Engagierte Schauspieler wie Angela Winkler und ihre am Down-Syndrom leidende Tochter Nele, junge Studenten, innovative Selbstständige – man lernt eine Gruppe unabhängiger, vielseitiger Menschen kennen. Naja, kennen lernt man sie nicht wirklich. Persönliches verraten sie nicht, schwierige Themen sprechen sie nicht an. Man begegnet ihnen, als würde man sie zufällig beim Plausch auf der Strasse treffen. Das ist ganz nett. Aber nicht Berlin. Nur einmal trifft es eine Dialogzeile: “Eine Hässlichkeit von großer Schönheit” wird der Stadt attestiert. Widersprechen wollen Ballhaus weit positiverem Stadtbild wahrscheinlich die wenigsten, weil es so schmeichelhaft daherkommt. Aber mal ehrlich: Berlin ist nicht nett. Sondern schroff, schmutzig, rau. Sonnenschein strahlt in Ballhaus “In Berlin” über der Stadt. Kein Regentropfen fällt, kein Lüftchen rührt sich. Dabei weht ein herber Wind durch die Stassen. Es regnet auch oft. Die Busse fahren einem dann vor der Nase weg und die Autos spritzen einen nass. “Ruhig“, findet ein Interviewter die Stadt. “Guck mal, wie langsam die gehen.” , sagt er auf Fußgänger zeigend. Berliner gehen nicht einfach langsam. Sie trödeln. Bis sie es dann eilig haben, dann rempeln und drängeln sie. Ein bisschen Rempeln und Anecken hätte auch Ballhaus Hommage gut getan. Stattdessen laviert sie sich um alle Schattenseiten der Metropole herum, selbst die harmloseren. “Die Berliner kritisieren viel.”, lautet die herbste Kritik. “Sie nörgeln an allem herum.” Das trifft es schon eher. Besonders gerne nörgeln Berliner an dem herum, was sie eigentlich mögen. Darum haben, worauf vage verwiesen wird, viele Wahrzeichen Spitznamen. Telespargel (Fernsehturm), Waschmaschine (neues Kanzleramt), Erichs Lampenladen (Palast der Republik, den Berlinern genommen). Und Berlin natürlich. Ballhaus ist “In Berlin” einziger Nichtnörgler.
Ein Kioskbesitzer erzählt, wie schön es im Bezirk Wedding sei. Hier wolle er nicht wegziehen, immer attraktiver werde die Gegend. Wedding schön? Es muss sich wohl um einen anderen Wedding handeln. Der Wedding in Berlin ist bekannt für seine Jugendgewalt, Drogenprobleme und Kriminalität. Die Fehleinschätzung rührt vielleicht daher, dass viele der Interviewten keine Berliner sind. Nun heißt Ballhaus Dokumentarfilm nicht “Die Berliner” sondern “In Berlin”, aber in Berlin gibt es auch gebürtige und alteingesessene Berliner und die glänzen auffällig durch Abwesenheit. Das erstreckt sich auf Regisseur Michael Ballhaus selbst, der sich als Urberliner nicht vor die Kamera traut. Die wenigen Nichtzugereisten, die der Film vorstellt, rekrutieren sich aus der Elite. Klaus Wowereit oder Fernsehmoderatorin Maybritt Illner zum Beispiel. Wer hat schon etwas gegen Maybritt Illner? Sie tritt so kompetent und sympathisch auf. Dazu passen die oft aus der Vogelperspektive aufgenommen Bilder, die Kamerafahrten entlang den malerischsten Strassen. Die schäbigen Gegenden, Tristesse und Armut bleiben verborgen. Die im Dunkeln sieht man nicht.
Am ausdrücklichsten äußert sich das Manko des Dokumentarfilms in den Worten des vierzehnjährigen Schülers Jan. Berlin habe viele schöne Gegenden. Und ein paar nicht so schöne. Außerdem hat es einige hässliche und verdammt hässliche Gegenden. Aber das bleibt ungesagt. Ebenso ungezeigt, denn Ballhaus und Cappellari gehen nicht ins von Plattenbauten geprägte Hellersdorf mit seinem Rechtsradikalenproblem, ins emigrantengeprägte Neukölln oder triste Marzahn. Kein Sozialhilfeempfänger kommt zu Wort, kein Arbeitsloser, kein unmotivierter Schüler, ein “Motz“-Verkäufer (“Die Obdachlosenzeitung”¦!”) aus der U-Bahn schon gar nicht. Man erlebt auch keine wohlhabenden Zehlendorfer oder ökofanatische Besserverdiener aus Prenzlauer Berg. Die könnten ja arrogant wirken. Dabei ist Berlin durchaus ein bisschen arrogant. So wirkt Ballhaus Werk wie ein Werbefilm für die Stadt. Seine Absicht, ein authentisches Porträt zu zeichnen, scheitert.
Auf den ersten Blick schenkt Michael Ballhaus seiner Geburtsstadt eine filmische Hommage. Bei genauerem Hinsehen betrügt er sie um ihre Kantigkeit, Unangepasstheit, Rotzigkeit. Doch, Berlin ist nett. Wenn man sich die Mühe macht, es kennen zu lernen. Ballhaus Film tut dies nicht. Liebenswert ist die Hauptstadt durch ihre Freundlichkeit unter der rauen Schale. “In Berlin” gibt es mehr als gutverdienende sorgenfreie Müßiggänger, wie der Film sie zeigt. Berlin ist – eben anders. Müsste man mal wieder hinfahren und einen authentischen Film darüber drehen.
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Titel: In Berlin
Genre: Dokumentation
Land/Jahr: Deutschland 2009
Kinostart: 14. Mai 2009
Regie und Drehbuch: Michael Ballhaus, Ciro Cappellari
Kamera: Michael Ballhaus, Ciro Cappellari
Mit: Angela Winkler, Nele Winkler, Danielle De Picciotto, Alexander Hacke, Klaus Wowereit
Verleih: Farbfilm
Laufzeit: 100 Minuten
FSK: Ohne Altersbeschränkung
Internet: www.inberlin-derfilm.de