Auch zur Berlinale das sich gern als Filmfestival mit politischen Inhalten positioniert. „Fuocoammare“ als fulminanter Film über die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer vor und auf Lampedusa – aber nicht nur. Der italienische Beitrag von Gianfranco Rosi zeigt beide Welten, die traditionelle wie aktuelle auf der abgelegenen Insel zwischen zwei Kontinenten. Dr. Bartolo praktiziert als Arzt mit genau gleicher freundlich fachlicher Hingabe gegenüber den Patienten einer ihm unverständlich gebärenden Hemisphäre wie dem kleinen Hypochonder Samuele. Der Schlingel jagt Singvögel bis er, halb blind, einsichtig wird und sie im Lichtschein streichelt. Alltagserleben hier, Asylantendasein dort – gleich nebenan. Aber gefühlt meilenweit voneinander entfernt. Das Wunschkonzert mit herzzerreißenden Schnulzen im lokalen Radio – das vielstimmige Lamento der weithin Vertriebenen aus dem Lager: Lampedusa als Beispiel für bereits bestehende Parralelwelten.
Bin berlinalen, darling
In Hollywood wäre das wohl ein Fall für Eddie Mannix von Capitol Pictures. Gewesen – einst in der Traumfabrik. Traum und Fabrik – das passt eigentlich nicht zusammen und passte damals doch wie der Eröffnungsfilm anschaulich zeigt. „Hail,Ceasar!“ lief somit im Wettbewerb außer Konkurrenz. Einige silberne Bären wären ihm sonst wohl sicher. Für George Clooney als römischer Legionär der vom rechten Glauben im Kinogeschäft abfällt als kommunistische Drehbuchschreiber ihn kidnappen. Ein sowjetisches U-Boot taucht plötzlich auf und das Lösegeld versinkt im Meer – ärgerlich was da schäbig ins Lächerliche gezogen wird. Herrlich jedoch als Clooney angesichts Christus am Kreuze bei seinem theatralischen Auftritt als Moralapostel das entscheidende letzte Wort entfällt: Glauben! Den hat Eddie Mannix bei der Beichte. Und bleibt bei Tingeltangel und überschäumenden Wasserballett, statt den ihm angebotenen Job bei der Wasserstoffbombe aufzugreifen. Träume sind doch ein besserer Stoff und bereiten schillernd erfreulichere Elixiere.
Krieg, Flucht, Vertreibung, Integration sind bestimmende Themen dieser Berlinale mit 434 Filmen im Angebot für Alle. „Havarie“ von Philip Scheffner öffnet die Sinne, da er den Blick nicht einengt auf jene vorab festgelegte Blickrichtung der Political Correctness oder die Story nur einspurig erzählt. Basismaterial ist ein drei Minuten kurzes Video von Bord der „Adventure of the Seas“ auf Kreuzfahrt. Zu sehen ist ein Boot mit Menschen auf dem Wasser. Hinterfragt werden unsere voreiligen Zuordnungen. Wer sagte uns denn dies seien Flüchtlinge? Zu erkennen ist es aus dieser Entfernung nicht. „Meteorstraße“ dagegen will von vornherein geradlinig aufzeigen, befördert deshalb leider nur Vorurteile der rechtsradikalen Szene. Mohammed genannt Mo wohnt mit dem älteren Bruder Lakhdar, einem Kleinkriminellen, am Rande des Flughafens Tegel und der deutschen Gesellschaft. Sein Versuch sich in der Männerwelt der Motorradwerkstatt zu integrieren scheitert – trotz guten Willens. Wie er sich im Wald aus einem weggeworfenen Pappkarton den Gebetsteppich formt ist mit die beste weil überraschendste Szene. Zerrissen zwischen Beirut und Berlin flieht er zur neuen Familie – in die Fremdenlegion.
„Meteorstraße“ von Aline Fischer war dieses Jahr Eröffnungsfilm der „Perspektive Deutsches Kino“. Darin liefen aber auch Werke wie „Agonie“, die Zuschauer verstört und verunsichert und somit nachhaltig in die Realität abseits der Leinwand entließen. David Clay Diaz schildert in seinem Film das Lieben und Leiden von zwei jungen Österreichern in Wien, welche sich nicht begegnen. „Jede Zusammenführung währe konstruiert, und ich sah darin keinen Mehrzweck, außer die Erwartungshaltung des Zuschauers die aus seiner Sehgewohnheit entsteht, zu befriedigen. Die Figuren treffen sich nie und genau das finde ich spannend“ meinte der Regisseur im Interview zum Presse-Briefing. „Das heißt aber nicht, dass sie (Christian und Alex) nichts miteinander zu tun haben, oder sich gar widersprechen. Ich denke, dass sich beide auf fruchtbare und spannende Weise ergänzen.”¨Sie erweitern das Spektrum.“ Wobei die Geschichte von Christian der seine Liebhaberin, chronologisch betrachtet, völlig unerwartet den Hals durchschneidet, ihre Leiche in Einzelteile zerstückelt welche er in diverse Müllbehälter wirft – wohl leider allein wegen der Sensationsgier mehr Interesse findet. „Dubina Dva“ und „Yarden“ im Forum, „Mariupolis“ und „Europe, She Loves“ im Panorama waren weitere sehenswerte Filme – von denen noch zu berichten sein wird. Außerhalb vom Wettbewerb – und Preisverleihung der silbernen Bären.
Zur Halbzeit der Berlinale konnte Festivaldirektor Dieter Kosslick bekanntgeben dass der Besucherandrang ungebrochen ist. Knapp 250.000 Tickets wurden schon verkauft. „Nach einem fulminanten Auftakt mit dem Eröffnungsfilm Hail, Caesar! in Anwesenheit der Regisseure Joel und Ethan Coen sowie der Schauspieler George Clooney, Tilda Swinton, Josh Brolin, Channing Tatum und Alden Ehrenreich, ging es mit großem Staraufgebot weiter“ meldet die Berlinale. Und zählt auf: „Pernilla August, Susanne Bier, Daniel Brühl, Daniel Burman, Isabel Coixet, Doris Dörrie, Kirsten Dunst, Colin Firth, Greta Gerwig, Brendan Gleeson, Isabelle Huppert, Julia Jentsch, Denis Lavant, Jude Law, Spike Lee, Laura Linney, Julianne Moore, Cynthia Nixon, Guy Pearce, Michael Peña, Tim Robbins, Gianfranco Rosi, James Schamus, Michael Shannon, Alexander Skarsgí¥rd, André Téchiné, Emma Thompson, Wayne Wang u.v.m. waren in der ersten Festivalhälfte bei der Berlinale zu Gast.“ Und auch wir von WELTEXPRESS und Kulturexpresso sind weiter am berlinalen, darling! Aber unsere schicken 3D-Brillen können wir wohl diesmal getrost zu Hause lassen. Oder?