Berlin, Deutschland (Weltexpress). Was mit der kräftigen und knarzigen Stimme von Janis Joplin beginnt, das muß gut werden. Der Film zum Bader-Meinhof-Komplex beginnt an einem Nacktbadestrand auf Sylt. Auch Ulrike Marie Meinhof und Klaus Rainer Röhl stecken im Adamskostüm. Farah Pahlavi, die am 21. Dezember 1959 durch Heirat mit Schah Mohammad Reza Pahlavi Königin und durch ihre Krönung am 26. Oktober 1967 zur persischen Kaiserin wurde, trägt Kleid und Krone. Sowohl die einen als auch die anderen stecken in einer Welt der Ware und des Spektakels.
In West-Berlin wird getanzt und gegen den Schah-Besuch protestiert. Meinhof, Röhls Star-Kolumnistin, hat einen „Offenen Brief an Farah Diba“ geschrieben, der in „Konkret“ veröffentlicht wird. Jubel-Perser marschieren vor der Deutschen Oper Berlin und also in West-Berlin auf. Schüsse fallen. Benno Ohnesorg fällt auch. Der Student wurde am 2. Juni 1967 ermordet. Unter den Augen Berliner Polizisten schlagen die Jubel-Perser zu. Knüppel frei! Die Berliner Polizisten schlagen zudem zu. Doch der Polizeistaat zeigt sich noch nicht in seiner ganzen Härte.
Der Mörder: Karl-Heinz Kurras. Nach dem Fall der Mauer fällt auch dessen Tarnung. Kurras, der Mörder von Ohnesorg, war von 1955 bis mindestens 1967 auch Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), zudem Mitglied der SPD und der SED. Der Mörder wird von Richtern freigesprochen. Klarer Fall von Gesinnungs- und Klassenjustiz! Das sagen und schreiben die einen. Und die anderen? Sie sind Belogene, Betrogene und Bekloppte.
Richter und Henker, Pfaffen und Henker. Nicht nur im Hause Ensslin brennt die Luft, sondern auch bei Familie Röhl in Hamburg. Meinhof haut mit beiden Kindern ab nach Berlin, wo bereits Bomben gebaut werden und ein Kaufhaus brennt. In Vietnam brennen Bäume, Häuser und Menschen. Die Rufe nach „Ho, Ho, Ho Chi Minh!“ werden auch in der BRD, die seit Bestehen ein Vasallenstaat der VSA mit dem VK im Beiboot ist, lauter.
Der kurze Sommer der Anarchie ist mit den Schüssen auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 durch Josef Bachmann am Berliner Kurfürstendamm vorbei. Die „Bild“ habe mitgeschossen, heißt es und: „Springer = Mörder“. Lohnarbeiter der Lücken- und Lügenpresse damals wie heute. Hetzer in den Hauptabflußmedien immer und überall. Mörder und Schreibtischtäter hüben und drüben.
Richtige und kulturelle Revolutionen finden statt. Meinhof tippt in die Tasten: „Wirft man einen Stein, so ist das eine strafbare Handlung. Werden tausende Steine geworfen, ist das eine politische Aktion. Zündet man ein Auto an, ist das eine strafbare Handlung, werden hunderte angezündet, ist das eine politische Aktion.“ Auf die Notstandsgesetze ab Juni 1968 reagieren immer mehr wütend, nicht traurig. Im Film werden weitere berühmte Meinhof-Zitate wie den zu Protest und Widerstand vorgetragen. Roth-Händle wird geraucht.
Der Film ist eine Achterbahnfahrt entlang von Schlagwörtern auf Reklameschildern. Links oder rechte, Mensch oder Schwein. Die Messer sind gewetzt…
Lange wird es nicht mehr dauern, bis zurückgeschossen wird. Ensslin bringt die Konsequenz auf der einen Seite auf den Punkt. Aufklärung, Ironie und Geduld oder Subversion sind ihre Sache nicht. Spaß und Spott? Daran mangelt es in einer Welt, in welcher die Herren von Reichtum und Religion marschieren, Wall Street und Washington, Westminster und City of London marschieren.
Uli Edel streift die Verhältnisse und breitet das Verhalten der als „Baader-Meinhof-Bande bezeichneten Personen filmisch aus wie einen Flickenteppich. Die historische Dimension wird angedeutet, die biologische banalisiert, die politisch-ökonomische oder sozio-kulturelle sind gleich null und die psycho-soziale beginnt erst mit Stammheim. Der chronologische Spielfilm nach einem Drehbuch des Produzenten Bernd Eichinger, das auf dem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust, der auch beratend am Filmprojekt teilnahm, basiert, endet mit den den Schüssen auf Hanns Martin Schleyer.
