Frauen jeglicher Couleur werden von Munch gemalt, dann sind die Haare rot, und gezeichnet und gestochen. Die Sünde von 1902, diese Lithographie gehört dem Leopoldmuseum, ist schon etwas ältlich, aber als Eva muß man nicht jung sein, ist man noch weiblich genug und vor allem nackt. Uns hat diese Sünde immer schon merkwürdig berührt. Die schaut so traurig. Fast als ob sie auf das Paradies zurückblicke, die Ursünde und Erbsünde wahrnehme und nun darunter leide, daß fürderhin Geschlecht, geschlechtliche Liebe, sinnenfrohes Lieben, Lust und Körper etwas Schmutziges und Böses werden. Im Christentum. Dabei weiß diese Sünde insgeheim, daß es etwas Schönes ist, zu dem sie verführt, aber alles im Leben dieser Leute um Munch herum, darf Sexualität nicht der Liebe und Lust und der Natur überlassen, sondern macht eine gequältes kulturelles Konstrukt von Scham und Schande daraus. Schade, aber sicher verbreitet.
Unter all den Frauengemälden ist dann doch die Madonna von 1895 diejenige, in der Munch wieder einmal das Frauenbild einer ganzen Epoche, vielleicht sogar der Menschheit festgeschrieben hat. Gerade das nur Angedeutete verleiht diesem sinnlichen Akt Erotik und das hingebettete Haupt – obwohl die Person ja steht – hat etwas so Hingebungsvolles, daß es unsere Phantasie ist, die dieses Bild als Erzählung fortsetzt. Dabei hat Munch noch ein paar Stolpersteine eingebaut: das gekauerte embryonale Wesen links unten und die jugendtilschönen Spermafäden auf roter Umrahmung. Aber das kann uns nicht stören daran, daß hier die Natur der Frau in Schönheit und Schwung wiedergeben ist und die latente Traurigkeit, die dem Bild auch beigegeben ist, die interpretieren wir eher als genossene Lust in dem Sinne des „post coitum omne animal triste est“. Bei diesem Bild möchte man nichts erklären, sondern nur zum Betrachten auffordern, so einfach und vollendet sind die Linien, die eine nackte Frau ergeben, eine Madonna, keine Hure.
Übrigens: Das Gemälde der Madonna und das des Schreis waren 2004 in Oslo gestohlen worden. Aber 2006 von der Polizei aufgefunden worden. Die Folge war trotzdem katastrophal. Das Munch Museum in Oslo ähnelt heute einem Sicherheitstrakt, der das Grundgefühl von Angst nicht mehr nur auf Existentielles bezieht, sondern uns wirklich angsterregend in Erinnerung bleibt. Denn Angst ist ja auch etwas, was mit der christlichen Kultur des Abendlandes zu tun hat. Angst ist die uneingelöste Schuld, von der Erbsünde bis sonstwas, die wir kulturell mit uns herumschleppen, auch wenn wir doch harmlose Museumsbesucher sind, die nichts Arges im Sinn haben, machen die Durchleuchtungen Angst. Das alles sind Gedanken, die man bei einer solchen Ausstellung, die soviel mehr zeigt, als wir andeuten konnten, auch an die Oberfläche kommen.
Das kranke Kind müssen wir noch erwähnen. Die Beschäftigung mit dem Sujet geht auf seine Familie zurück. Auch Munch war zeitlebens körperlich kränklich, seine Mutter, die fünf Kinder geboren hatte, starb an Tuberkulose, als er fünf Jahre zählt; seine Schwester Sophie wurde von der Schwindsucht hinweggerafft, seine andere Schwester war tief depressiv, er selber manisch-depressiv, mit einem Wort: Krankheit, Tod, Trauer, Verlust sind wirkliche Erfahrungen und Gemütszustände, die er, um an ihnen nicht kaputt zu gehen, eben auch zu den Themen seiner Werke macht. Mit „Das kranke Kind“, dem bildlichen Verarbeiten des Todes der Schwester schafft er den Durchbruch als Maler. Auch eigentlich makaber. Gerade dieses Thema zeigt, wie Munch, hat er einen Inhalt inhaltlich durchgearbeitet, dieses immer und immer wieder in allen Techniken und über einen Zeitraum von Jahrzehnten zu wiederholen. Den Bildern kommt das nicht unbedingt zu gute.
Und was jetzt noch fehlt, ist zu sagen, daß Munch ein wunderbarer Porträtist war. Das zeigen auch die wenigen Beispiele in Wien. Sein Selbstporträt mit Knochenarm von 1895 hätte auch Egon Schiele erfinden können. Geradezu genial wie er unter dem Bild liegt, wie in der Renaissance die Brüstungen als Bildeintritt gemalt wurden. Aus völligem Schwarz tritt ein blasses melancholisches Antlitz hervor, mit abstehenden Ohren, wenigem, aber ordentlich gescheiteltem Haar, einem tiefen Blick aus schweren Lidern und einem absolut sinnlichen Mund, geradezu einen Kußmund malt er sich, was an dem schattierten Bärtchen liegt. August Strindberg dagegen von 1896 strahlt Dynamik aus, auch wenn er etwas verhalten wirkt, spürt man doch die Kraft, die aus seinem konzentrierten Blick mit der feurigen Haarschopf erwächst. Zwei tolle und so gegensätzliche Charakterisierungen, die zeigen, daß Edvard Munch das Wesentliche am Menschen zu fassen wußte.
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Ausstellung: bis 18. Januar 2010
Katalog: Edvard Much und das Unheimliche, Christian Brandstätter Verlag 2009
Alfred Kubin Ausgaben
A.K. Die andere Seite: ein phantastischer Roman, Bibliothek Suhrkamp 2009
Das ist die neueste Ausgabe, es gibt in verschiedenen Verlagen ebenfalls Ausgaben von Rowohlt bis Fischer
Alfred Kubin, hrsg. von Annegret Hoberg, Prestel Verlag 2008
Du Engel Du Teufel. Emmy Haesele und Alfred Kubin – eine Liebesgeschichte von Brita Steinwendtner, Haymon Verlag 2009
Das lithographische Werk von Alfred Kubin, hrsg. von Annegret Hoberg, Hirmer Verlag 1999
Alfred Kubin und die Jahreszeiten, hrsg. von Hannes Obermüller, Bibliothek der Provinz 2008
„Außerhalb des Tages und des Schwindels“: Briefwechsel 1928-1952 von Hermann Hesse, Alfred Kubin und Volker Michels, Suhrkamp Verlag 2008
Internet: www.leopoldmuseum.org
Reiseliteratur: Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch
Tip: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.
Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.
Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien, wobei Wien Mitte auch Zentrum der Viennale, des Filmfestes ist, das ab dem 22.oktober die Stadt zur Leinwand macht. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.
Mit sehr freundlicher Unterstützung von Air Berlin und den Hilton Hotels Wien.