Ein echter Urki ist ein strenggläubiger Christ. Er hasst Schwule, hat aber ein großes Herz für Behinderte. Die Frau ist große Mama und fruchtbare Muttergöttin. Ihm geht die Familie, die Gemeinschaft der Verbrecher über alles. Er ist demütig gegenüber den Seinen, hegt seinen Ikonenschrein und würde niemals mit einer Waffe das Haus eines ehrenhaften Menschen betreten. Jede Form von Herrschaft lehnt er ab, er liebt Tätowierungen mit allerhand mystischen Zeichen, er verständigt sich über Tätowierungen, Muttergottes rules! Er zeigt Reichtum nie nach außen, hat ein hartes Herz gegenüber allem was fremd ist und tötet, um seine Problem zu lösen.
Autor Lilin ist vermeintlich Spross einer sibirisch-moldawischen Verbrecherdynastie, das Buch ist als eine Autobiografie zu verstehen.
Die Lektüre ist temporeich und auf Showdown getrimmt. Nicht nur das macht das Buch leider bisweilen unglaubwürdig. Wenn die Messer immer neue Bäuche schlitzen und der Oberkiller der Urki um die 10.000 Köter (fein säuberlich bewahrt er ihre Dienstmarken auf, gab’s eigentlich zu UDSSR-Zeiten schon Dienstmarken bei der Schmiere?) gekillt haben will, wird’s arg splatterhaft. Leider lautet der Eingangssatz eben nicht: Es war einmal. Dem Leser soll original russische Verbrecher-Wirklichkeit suggeriert werden. Zu fett aufgetragen, schade.
Gen Ende gerät der eigentlich recht schlaue Held durch eigene Dummheit in die Hände des Militärs. Er soll seinen Wehrdienst ableisten. Er versucht aus der Kaserne zu fliehen. Wir fragen uns, warum er sie überhaupt erst betreten hat. Jedenfalls wird er beim Abhauen erwischt. Der Offizier erkennt sofort den schlimmen Finger und schickt ihn in ein Regiment was hinter den feindlichen Linien in Tschetschenien (wo auch sonst?)agiert. Alles voll korrekte Meuchler. Demnächst als Fortsetzung von Sibirische Erziehung in ihrer Buchhandlung.
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Nicolai Lilin: Sibirische Erziehung, 464 Seiten, Suhrkamp 2010, 14, 90 Euro