Berlin, Deutschland (Weltexpress). Die Tage der Erinnerung und des Gedenkens folgen in sehr kurzem Abstand aufeinander. Einmal war es der 28. Juni 2019. Da hätte man an die für Europa so verhängnisvolle Weichenstellung durch die Abfolge von gezielt gesetzten Sprengladungen in Versailles gegen Deutschland, aber – vor allem in den Folgeveranstaltungen zu Versailles – gegen das ehemalige Österreich-Ungarn bis hin zur Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches erinnern können. Es ist geradezu feige und verantwortungslos, diesen Gedenktag bewusst so ignoriert zu haben, wie das jene Staats- und Regierungschefs hinter sich gebracht haben, die nichts auslassen, wenn es um Folgen von „Versailles“ geht.
Christopher Clark wurde mit seinem Werk über die angeblichen Schlafwandler, die in den Ersten Weltkrieg geradezu getaumelt waren, in Deutschland herumgereicht. Mit seinen Thesen wurde er derart populär, dass die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ihm prominente Sendeplätze einräumten, um den Deutschen ihre Geschichte zu erklären. Anders als Wolfgang Effenberger vermied Christopher Clark es, auf britisch-französische Zentralverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges einzugehen. Selbst wenn man das alles beiseite lässt, rechfertigt eine deutsche oder österreichisch-ungarische Beteiligung an „schlafwandlerischem Vorgehen“ keinesfalls die Behandlung von Deutschland und den anderen Staaten in Versailles. Versailles war der zentrale Kulturbruch in und für Europa, wie der Vergleich zu den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück 1648 oder gar Wien 1819 mehr als deutlich macht. In Westfalen und Wien suchte man den Krieg zu beenden und eine dauerhafte Friedensordnung dadurch zu bewerkstelligen, dass man alle gleichberechtigt an den Tisch holte. Versailles war das genaue Gegenteil. Hier wurde ein Verfahren gewählt, dass den Folgekrieg dadurch geradezu unausweichlich machte, indem genügend Lunten und Sprengfallen ausgelegt wurden. In Wien 1819 wollte man den Frieden und in Versailles 1919 wollte man den nächsten Krieg, in der Hoffnung, Deutschland und Österreich darüber endgültig das Rückgrat brechen zu können.
Alle Umstände im Umfeld des Kriegsbeginns am 1. September 1939 zwischen dem Deutschen Reich und Polen, aber vor allem Großbritannien und Frankreich über ihre jeweiligen Kriegserklärungen an das Deutsche Reich lassen erkennen, wie der in Versailles in Gang gesetzte Mechanismus wirkte. Großbritannien und Frankreich ging es mit ihren angeblichen Beistandszusagen für Polen, das sie zuvor noch als „Schurkenstaat“ bezeichnet hatten, nicht um die Verhinderung eines Angriffs auf Polen sondern die Möglichkeit der Ausdehnung auf die Ebene eines Weltkrieges.
Es ist Polen, das heute wieder an seine verhängnisvolle Politik des „inter marium“ zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer mit dem Ziel, Russlands aus Europa rauszuschmeißen, anknüpft. Diesmal sind es weder London noch Paris sondern es ist Washington, das fleißig dabei ist, seit fast zwanzig Jahren einen neuen „Eisernen Vorhang zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer“ herunterzulassen. Nächtliche Dauertransporte vom Assen an Militärgütern an Dresden vorbei stellen das unter Beweis.
Ja, es ist Russland, um das es geht. Man lädt Russland nicht zum 1. September 2019 nach Warschau ein. Andere sind eingeladen, obwohl der amerikanische Botschafter in Warschau 1939 der polnischen Regierung nicht sein Wissen über den Stalin-Hitler Pakt weitergegeben hatte. Kriegsentscheidene Informationen, die die amerikanische Seite aus der Ribbentrop-Delegation erhalten hatte. Man wollte unter allen Umständen den Krieg und wird dennoch prominent eingeladen. Auch deshalb, weil man alles unterlässt, an den europäischen Weg zu einem Frieden anzuknüpfen, wie er erfolgreich in Münster und Wien beschritten worden ist.
Warschau zeigt, dass man selbst nach der Charta von Paris aus dem November 1990 die Verständigung mit Russland nicht will, weil man Russland den ihm zustehenden Platz am gemeinsamen „Tisch Europa“ verwehrt. Gleichzeitig straft man einen amerikanischen Präsidenten über die Einladung nach Warschau mit demonstrativer Missachtung, weil er auf Russland zuzugehen bereit ist. Die Veranstaltung in Warschau ist nicht eindimensional zu sehen. Aber so, wie sie angelegt ist, verrät sie den Frieden für Europa, wie Professor Alexander Sosnowski und ich in dem Buch: „Und immer wieder Versailles“ unter Beweis gestellt haben. Dabei ist alleine der Besuch des amerikanischen Präsidenten Trump von dramatischer Bedeutung. Er muss sich zwei zentralen Fragen stellen:
1. gelingt es ihm, den durch amerikanische Dauerkriege verursachten Niedergang der Vereinigten Staaten dauerhaft aufzuhalten oder ist er nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer Depression à la 1929, die die Welt verändern dürfte?
2. wird er der amerikanische Präsident sein, der gegen den Widerstand der Merkels und Macrons Europas aus den amerikanischen Globalkriegen aussteigt, die die Welt seit 1914 und 1919 ins Elend gestürzt haben?