Buggys, Bären und Buchanan – Serie: Direktberichterstattung von einer Recherchereise zu den Eisbären an die Hudson Bay (Teil 8)

Eine Eisbärenmama trottet mit ihren beiden "Kleinen" durchs Bild. Im Hintergrund lauern Touristen auf Foto- und Filmsafari in zwei Tundra-Buggys

Churchill liegt an der Wanderroute der Bären vom Festland aufs Packeis. Auf der zugefrorenen Hudson Bay erbeuten die Raubtiere ihre Lieblingsspeise: Ringelrobben. Wo der Churchill River in die Bucht mündet, gefriert die See durch Zufuhr von Frischwasser eher. Deshalb versammeln sich hier im Spätherbst hunderte von Bären, um beim ersten festen Eis die Robbenjagd aufzunehmen. Den Sommer über haben die Tiere in der Tundra gefastet. Ihr Körper verbraucht dabei rund 150 Kilogramm Fett. Manch einem Bären schlottert das Fell am Körper. Mit großrädrigen,geländegängigen Fahrzeugen, den Tundrabuggys, fahren die Besucher hinaus in die schneebedeckte, bis an den Horizont mit zugefrorenen Seen gesprenkelte Ebene. Die Bären zeigen keinerlei Scheu vor den Buggys oder den Menschen, die für sie wahrscheinlich "Essen auf Rädern" darstellen. Manch neugieriger Meister Petz richtet sich sogar am Fahrzeug auf. Gut drei Meter hoch reicht die Bärentatze dann.

Seinen Namen verdankt Churchill einem Vorfahren des legendären britischen Premierministers Winston Churchill. Der 1. Herzog von Marlborough, John Churchill, leitet die Hudsons Bay Company, als die Pelzhandelsorganisation 1717 an diesem Ort ein Fort bauen lässt. Sie kauft von Inuit-, Cree- und Dene-Indianern Biber-,Fuchs- und Bärenfelle, die damals in Europa hoch begehrt sind. Ende der 1920er Jahre erreicht die Eisenbahn Churchill. Seitdem wird Getreide aus der Prärie in vollen Zügen an die Hudson Bay transportiert und in alle Welt verschifft. 1942 baut die US-Luftwaffeeinen Flughafen. Er wird heute nur noch zivil genutzt und ist eine der Notlandebasen für das Space Shuttle.

Unweit des Airports dient eine große Halle als Bärengefängnis. Um die Raubtiere aus der Stadt zu halten, stehen rund um Churchill Bärenfallen. Zum schnellen Transport haben sie Räder und sind präpariert mit dem für Eisbären unwiderstehlichen Robbenfett. Tappt ein Bär in die Falle, wird er in eine der 28 Einzelzellen des Bärenknasts gebracht. Es gibt Wasser, aber keine Nahrung und keine Besucher. Die Bären sollen sich nicht daran gewöhnen, von Menschen Futter zu bekommen. Sobald die Hudson Bay gefroren ist, fliegen die Bären raus. Ein Hubschrauber transportiert sie im Netz aufs Eis. Einzelzellen haben die Tiere, so Ranger Sheldon Olivier, "weil wir sonst nach kurzer Zeit nur noch einen einzigen dicken Bären da drin hätten und einen Haufen Knochen".

Churchills Müllkippe war früher ein Hauptanziehungspunkt für die gefräßigen Räuber. Obwohl die Abfallverarbeitung in eine Halle verlegt wurde, schlich sich kürzlich ein Bär ein. "Tagsüber schlief er im Altpapier", erzählt Sheldon Olivier, "nachts bediente er sich am ,Bärenbuffet`." Andrew Szklaruk ist "Bärenpolizist" in Churchill. "Seit 1969 gibt es das Programm zum Schutz von Menschen und Bären", erklärt Szklaruk. "Letztes Jahr wurden uns 247-mal Bären in der Stadt gemeldet." Kürzlich gab es ein besonders aggressives Tier, das immer wiederkam. "Jemand hatte neben Diesel auch altes Frittieröl in den Tank seines Pickup-Trucks gefüllt, dessen Geruch den Bären anzog", erzählt Sheldon Olivier.

Vor den Augen der Tundrabuggy-Besatzungen ziehen die Bären eine Show ab, die Walt Disney nicht besser hätte inszenieren können. Bis zu sechs der Zotteltiere versammeln sich im Umkreis. Eine Mutter mit zwei knuddeligen Teddys im Schlepp bringt ihren Nachwuchs vor männlichen Bären in Sicherheit, denn die würden nicht zögern, die Jungen zu töten und zu fressen.

Das Thermometer zeigt minus 12 Grad Celsius. Der Windchill, die gefühlte Temperatur, liegt bei minus 21 Grad. Jetzt kommt die zu Hause verpönte lange Unterhose zum Tragen. Vom Wind getriebene Schneekristalle stechen wie Nadeln auf der Gesichtshaut, und schon bald sind die Finger am Auslöser der Kamera steif vor Kälte. Also Aufwärmen am Gasofen des Buggys.

Draußen liefern sich zwei männliche Bären einen Sparringskampf mit Ohrfeigen und angedeuteten Bissen ins Genick. Andere Tiere wälzen sich fotogen auf dem Rücken, winken scheinbar den Fotografen mit den Pranken zu. Sie setzen sich auf den Hintern oder legen sich auf den Bauch, den massiven Kopf mit den schwarzen Knopfaugen auf die Tatzen gestützt. Dann gucken sie, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Einige ältere Bären sind besonders neugierig und wahrscheinlich auch hungrig. Sie richten sich auf den Hinterbeinen am Buggy auf und schnuppern mit ihren schwarzen Nasen nach Menschenfleisch. Aber mehr als sattriechen ist nicht drin.

In Churchill treffen wir gegen Ende der Reise Robert Buchanan, den Präsidenten von Polar Bears International, einer gemeinnützigen Organisation, die sich dem Schutz von Eisbären widmet. "Schätzen Sie sich glücklich", sagt Buchanan. "Sie gehören wahrscheinlich zur letzten Generation, die Eisbären noch in freier Natur erleben kann."

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