Verständnislos blicke ich auf ihren Teller. Unter Fasten verstehe ich Enthaltsamkeit, zumindest keinerlei Genüsse. Im griechisch-orthodoxen Glauben sei das anders, sagt sie. Da dürfe man alles essen, was kein Blut hat, also Oktopus, Garnelen, Schnecken… Einfach köstlich, die Vorstellung. Maria, das muss ich dazusagen, gehört nicht dem orthodoxen Glauben an. Gebürtige Holländerin, lebt sie seit Jahren auf Kreta und möchte es den Kretern gleichtun.
In Griechenland gilt Ostern, dort nach dem hebräischen Passah Pascha genannt, als höchstes religiöses Fest. Nicht Christi Geburt steht im Mittelpunkt, sondern seine Auferstehung. Das Osterfest ist ein beweglicher Feiertag, der alljährlich auf den ersten Sonntag nach dem Vollmond des astronomischen Frühlingsbeginns fällt, in diesem Jahr wie bei uns auf den 4. April.
Rechtzeitig vor den Feierlichkeiten sieht man die Kreter beim Frühjahrsputz. Die Häuser werden weiß gepinselt, die Straßen gefegt und an Gründonnerstag die männlichen Lämmer geschlachtet. Auf dem Land hängt man sie an einem Baum auf, um sie zu häuten und auszunehmen. In der Stadt sieht man sie blumenbekränzt und mit starrem Blick an den Marktständen. Ostern auf griechisch.
Am Abend des Karfreitags mache ich mich mit anderen Urlaubern auf den Weg zur Dorfkirche von Prinos, nicht weit von Réthymnon, der venezianisch und türkisch geprägten Hafenstadt an der Nordküste. Mitten in die gregorianischen Gesänge knallen Feuerwerkskörper. Am Kirchenportal erstehe ich eine geweihte lange braune Kerze. Damit ich sie entzünden kann, reicht mir ein Grieche sein Licht. Dann tritt auch schon der bärtige Papas, violett gewandet, mit Zopf und Kopfbedeckung, heraus, begleitet von Monstranzen- und Kreuzesträgern und einem „Epitaphios“, einem symbolischen Sarkophag, in dem Jesus – in Form einer Holzikone – zu Grabe getragen werden soll. Diesem blumenübersäten geschnitzten Gestell aus Zypressenholz folgt nun die Gemeinde mit wiederholten Kyrieleisons als Antwort auf die monotonen Psalmen des Vorsängers.
Es duftet nach Weihrauch, Kinder rennen mit roten Lampions herum, eine Alte versucht trotz Krückstock Schritt zu halten. Bis zum Friedhof zieht die Prozession durch die Dunkelheit, die nur von Kerzen erhellt wird. Bevor sie die zweite Kirche am Ausgang des Dorfes erreicht hat, läutet ein Messdiener die Glocken. So ist es Brauch, wenn ein Mensch diese Welt verlassen hat. Das Läuten will gar nicht enden. Erst als die Träger den Epitaphios vor der Kirchentür hoch über ihre Köpfe heben, ebbt das Läuten ab. Geduckt schlüpfen die Gläubigen unter ihm hindurch, um – so will es der Glaube – Gottes Segen und das Ewige Leben zu erhalten. Die Menschen drängen sich um das luftige Holzgestell, das nun vor der Ikonostase steht, knien nieder, küssen die hölzerne Christusikone darin, heben ihre Kinder darüber, auf dass auch sie Jesus erreichen. Jeder nimmt einige Blütenblätter, bekreuzigt sich und geht. Sie sollen fürs ganze Jahr Glück bringen. Hing noch in der ersten Kirche an Lüstern und Bildern ein Trauerflor, so gibt es in der zweiten keinen Grund mehr zur Trauer. Denn Christus wird auferstehen.
Christós anesti, begrüßt man dann einander in der Nacht zum Ostersonntag. Alithos anesti, er ist wahrhaftig auferstanden, antwortet jeder jedem. Um 23 Uhr organisieren viele Hotels für ihre Gäste einen Bustransfer, eine weiße Kerze inklusive, ins benachbarte Dorf zur Auferstehungsmette. Mit von der Partie ist ein meist junger, blond bezopfter Animateur, der uns auch auf Englisch „a very nice resurrection“ wünscht.
Wenn um Mitternacht alle Lichter gelöscht werden, leuchtet nur die Kerze des Papas. An ihr zünden die Gläubigen ihre eigene an. Immer mehr Menschen drängen in das Kirchenschiff. Der Raum scheint unerschöpflich. Doch plötzlich wird es eng, die Kerzen heizen einem ein. Draußen donnern die Knaller, als ob Krieg herrsche, mindestens aber das neue Jahr anbräche. Die einen kriegen Beklemmung, die anderen bekreuzigen sich. Kinder kriegen Schimpfe, weil sie in dem Gewühle verloren gehen könnten. Der Docht meiner Kerze ist zu lang, die Flamme wächst bedrohlich. Alle tauschen den Bruderkuss der Liebe und Versöhnung, rechte Wange, linke Wange, Haare flattern um die Flamme. Ein Mann zeigt Mut und zwackt den zu langen Docht mit den Fingern ab. Dank, Dank.
„Wer sich fürs Essen eingeschrieben hat“, höre ich den Moderator über Mikrofon, „kommt nach dem Gottesdienst in den Speisesaal.“ Ich atme auf. Wer sich nicht angemeldet hat, ist dennoch willkommen. Ihn lädt das Hotel ein zur Magiritsa, der Auferstehungssuppe, gekocht aus Schafsköpfen und Innereien. Dazu gibt es süßliches Osterbrot und blutrot gefärbte Eier. „Kalí óreksi“ – guten Appetit!
Am Ostersonntag hat jeder nur eines im Sinn: essen, trinken, feiern. Am Morgen noch sind die Straßen menschenleer. Die Nacht ist lang geworden. Doch gegen Mittag steigt Grillduft auf. Die Hotels laden ihre Gäste zum Osterfest ein. Die Lämmer, gewürzt mit wilder Bergminze, drehen sich schon über der offenen Glut. Das heißt, es sind fleißige Hände, die die Spieße drehen. Knusprig braun gegrillt schmeckt das Fleisch köstlich – oder doch nicht so recht? Na, mit kretischem Wein und einem Rakí hinterher kriege ich das schon hin. Osterkuchen aus Mürbeteig oder mit einer Art Weichkäse gefüllt werden herumgereicht. Feurige kretische Tänze, bei denen die Tänzer artistische Fähigkeiten beweisen, zu orientalisch klingenden Lauten von Lyra und Laouto versetzen in Stimmung. Und die Sonne strahlt vom blauen Himmel. Frohe Ostern auf Kreta!
Info:
Essen und Trinken: Gehen Sie in die geselligen alten Tavernen, wo die Kreter essen, wo man in der Küche in die Töpfe gucken darf. Augen und Nase wählen genau das Richtige: Kaninchen, Zicklein, Lamm, Schwertfisch, Oktopus, Schnecken…
Kaffee (kafé ellinikó), hier ist das griechischer Mokka, trinkt man im Kafeníon, skétto (ohne Zucker), métrio (mit etwas Zucker), glikó (mit viel Zucker, dipló (doppelte Portion).
Auskunft: Griechische Zentrale für Fremdenverkehr in Frankfurt/M., Tel. 069/2578270, info@gzf-eot.de, www.visitgreece.gr, www.gnto.gr