Bewegt sich da was? – Wiesbaden will erneut ein Fluxus-Jubiläum feiern

Fluxus. © Münzenberg Medien, Foto: Dr. Jürgen Pyschik, Ort und Datum der Aufnahme: Wiesbaden, 2016

Es begann mit einer Konzertreihe für Neue Musik im September des Jahres 1962. Ort: Das damals noch städtische Museum. In vierzehn Konzertenerlebten die Besu-cher unter dem Etikett FLUXUS die Darstellung von „Klängen“ an Stelle konventioneller Musik, bis hin zu jenen Geräuschen, die entstehen, wenn man einen Konzertflügel mit Hämmern und Sägen zerlegt – das legendäre „Piano Aktivities“ von Philip Corner.

Zwanzig Jahre später, als man sich zur ersten Jubiläumsdfeier traf, erinnerte sich Emmett Williams, einer der Protagonisten von 1962. „Lassen Sie sich nicht durch das Wort „Museum“ täuschen. Wir waren damals keine Museumsware, und bald nachdem die 14 Performances in vollem Gange waren und bekannt wurde, dass wir einen Konzertflügel zerhackten, waren wir im Museum persona non grata. Im Fernsehen und in der Presse machte man sich über uns lustig, und solche irren Bemerkungen wie BETRUG und DIE VERRÜCKTEN SIND FREI wurden überall in der Stadt auf die Festivalplakate gekritzelt.“(Wiesbadener Fluxus, S.84) Und so stellt er verwun-dert fest, dass nun nicht nur in dem gleichen Museum eine „FLUXUS-Gala“ veranstaltet wird, sondern dafür auch noch mit Plakaten geworben wird, die ausgerechnet die Truppe beim fröhlichen Flügelzerstören zeigen.

Die Geschichte wiederholt sich, dieses Mal hoffentlich nicht als Farce, denn auch die Werbung für das Fluxusjahr 2012 zitiert wieder ein Foto der „Piano Activities“
Von den Teilnehmern der 62er Aktion waren 1982 noch einige am Leben und dabei – Andersen, Brecht, Knowles, Patterson (der in Wiesbaden geblieben war und in der Westendstrasse noch heute ein Atelier besitzt), de Ridder, Nam June Paik und Vostell um nur einige zu nennen – und konnten wenn auch mit einigem Unbehagen (Jubiläum und Fluxus – passt das überhaupt) das alte Hotel (Goldenes Ross) und das alte Museum wieder zum Schauplatz ihrer Aktivitäten machen.. Nur die Zentralfigur, George Maciunas,  war schon 1978 gestorben.

Maciunas war in den 60er Jahren nicht nur Inspirator und Organisator der Fluxusbewegung, er finanzierte auch wesentlich die Wiesbadener Veranstaltung. 1982 hatte diese Funktion das Ehepaar Berger, Besitzer von Harlekin Art und bekannt geworden durch den „Lusthansa-Aufkleber“ übernommen. Die Bergers sind auch 2012 wieder dabei, allerdings diesmal als Leihgeber aus ihrer Sammlung, die Finanzierung übernehmen dieses Mal die Stadt Wiesbaden mit 250.000€ und die Kulturstiftung des Bundes.

Am Ende der Feier von 1982 hatten sich die Protagonisten darauf geeinigt, den Programmzyklus im Jahre 2001 erneut aufzuführen – zur 39-Jahr-Feier, denn eine 40-Jahr-Feier erschien einfach zu glatt. Wobei man nach einiger Überlegung keine Flügel-Zerlege-Aktion einplante – in der realistischen Einsicht, dass es eventuell schwierig würde, gefesselt an einen Rollstuhl ein solches Instrument zu zerlegen.

Nun haben wir statt dessen also die 50-Jahr-Feier, noch dazu als amtliche Veranstaltung. Die Stadt hatte aufgerufen, dass wer immer etwas zu Fluxus beitragen könne, sich melden möge. Da kommt wohl zu passe, dass Fluxus sich immer einer Definition entziehen wollte so dass fast jeder das Etikett strapazieren kann.

Und genau so fällt nun das Angebot aus. Neben Ausstellungen mit Werken der Fluxus-Künstler Patterson und Jones (Museum Wiesbaden, Nassauischer Kunstverein und Bellevue-Saal), Dokumentationen zu „Fluxus in Wiesbaden“ (Stadtmuseum) und Fluxus-Festspielen Neuester Musik (wie das Vorbild von 1962 im September) gibt es Veranstaltungen, die eher mittelbare Bezüge haben. So führt das Staatstheater das Stück „Sam“ einer Nachwuchsautorin Schmidt auf, das die Geschichte des Künstlers Hsieh aufgreift, der sich 1978 in seinem Studio in New York für ein  Jahr selbst isolierte. Indem die Autorin sich dieser Situation zuwende, greife sie den Grundgedanken der Fluxus-Bewegung auf: “Der Gegenstand der Kunst ist der Mensch selbst“. Und natürlich gibt es auch Trittbrettfahrer wie das Schloss Freudenberg. Dieser Veranstaltungsort, der schon jahraus – jahrein eine „Erlebniswelt für die Sinne“ anbietet, macht nun Fluxus für ein Publikum vom Krabbelkind bis zum Greis (von 3 bis 103 Jahren). Und was bekommt man geboten: „Freudenberg-Fluxus – arbeiten und Spielen, mit dem was man hat. – bedingungslos anfangen, verlernen, den Zu-Fall fangen oder Führungen mit Klangimprovisationen, Geschichten und Dunkelbar.“ Und wem dass noch nicht reicht: Im Schlosscafe wird ein Fluxusgedeck angeboten – wahrscheinlich Flüssignahrung.

Auch wenn die Veranstalter vom Fluxusjahr sprechen, so beginnt die heiße Phase doch erst Anfang Juni, wenn die großen Ausstellungen eröffnet werden. Dann mag der Besucher selbst entscheiden, an welcher Stelle wirklich Fluxus drin ist und wo nur Fluxus draufsteht.

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