Dazwischen Puff und Peng, Schall und Rauch – ein Film wie Rambo, nur mir RAF. Pistoleros deutscher Zunge wirken wie gemacht für Kleinbürger mit Bücherregal-Tapete, die mehr sein möchten als sie sind. Sie kriegen, was sie können: Popcornkino!
Eine Diskussion über den Dreiklang von Verstehen, Erklären und Veränderung, von Geopolitik und Politischer Ökonomie findet nicht statt. In dem Spielfilm steckt mehr Hummersuppe als kritische Theorie und Marxismus.
Zitate werden wie Plattitüden abgeschossen. Das Politische wird in dieser Eichinger-Produktion ins Private gezogen und der Lächerlichkeit preisgegeben. Leben und Werk werden zum Einheitsbrei vermengt, wobei – keine Frage – viele Personen als Persönlichkeiten gezeigt werden. Das liegt wohl mehr an der Kamera und am Schnitt als am (Dreh-)Buch. Aus Geschichte, über die Geschichten erzählt werden – jeder trägt seine eigene vor – wird Action und Fiction. Aus Personen der Zeitgeschichte haben die Filmemacher Figuren der Kunstfreiheit gemacht.
Und Verlierer! Daß diejenigen, die nicht kämpfen, schon verloren haben, das ist nicht das Thema. Es gilt, was galt: Das Studium generale zu absolvieren. Lesen, lesen, lesen, von mir aus auch einmal einen Film schauen, aber immer und überall selber das Drehbuch schreiben und die Regie führen!
Der Film „Der Baader Meinhof Komplex“ wird im ahmen der Kinvo-Reihe „Best of Cinema“ gezeigt und zwar am Dienstag, den 2. April 2024.
Filmographische Angaben:
- Originaltitel: Der Baader Meinhof Komplex
- Produktionsstaat: BRD
- Erscheinungsjahr: 2008
- Originalsprache: Deutsch
- Regie: Uli Edel
- Drehbuch: Bernd Eichinger,
- Kamera: Rainer Klausmann
- Schnitt: Alexander Bremer
- Musik: Peter Hinderthür, Florian Tesslof
- Darsteller: Martina Gedeck (Ulrike Meinhof), Hans-Werner Meyer (Klaus Rainer Röhl), Jasmin Tabatabai (Hanne), Volker Bruch (Stefan Aust), Jan Josef Liefers (Peter Homann), Christian Näthe (Jochen), Martin Glade (Benno Ohnesorg), Leonie Brandis (Friederike Dollinger), Johanna Wokalek (Gudrun Ensslin), Michael Gwisdek (Helmut Ensslin), Thomas Winter (Bernward Vesper), Moritz Bleibtreu (Andreas Baader), Johannes Suhm (Thorwald „Thorsten“ Proll), Tom Schilling (Josef Bachmann), Sebastian Blomberg (Rudi Dutschke), Adam Jaskolka (Hippie), Simon Licht (Horst Mahler), Vinzenz Kiefer (Peter-Jürgen Boock), Katharina Wackernagel (Astrid Proll), Bruno Ganz: Horst Herold), Heino Ferch (Herolds Assistent), Susanne Bormann (Petra „Peggy“ Schoenau), Peter Schneider (Gerhard Müller), Anna Thalbach (Ingrid Schubert), Alexandra Maria Lara (Petra Schelm), Nina Eichinger (Telefonistin Springer Verlag), Smail Mekki (Abu Hassan) Daniel Lommatzsch (Christian Klar), Andreas Tobias (Manfred Grashof), Annika Kuhl (Irmgard Möller), Stipe Erceg (Holger Meins), Niels Bruno Schmidt (Jan-Carl Raspe), Sunnyi Melles (Frau Buddenberg), Nadja Uhl (Brigitte Mohnhaupt), Hannah Herzsprung (Susanne Albrecht), Michael Schenk (Siegfried Haag), Britta Hammelstein (Hanna Krabbe), Sandra Borgmann (Sieglinde Hofmann), Christian Blümel (Siegfried Hausner), Hans Peter Hallwachs (Günter von Drenkmann), Thomas Thieme (Richter Dr. Prinzing), Alexander Held (Siegfried Buback), Hubert Mulzer (Jürgen Ponto), Kirsten Block (Ignes Ponto), Hannes Wegener (Willy Peter Stoll), Bernd Stegemann (Hanns Martin Schleyer), Andreas Borcherding (Pastor), Alexander Grünberg (Polizeibeamter), Albert Mollenkopf (Anwalt), Wolfgang Häntsch (Werner)
- Produzent: Bernd Eichinger
- Produktion: Constantin Film
- Länge: 144 Minuten TV, 152 Minutne Kino
- Altersfreigaben: FSK 12, JMK 14
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