Heute arbeitet Abu Jandal im Irak als Taxifahrer. Die Szene, in welcher er mit seinem Sohn „Tom & Jerry“ ansieht, ist die paradoxeste in Poitras Reportage über den ehemaligen Leibwächter Osama bin Ladens. Abu Jandals Verbindung zu dem meist gesuchten Terroristen der Welt hatte fatale Folgen. Nicht für Abu Jandal, sondern dessen Bekannten Salim Hamdan. 1996 begegneten sich die beiden Männer vor einer Moschee im Jemen, wo Jandal Krieger für den Dschihad rekrutierte. Auf einer gemeinsamen Reise durch Afghanistan schlossen sie sich bin Laden an. Jandal wurde dessen Leibwächter. Auch Hamdan arbeitete für bin Laden als dessen persönlicher Chauffeur. In Poitras Dokumentation bleibt Hamdan ein Schatten, Leerstelle und Zentrum, um welches die Gespräche und Interviews ebenso kreisen wie um bin Laden. Hamdan selbst kann sich nicht äußern. Im November 2001 wurde er in Kandahar festgenommen. Im Mai des folgenden Jahres brachte man ihn nach Guantanamo Bay. Die Inhaftierung Hamdans, eines der ersten Gefangenem nach den Anschlägen des 11. September, erscheint als ein Pyrrhus-Sieg des US-Militärs im Kampf gegen Al Quaeda. Wen unbedeutenderes hätten das Militär fassen können, fragt ein Journalist auf einer Pressekonferenz. Der erste Gefangene aus bin Ladens engstem Umfeld – nur dessen Fahrer. Hamdans angeblichen Freund und Mitkämpfer Jandal sieht man in „The Oath“ sowohl im arabischen als auch im US-amerikanischen Fernsehen auftreten. Seines Nimbus als Vertrauter bin Ladens ist er sich bewusst. Nie hört man ihn sagen, er sei bin Ladens Freund gewesen, habe den Menschen hinter der überlebensgroßen Figur des meist gesuchten Terroristen gekannt. Doch immer fühlt man diese Suggestion in Jandals Reden. Dieses nie eingelöste Versprechen, man könne durch ihn bin Ladens Persönlichkeit näher kennen lernen, macht Jandal interessant. Jandal weiß, dass darauf seine Faszinationskraft beruht. Würde er die Fragen beantworten, verlöre er sie. Er erhält sie aufrecht – und profitiert davon.
Die Interviews und die von Poitras geführten Gespräche mit dem Leibwächter münden in dieses rätselhafte etwas, das Unausgesprochene. „The Oath“ kreist um eine doppelte Leerstelle: den Inhaftierten Hamdan und den ungreifbaren Osama bin Laden. Was bleibt ist eine Bauernfigur auf dem Schachbrett der Macht. Die Fragen, welche Poitras aufwirft, kann ihre Reportage nicht beantworten. Dies gibt „The Oath“ etwas Frustrierendes. Sehenswert ist der Film, weil er einen Einblick in den Alltag eines Al Quaeda-Mitglieds gewährt und nach der Anziehungskraft forscht, welche die Terrororganisation besonders auf junge Menschen ausübt. Regelmäßig lädt Jandal junge Männer und Jugendliche zu sich ein, um mit ihnen über die Bedeutung des Dschihad und Al Qaeda zu sprechen. Dass Jandals Ziel dabei die Rekrutierung der Männer ist, wird in den Szenen offensichtlich, auch wenn er selbst es nie direkt ausspricht. Interessanter als die Worte Jandals ist die Faszination, welche er auf seine jungen Zuhörer ausübt. Wie könne es Recht gewesen sein, all jene Menschen am 11.September zu töten, fragt einer der jungen Männer: „Das waren doch Unschuldige.“ Mit simpler, doch bemerkenswerter Dialektik gelingt es Jandal, ihn von der angeblichen Richtigkeit der Anschläge zu überzeugen. Später hängt der junge Mann an Jandals Lippen. Und dessen Sohn geht ein westliches Soda-Getränk kaufen. „Sie sind Ungläubige.“, lacht Jandal: „Aber sie arbeiten ernsthaft.“
Titel: The Oath
Berlinale Forum
Land/ Jahr: USA 2010
Genre: Dokumentarfilm
Regie und Buch: Laura Poitras
Kamera: Kirsten Johnson, Laura Poitras
Laufzeit: 90 Minuten
Bewertung: ***