Kriegenburgs „Judith“ beginnt heute. Das Schauspielensemble, von Kostümbildnerin Camilla Daemen mit Freizeitkleidung ausgestattet, joggt auf die Bühne und spricht im Chor: „Ich bin Judith, die den Holofernes ermordete“. Auf diese Weise stellen sich im Lauf des Stücks immer wieder einzelne Mitwirkende vor, die nicht die Titelrolle spielen. Das klingt ein bisschen nach naivem Bekenntnistheater und fällt aus dem Rahmen der kunstvoll komponierten Inszenierung.
Auf das Publikum überträgt sich der Gedanke nicht, dass jede und jeder Judith sein könnte. Wie häufig im Deutschen Theater sprechen die SchauspielerInnen weniger miteinander und mehr in Richtung Zuschauerraum, ohne sich jedoch direkt ans Publikum zu wenden.
Die ZuschauerInnen bleiben draußen, bis auf einen beklemmenden Moment, in dem sie durch Licht- und Toneffekte den Eindruck gewinnen, auf einem Kriegsschauplatz zu sitzen.
Juliane Grebins Bühne ist zu Beginn nur ein schmaler Streifen mit einer weißen Wand im Hindergrund, auf der aktuelle Bilder zu den Themen Krieg, Terror und Macht zu sehen sind. Unter der Abbildung einer Frau mit Kopftuch ist zu lesen: „I am not a terrorist“.
Nachdem das Ensemble die Bilder schwarz übermalt hat, fällt die Wand nach hinten wie später weitere Wände, so als würden die Seiten eines riesigen Buchs umgeblättert.
Blickfang ist auch ein riesiges Tuch, unter dem sich zunächst Judith verbirgt, in das sie dann ihren Verehrer Ephraim einhüllt wie eine Puppe, um ihn zu verhöhnen. Raffiniert zu Umhängen drapiert wird das Tuch bei den Verzweifelten in der von Holofernes belagerten Stadt Bethulien. Sie bewegen sich im Kreis, formieren sich zu einer Gruppe, die an Rodins „Bürger von Calais“ denken lässt, und rennen immer wieder schreiend in alle Richtungen auseinander mit dem straff gespannten Tuch in ihrer Mitte.
Der weise Älteste der Ebräer ist eine hübsche kleine Marionette, der Aenne Schwarz ein Fistelstimmchen verleiht. Die Ironie, von der die Vorstellung geprägt ist, schafft Distanz zur Tragödie und sorgt für Leichtigkeit.
Aenne Schwarz, Elias Arens, Harald Baumgartner, Matthias Neukirch und Bernd Stempel agieren als bedrohte Bethulier und als Gefolgsleute des Holofernes. Sie gestalten Hebbels Texte verständlich unterhaltsam, manchmal überspitzt, ohne jedoch die Grenze zur Parodie zu überschreiten.
Auch Bernd Moss im Trägerkleidchen als Judiths Magd Mirza vermeidet befremdliche Komik. Moss fügt sich dezent ins Geschehen ein und kauert als Mirza meistens verängstigt am Bühnenrand.
Alexander Khuon als Holofernes ist der schöne Wilde, der anscheinend ahnungslos fragt, was Sünde ist. Er ist ein selbstverliebter Narziss ohne Skrupel und ohne Empathie, den seine militärischen Erfolge größenwahnsinnig werden lassen.
Alexander Khuon spielt mit der Figur, stellt sich neben sie, erschafft sie immer wieder neu, probiert unterschiedliche Ausdrucksformen, darunter einmal, ganz nebenbei, in einem Satz eine Hitlerparodie.
Krieg und Gewalt gegen Frauen gehören zusammen. Das zeigt sich in einer Vergewaltigungsszene, an der Holofernes mit seinen Männern teilnimmt. Wie fast alles in dieser Inszenierung geschieht auch das leichthin, fast tänzerisch. Und ebenso leichthin ersticht Holofernes seine Männer, einen Mann nach dem anderen und zieht dann die blutbespritzten Mäntel seiner Opfer übereinander an, vervielfacht gleichsam sich selbst durch diesen Raub an den Toten.
Für die sexuelle Vereinnahmung der Judith lässt der betrunkene Holofernes sich Zeit. Er spielt mit seiner Beute, torkelt um Judith herum, verheddert sich in ihren Kleidern. Während er aus einer Wasserflasche zwischen ihren Beinen trinkt, singen die Tigerlillies „Open Your Legs“.
Judith lässt all das in starrer Haltung über sich ergehen. Katharina-Marie Schubert ist wie ein tapferer Soldat, der aufrecht in den Kampf geht und sich seine Ängste und Zweifel nicht anmerken lässt. Was sie denkt und empfindet äußert Judith lediglich in Selbstgesprächen und im Dialog mit Mirza.
Katharina-Marie Schubert gestaltet Hebbels Text hervorragend eindringlich. Sie macht die Zerrissenheit dieser Frau spürbar, die alles andere ist als eine Heldin. Schuberts Judith ist eine Verstörte, ganz im Sinne Hebbels.
Diese Judith opfert sich für ihr Volk, nachdem ihr Leben jeden Sinn verloren hat. Judith fühlt sich schuldig, weil ihr mittlerweile im Krieg gefallener Ehemann niemals mit ihr geschlafen hat. Das Versagen ihres Mannes lastet sie sich selbst an, und die Tatsache, dass andere Männer sie begehren wie auch die Gewissheit, dass Holofernes sie begehren wird, bedeuten für Judith keine Erlösung von ihrer verinnerlichten Schuld, die sie in ihren Augen zu einer Unwürdigen macht.
Dass sie den Holofernes tötet und damit zur Retterin ihres Volks wird, empfindet Judith nicht als Triumph. Auf der Bühne ist zu sehen, wie Judith dem schlafenden Holofernes das Schwert durch den Hals bohrt. Die siegreiche Judith mit dem Kopf des Holofernes jedoch kommt in dieser Inszenierung nicht vor.
Den Tyrannenmord begreift Judith als notwendigen Akt, den sie nicht bereut. Ihre Selbstanklagen aber hören nicht auf. Sie wirft sich vor, Holofernes begehrt zu haben und schließlich klagt sie sich an, nur aus Ruhmsucht gehandelt zu haben. Ihr Volk hat Judith befreit. Sie selbst ist am Schluss mehr denn je in ihre Schuldkomplexe eingesperrt.
Katharina-Marie Schubert entwickelt sehr subtil das Psychogramm einer Frau, die sich selbst zerstört als Opfer einer erbarmungslosen Männergesellschaft und schafft damit einen leisen aber unüberhörbar scharfen Missklang in deutlichem Kontrast zu der ansonsten so gefällig erscheinenden Inszenierung.
„Judith“ von Friedrich Hebbel hatte am 18.03. Premiere in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Weitere Vorstellungen: 29.03., 11., 17. und 25.04. und 01.05. 2011.