Das wüste Land – Alex und David Pastors Seuchendrama “Carriers”

Christopher Meloni und Kiernan Shipka in "Carriers" Copyright: Splendid Fox

Die unbeschwerten Anfangsbilder eines Seeurlaubs sind nur alte Videos, untermalt von traurig-sehnsüchtiger Musik. Später hört man sie noch einmal, als vergeblichen Widerhall einer verlorenen Vergangenheit in der Erinnerung der Charaktere. Wie sie in ihrem Auto die Landstraße herunterfahren, ähneln Danny (Lou Taylor Pucci), sein jüngerer Bruder Brian (Chris Pine), Dannys Freundin Bobby (Piper Perabo) und Kate (Emily VanCamp) Jugendlichen auf einem Ausflug. Doch das Quartett ist auf der Flucht vor einem unsichtbaren Feind. Ein tödliches Virus hat die USA und vielleicht die gesamte Welt zu einem Niemandsland gemacht. Städte und Straßen sind verwaist, die Versorgungsstruktur zusammengebrochen. Die namenlose Krankheit überträgt sich durch Tröpfcheninfektion. Mit literweise Desinfektionsmittel und Zellstoffatemmasken versuchen Danny, Bobby, Brian und Kate eine Ansteckung zu vermeiden.

Was sie für Sicherheitsmassnahmen halten, ist tatsächlich die Illusion einer Schutzmöglichkeit, die nie existierte. Als ihr Auto einen Panne hat, muss das Quartett widerwillig Frank (Christopher Meloni) und dessen unter dem tödlichen Bluthusten leidende kleine Tochter mitnehmen. Frank zwingt sie, zu einer Krankenstation zu fahren, die ein Antiserum ausgeben soll. Doch es gibt kein Entkommen vor der Krankheit. Bald wissen auch die Freunde nicht mehr, wer von ihnen schon einer von jenen ist, die Danny “Tote“ nennt, den “Carriers”.

Nur einmal greift “Carriers” auf stereotype Horrorszenen zurück. Im Alptraum Brians, des sensibleren des gegensätzlichen Brüderpaares. Die Wirklichkeit in “Carriers” hat das Geträumte überholt. Statt auf Ekelszenen setzt “Carriers” auf eine Atmosphäre des Ausgeliefertseins. Er zeigt nur Müllsäcke mit menschlichen Umrissen, kaum Blut, nur verlassene Orte und letzte Nachrichten, die niemand mehr liest. In ihrem Auto folgen die Protagonisten in “Carriers” einer langsamen Ellipse, die sie zum gemeinsamen Ausgangspunkt zurückführt. Von ihrem Status der Gesunden gleitet die Gruppe unmerklich in den potentieller “Carriers” über. “Carriers”, lehrt Danny seinen jüngeren Bruder, sind zum Sterben verurteilt, ihnen zu helfen unnützes Risiko und Verschwendung wertvoller Ressourcen. Nahrung, Medikamente und Benzin sind umkämpfte Güter geworden. Ihr Benzin müssen die Freunde gewaltsam gegen Frank verteidigen. Später greifen sie, wie er für Benzin, andere Überlebende an, Menschen, für die sie mögliche “Carriers” sind.

Wie verängstigte Kinder sucht die Gruppe an einem Ort ihrer Kindheit Zuflucht, als würde das Virus davor haltmachen. Die Krankheit ist nur Rahmensituation für die schrittweise seelische Verhärtung der Figuren. Die Menschlichkeit bleibt zuerst auf der Strecke. Ob das Virus ausstirbt oder die Menschheit, laufe auf dasselbe hinaus, sagt Brian in einer Szene. Ein moralisches Urteil fällt “Carriers” jedoch nicht. Die Krankheit ist unparteiisch. Wer Kranken hilft, steckt sich früher an, die anderen später – vielleicht nur ein qualvollerer Tod, wie ein Nebencharakter äußert. 

“Carriers” ist kein Endzeitthriller. Die Apokalypse hat stattgefunden, die Überlebenden sind Relikte einer untergegangenen Kultur. Weder Gott noch verrückte Wissenschaftler haben das Virus in “Carriers” geschickt. Es ist einfach da, schleichend und leise, wie das durch die geradlinige Handlung evozierte Grauen. Die vermeintlichen Sicherheitsmassnahmen gegen die Infektion sind zur sinnlosen Zwangsneurose geworden. Mit Taschentüchern wischen die Charaktere über Gegenstände und trennen sich von Kranken mit angeklebter Plastikfolie ab, als könnten diese eine Ansteckung auf Dauer verhindern. Dass der Verlust ihrer Menschlichkeit ihr Weiterleben schließlich freudlos macht, sie bis zur Emotionslosigkeit abstumpft, begreifen die Überlebenden zu spät. Das endlose “wasteland” hat auf ihr Inneres übergegriffen. W. H. Auden hatte Recht.

* * *

Deutscher Titel: Carriers

Originaltitel: Carriers

Genre: Horror-Thriller

Land/Jahr: USA 2009

Kinostart: 1. Oktober 2009

Regie und Drehbuch: Alex Pastor, David Pastor

Darsteller: Lou Taylor Pucci, Chris Pine, Piper Perabo, Emily VanCamp

Verleih: Fox

Laufzeit: 90 Minuten

Internet: www.carriersmovie.com

Vorheriger ArtikelÜber den Wolken – Ganz “Oben” am Filmhimmel steht das neue Zeichentrickabenteuer der Pixar Studios
Nächster ArtikelTradition & Innovation und Lang Lang ist auch dabei – Serie: Die Rahmenprogramme zur Frankfurter Buchmesse 2009 mit dem Ehrengast China (Teil 2/2)