Wien, Österreich (Weltexpress). Der „Economist“, dessen Überschriften immer wieder mit cleveren Wortspielen aufwarten, lieferte auf seinem Cover kürzlich eine kluge Pointe: „The Untied Kingdom“ statt „United Kingdom: Das „aufgeschnürte“ statt vereinigte Königreich, und dies über der Zeichnung einer fadenscheinig gewordenen britischen Nationalflagge, durch einen allerletzten Bindfaden gerade noch notdürftig zusammengehalten. Es ist auffällig, wie viele dieser Union-Jack-Nationalflaggen (nach dem völligen Verschwinden der blauweißen Europa-Flaggen) jetzt in England überall wehen – unter anderem im sündenteuren (2,6 Millionen Pfund – 3 Millionen Euro), neuen Briefing-Room in 10 Downing Street. In Schottland ist der Union Jack, Symbol einer zunehmend abgelehnten Staatengemeinschaft, kaum noch zu sehen. Dort weht die blaue schottische Flagge mit dem weißen Andreaskreuz – und südlich der „Borders“, in England, ist jetzt immer mehr die englische Flagge zu sehen, weiß mit rotem Kreuz, als Manifestation eines nunmehr englischen, nicht mehr britischen Nationalismus: vor Privathäusern, aber auch auf Autokennzeichen. Brexit hat die Nation gespalten: Die mehrheitlich pro-europäischen Schotten klagen, sie seien von den Engländern gegen ihren Willen aus der EU herausgerissen worden.
Kürzlich war hier „Super-Thursday” – eine bedeutende Kombination von englischen Lokalwahlen sowie walisischen und insbesondere schottischen Parlamentswahlen. Die schottischen Nationalisten (SNP) hatten sich von diesem Urnengang eine absolute Mehrheit von 65 Sitzen im autonomen, 129 Sitze zählenden schottischen Parlament von Holyrood in Edinburgh erhofft – und damit ein eindeutiges Mandat für ein neues Unabhängkeitsreferendum. Doch diese Rechnung ging um einen Sitz nicht auf, denn überraschend viele unionistisch gesinnte Wähler, hatten taktisch gewählt.
Doch die SNP-Chefin Nicola Sturgeon, deren Partei Schottland nun weiter regieren wird, hat gemeinsam mit den ebenfalls sezessionistischen Grünen eine klare Mehrheit. Mit dieser wird sie ihre Kampagne für ein zweites Unabhängkeitsreferendum weiterführen – obwohl laut neuesten Umfragen nur noch knapp die Hälfte der Schotten für die Loslösung vom Vereinigten Königreich optiert und obwohl Premierminister Johnson sich kategorisch gegen ein neues Referendum ausgesprochen hat. Stattdessen startet er unter dem Motto „Team UK“ eine Charme-Offensive zur Rettung des Vereinigten Königreichs, die er mit Milliarden für die Schotten und dem Versprechen von Spitalbetten in England schmackhaft machen will. Aber Nicola Sturgeon will mit dem Kopf durch die Wand, notfalls auch gegen das Verfassungsgericht. Ein langwieriger Stellungskrieg zwischen Edinburgh und London und am Ende wohl eine harte Konfrontation sind vorgezeichnet im „Untied Kingdom“.