen nicht an der Kommunalwahl teil“, berichtet eine freiwillige Helferin in einem Wahlbezirk im Ostteil der Stadt, wenige Stunden vor Schließung der Wahllokale. Zum Schluss gaben 40% der gut 500.000 Wahlberechtigten ihre Stimme ab – ein Erfolg, der die kühnsten Erwartungen der Organisatoren übertraf.
Unerwartete Unterstützung kam von der Regierung aus Athen. Am Samstag Mittag, keine 24 Stunden vor Öffnung der Wahllokale, erklärten Innenministerium und der oberste Gerichtshof das Referendum für illegal. Sie begründeten dies mit den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen, untersagten den Veranstaltern des Referendums ihre Urnen in den Wahllokalen aufzustellen und kündigten Strafen an für alle, die Wahllisten aushändigten. „Das ist nur ein Bluff der Regierung“, kommentierte Juán Antonio Julián, Koordinator der internationalen Wahlbeobachter, das abrupte Vorgehen der Regierung. „Wir glauben sogar, dass dies der ganzen Sache noch einmal an Schub verliehen hat.“
Und er behielt Recht. Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Keiner der internationalen Beobachter, die in Delegationen aus Deutschland, Schweden, Italien, den Niederlanden, Bulgarien, Frankreich und Österreich angereist waren, meldete besondere Vorkommnisse. Sie lobten sogar die gute Organisation von Seiten der Veranstalter, besonders vor dem Hintergrund der abrupten Änderungen, die nach dem Athener Verbot vorgenommen werden mussten. Die Wahlurnen wurden vor den offiziellen Wahllokalen positioniert und die Wahllisten auf Vor- und Nachnamen reduziert, um jede Verbindung zu den Kommunalwahlen auszuschließen.
Der europäische Gedanke ist basisdemokratisch
Obwohl das Referendum in Thessaloniki in den ausländischen Medien nahezu unkommentiert blieb, ist es als Teiletappe auf dem Weg zu einem demokratischeren Europa zu werten. Nach der ersten erfolgreichen European-Citizens-Initiative-Kampagne Right2Water, die sich mit mehr als 2.000.000 Millionen Stimmen europaweit allgemein gegen die Privatisierung von Trinkwasser aussprach, sowie ähnlichen nationalen Aktionen beispielsweise in Berlin und Paris, zeichnet sich ein deutliches Bedürfnis aller europäischen Bürger nach mehr Mitbestimmung ab.
Dies wird nicht nur durch die zahlreichen Solidaritätsbekundung in den sozialen Netzwerken deutlich, sondern auch an den Menschen vor Ort. Hunderte von Helfern aus Thessaloniki sorgten für einen reibungslosen Ablauf. Die Stimmung war friedlich. Das Referendum verlief bestimmt und zivilisiert. Unterstützer waren auch aus anderen europäischen Ländern angereist, unter ihnen Claus Kittsteiner aus Deutschland. Offiziell als Beobachter für den Berliner Wassertisch vor Ort, wanderte er von einem öffentlichen Auftritt zum nächsten, gab Radio- und Fernsehinterviews und warnte die Menschen vor den Gefahren der Privatisierung.
Ein vereintes Europa führt nicht am Volk vorbei
Das für viele bereits totgeglaubte Europa zeigt dabei vor allem eins: Trotz Krisenpolitik und Zwangsprivatisierungen, trotz mangelnder Transparenz der Verwaltungen und der Wirtschaft: Politik ist Sache des Volkes. Der Weg zu einem vereinten Europa darf nicht an der Einbeziehung der Bürger in politische Entscheidungen vorbeiführen. „Es geht hier nicht einfach um Wasser, sondern um die Demokratie als solche“, erklärt auch Janna Tsokou von Soste To Nero. Wie die Regierung in Athen jetzt mit den deutlichen Ergebnissen des Referendums umgeht bleibt abzuwarten. Eine offizielle Reaktion gab es bisher nicht.
Die Stadt Thessaloniki und die Bürgerinitiative können die Abstimmung als großen Erfolg verbuchen. Der hohe organisatorische Aufwand hat sich schon allein deswegen gelohnt, weil ein Großteil der Bürger zumindest aufgeklärt werden konnte. Dass der Verkauf der Wasserwerke gestoppt wird ist unwahrscheinlich. Darüber ist man sich bewusst. Falls Athen gar nicht reagiert, besteht die Gefahr einer erneuten Ernüchterung. Zu oft schon sind die Bürger an der Regierung abgeprallt. Allem voran aber sind Fragen nach einem grundsätzlichen Bedarf an mehr direkter Demokratie aufgeworfen worden, die es in Zukunft zu beantworten gilt – und das nicht nur in Athen, sondern überall in Europa.