Den reißerischen Titel setzt Raimi unverzüglich um. Zum Auftakt werden schuldlose Seelen in die Hölle gezerrt, eine auf der Leinwand und die der leidenden Kinozuschauer. Mit “Drag me to Hell” kehrt der Horrorregisseur zu seinen Wurzeln zurück: billige Effekte, Schreckmomente und kruder Humor. Schön, wenn ein Regisseur seinen unverwechselbaren Stil entwickelt. Traurig, wenn dieser Stil die immer gleiche ermüdende Mixtur aus Schockeffekten, extremen Nahaufnahmen und grotesker Komik ist. Die Abneigung gegen subtilen Grusel liegt den Raimis offenbar im Blut. Das mit seinem Bruder Ivan Raimi gemeinsam verfasste Drehbuch ertränkt jeden Ansatz davon in literweise Körpersekret, Ungeziefer und Glibberzeug. Was Letztes ist, wird nicht geklärt, aber wen interessiert das, solange es schön ekelig aussieht?
Der Titel klingt nach christlichem Selbstkasteiungswahn, doch in “Drag me to Hell” geht es um Zigeunerflüche. Ernsthaft. Nun, nicht ganz ernsthaft, denn mit dem Ernst ist es bei Raimi traditionell eine vertrackte Sache. Immerhin nimmt er sich selbst ernst genug, um seine Horrorfilme für unheimlich zu halten. Nach dem gruseligen Waldhaus und den guten alten Zombies bemüht sein jüngster Horrorstreich nun Zigeuner. Keine Roma oder Sinti, sondern “richtige” Zigeuner. Die sind entweder verführerische Mädchen, zwielichtige Männer oder gespenstische alte Frauen. Zigeuner müssen einen heißen Draht zum Belzebub haben, dank dem die Heiden ihre Erzfeinde in die christliche Hölle schicken können. Der Herr der Fliegen stellt ihnen auch sein Ungeziefer zur Verfügung, selbst alte Zigeuner haben übermenschliche Kräfte und sogar mit der altgriechischen Mythengestalt Lamia sind sie im Bunde. Nur einer ist mächtiger: die Bank. Hier verweigert die junge Angestellte Christine (Alison Lohman) Mrs. Ganush (Lorna Raver) einen Kreditaufschub. Mrs. Ganush erscheint wie aus dem Nichts, trägt ein Kopftuch und hat ein blindes Auge. Christine hat offenbar nie einen Horrorfilm gesehen, ignoriert die Bitten der Frau und wird verflucht. Es folgt die übliche Suche nach Erlösung, bei der Christine die üblichen Verdächtigen, ihr ungläubiger Freund (Justin Long) und ein Mystiker (Dileep Rao) helfen. Der Mystiker zieht treffsicher das Buch “Tieropfer gegen teuflische Dämonen” hervor. Welcher Esoteriker hat das nicht im Bücherregal? Nur lassen sich Flüche nicht aufheben, nur weitergeben.
Es könnte interessant werden, denn wem soll Christine den Fluch, der eine Ewigkeit in der Hölle bedeutet, aufbürden? Jedenfalls keinem von den überliebenswürdigen Imbissbesuchern, unter die Raimi eigene Familienmitglieder setzt. Ein überholtes Thema wie verfluchende Zigeuner lässt sich nur ertragen, wenn ihm eine ungewöhnliche Wendung verliehen wird. Doch Innovation war nie die Stärke der filmisch tätigen Mitglieder der Raimis. “Drag me to Hell” ließe sich als vorurteilsbehafteter Horrorschund abhacken, gäbe es nicht ein paar irritierende Charakteristika. Eines ist Raimis bizarrer Humor. Gewalt- und Ekelszenen übersteigert er wie in vorigen Horrorfilmen ins Absurde. Dabei betont er mit genüsslicher Herabsetzung die physischen Vernachlässigungen Mrs. Ganushs. Ältere Menschen, Kranke und sozial Randständige sind im Film grundsätzlich widerlich. Richtig abscheulich wird es, wenn alles in einer Figur zusammentrifft. Ein solcher Bürgerschreck ist die alte Zigeunerin, nur adaptiert “Drag me to Hell” die diskriminierende Außenperspektive, anstatt sie zu unterwandern.
Zum anderen der Titel: “Drag me to Hell” ist ein Imperativ. Niemand droht Christine, sie selbst fordert den Fluch heraus, nicht nur in den Titelworten. Ihre Voreingenommenheit gegenüber der Zigeunerin kann sie kaum verbergen. Einem adretten Pärchen gewährt sie Kredit, die alte, vernachlässigte Dame beäugt sie angeekelt. Die Ablehnung erteilt sie, um eine Beförderung zu ergattern und ihr Vorgesetzter (David Paymer) lobt das Vorgehen gegen Mrs. Ganush. Welche Bank wird so verrückt sein, der Angehörigen einer für Stehlen und Betrügen berüchtigten Minderheit Geld zu leihen? Christine selbst erkämpft soziale Anpassung mittels Diät, Karrierismus und Anbiederung bei Clays wohlhabenden Eltern.
Filme können komisch sein oder unabsichtlich komisch. Aber nicht absichtlich unabsichtlich komisch. Regisseur Sam Raimi lernt das nie. “Drag me to Hell” reißt nicht nur Verfluchte in unterirdische Tiefen. Sam Raimi gelangt damit selbst künstlerisch ganz unten an.
Originaltitel: Drag me to Hell
Genre: Horror
Land/Jahr: USA 2009
Kinostart: 11. Juni 2009
Regie: Sam Raimi
Drehbuch: Sam Raimi, Ivan Raimi
Darsteller: Alison Lohman, Justin Long, Lorna Raver, David Paymer
Verleih: Universal
Laufzeit: 99 Minuten
FSK: Ab 16