Der 35. Negativpreis „Plagiarius“ trifft auch in diesem Jahr besonders dreiste Fälscher – Serie: Erwartungsfrohe Eröffnung der Frühjahrsmesse Ambiente 2011 (Teil 2/4)

Der Originalhersteller erhielt gestern bei der sehr gut besuchten Preisverleihung diesen kleinen Zwerg, den Plagiarius, der listig, häßlich und gegen jede Moral und meist auch gegen geltendes Recht eigentlich denen zukommt, die abkupfern, täuschen, plagiieren, fälschen, betrügen, ganz einfach klauen. Der schwarze Zwerg hat eine goldene Nase: Die goldene Nase, die sich die Produktpiraten sprichwörtlich auf Kosten der Originalhersteller verdienen. Wie diesmal die Firma aus Neu-Ulm. Das kann man mit eigenen Augen als Messebesucher sehen. Im Durchgang zwischen den Hallen 5.1 und 6.1 sind alle diesjährigen mit Preisen ausgezeichneten Produktpiraterien zu sehen. Um die der vergangenen Jahr zu betrachten, muß man nach Solingen ins dortige Plagiarius-Museum fahren. Das werden wir tun.

Aber erst einmal stehen wir fassungslos vor den großen und langen Werkbänken auf vier Beinen, links das Original, rechts die Fälschung. Vergleichen wie in den Zeitungsrätseln Stück für Stück, ob etwas anders ist oder etwas fehlt. Das Original sieht edler aus, das liegt an den grau gestrichenen Beinen, die beim Fälscher blau sind. Das Holz sieht vergleichbar aus, dann fällt uns als einziger optischer Unterschied auf, daß der Fälscher den Ansatz der Tischbeine unter dem Holz verbreitert hat. Ansonsten genau dasselbe. Denkt man. Und dann faßt man das Holz an. Das gibt es überhaupt nicht. Das Original ist glatt und angenehm, die nachgebaute Werkbank hat unebenes Holz, richtig häßliche Gefühle, mit den Händen darüber zu fahren. Wir bekommen Gänsehaut, die keine moralischen Gründe hat, sondern vom minderwertigen Material, bzw. der miesen Verarbeitung herrührt.

Aber, um das zu wissen, denken wir uns dann, muß man ja das Stück mit eigenen Augen gesehen haben, es anfassen können. Wie aber kommt einer, der eine Werkbank braucht, an solche? In der Regel aus einem Katalog. Und wer ganz viele braucht, wie Berufsschulen beispielsweise oder verarbeitende Firmen, erst recht aus Katalogen. Und da sehen beide gleich aus. Der Preis allerdings ist unterschiedlich. Natürlich ist die Fälschung die viel billigere. Denn sie wird nachgebaut und spart die Entwicklungskosten. Das ist immer so. Hier kommt aber hinzu, daß die Fälschung von mieser Qualität ist. Also ein doppelter Betrug.

Warum das überhaupt möglich ist? Nicht alles, was gebaut wird, wird automatisch vom Hersteller patentiert. Die Patentämter wären auch überfordert. Es gibt innerhalb der Wirtschaft und Industrie schon so etwas wie eine Übereinkunft, Ideen eines anderen, wenn sie schon genommen werden, dann zumindest mit der eigenen Handschrift des Unternehmens zu versehen, sie weiterzuentwickeln, daraus etwas Neues zu machen. Das hat die Firma FAMOS sträflich vernachlässigt. Wahrscheinlich ohne sich im Rechtssinn strafbar zu machen. Darum ist dieser „Plagiarius“, den der Design Professor Rido Busse seit 1977 vorausschauend durch eine Jury ermitteln läßt und auf der weltweit größten Konsumgütermesse verleiht, so wichtig. Das soll sich herumsprechen, was dort in Neu-Ulm geschieht.

Als er diesen Preis für die gemeinste Fälschung, dessen Originalhersteller dann den Plagiarius für das bester Produkt – schließlich muß das ja sehr gut sein, was zur Fälschung anregt – in Gang setzte, erklärte Rido Busse seine Intention so: „Die Auszeichnung mit dem ’Plagiarius sagt nichts darüber aus, ob das jeweilige Plagiat im juristischen Sinne erlaubt ist oder nicht. Der Plagiarius kann und darf kein Recht sprechen. Unser Ziel ist es, plumpen Ideenklau – d.h. den Diebstahl Geistigen Eigentums – zu brandmarken und die skrupellosen Geschäftspraktiken der Nachahmer ins öffentliche Bewußtsein zu rücken“.

Zur Verleihung der drei ersten Plagiarius Preise und der sechs gleichrangigen mit „Auszeichnung“ versehenen Produkte kommt der „Sonderpreis für eine Fälschung“ hinzu. Das ist die Uhr „FORTIS-B-47 Calculator GMT 3 Time Zones“ aus der Schweiz, die vom Vertrieb Digital Time aus Bangkok, Thailand angeboten wird. Sie sieht absolut identisch aus, das klitzekleine Krönchen obendrüber ist breiter, aber die Uhren nicht unterscheidbar. Von außen. Wenn man dazu sagt, daß das Original 1850 Euro und die Fälschung 30 Euro kostet, weiß man, warum gefälscht wird und auch, wer geschädigt wird. Alle Beide: der Originalhersteller und der Käufer, der glaubt, ein Markenprodukt zu bekommen, aber nur Mist, der schnell kaputt geht, einhandelt und dann auch noch die Originalfirma für die miese Qualität verantwortlich macht.

Das geht nun über gute „Manieren“ weit hinaus. Deshalb hatte der, die die Laudatio auf die Preisträger hielt, Prinz Asfa-Wossen Asserate, auch über sein Bestsellerbuch über Manieren hinaus, hier durchaus bei vielen Produkten von Straftatbeständen zu reden. Aber auch er war verwundert, wie viele Fälschungen auf heimischem Boden passieren. Der zweite Preis ging an ein Küchenschneidegerät „swizzzProzzz“ von der gleichnamigen Firma aus der Schweiz, die Fälschung betraf einen Vertrieb aus China. Hier hatte der französische Händler, der die Fälschung vertrieb, ein Einsehen, nannte den Namen des chinesischen Händlers, nahm das gefälschte Produkt vom Markt und vernichtete die Bestände.

Letzten Endes ist genau dies Ziel des Preises. Daß die Geschäftsleute selbst ihren Markt in Ordnung halten und für gleichwertige Produktionsbedingungen sorgen. Erst dann ist ein echter Wettbewerb vorhanden. Der dritte Preis fällt nun wiederum nach Deutschland. Die Event-Tasche (was um Gottes Willen ist das?) namens „Basic“ wurde von der Firma Halfar System aus Bielefeld kreiert, Nachgemacht hat sie WILL Langenberg aus Hückeswagen. Es geht um eine rote Hängetasche, bei der der einzige Unterschied daran liegt, daß die einseitige Rundung für den Reißverschluß seitenverkehrt liegt. Von den sechs „Auszeichnungen“ kommen fünf der Plagiate aus China!

Christine Lacroix, die Seele von Plagiarius, sagt dazu: „In Zeiten von Internet und Globalisierung hat sich das Problem der Produkt- und Markenpiraterie explosionsartig ausgeweitet und verursacht immense wirtschaftliche Schäden. Plagiate und Fälschungen untergraben nicht nur legalen Handel, sie gehen auch einher mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und Wettbewerbsfähigkeit der führenden Industrienationen. Die Fälscher agieren dabei immer professioneller und rücksichtsloser. Aus Profitgier verwenden sie oftmals minderwertige Materialien, verzichten auf Qualitätskontrollen und setzend die Gesundheit der Verbraucher auf Spiel. Nachweislich enthalten viele Nachahmungen giftige Schadstoffe wie Blei oder Cadmium. Gefälschte Kosmetika, Lebensmittel, Medikamente und Zigaretten sind oftmals verunreinigt. Bei technischen oder elektrischen Produkten können Mängel sogar lebensgefährlich sein.“

Es gibt also gute Gründe dafür, daß der deutsche Zoll nicht nur bei Einfuhren, sondern hier auf der Messe aktiv wird. Zufriedene Gesichter bei den Beamten gleich am ersten Tag. Bei den 133 000 Besuchern werden nicht wenige sein, die nach gut fälschbaren Produkten Ausschau halten und bei den 4 400 Ausstellern hat jeder 10. Aussteller, so die Hochrechnung, auf seinem Stand Fälschungen stehen. Geht man den Beamten hinterher, kann man sehen, wie Produkte bei ihrem Auftauchen rasch versteckt werden.

Nicht immer wird das registriert und sie werden nach dem Verlassen der Halle, wieder hervorgeholt und in die Vitrinen gestellt. Aber immerhin wird so viel entdeckt, daß die Zufriedenheit groß ist. Über die Doppelmoral von uns Verbrauchern, sollten wir ein andermal reden. Jetzt geht es auf die interessanteste Messe, die Frankfurt zu bieten hat, weil Konsumgüter tatsächlich jeden von uns tangieren, weil wir in ihnen und mit ihnen leben und sie sogar verzehren, verschenken und selbst genießen. Besser die Originale!

P.S.: Wir hätten auch gerne über den Deutschen Designer Preis berichtet. Aber da muß die Messe eine andere Zeitplanung der Preisverleihungen vornehmen. Der Plagiarius hat einfach die älteren Rechte und war der erste und die Preisverleihung ist jedesmal hochspannend.

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www.ambiente.messefrankfurt.com

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