Die Reise mit dem 80 Jahre etablierten, aber keinesfalls in die Jahre gekommenen Glacier-Express ist ein Berg-, Aussichts- und Eisenbaherlebnis pur. Hautnaher als hier – es sei denn auf Schusters Rappen – kann die Faszination der Berge kaum erlebt werden. Das gläserne Dach der Waggons gibt Panoramen frei auf die gewaltige, stets wechselnde Szene. Satt-grüne, liebliche Talschaften wechseln mit zerklüfteten Eisströmen mächtiger Gletscher, einsame, blühende Alpweiden alternieren mit kalt-schroffen Felswänden und auf verträumte Dörfer folgen tosende Wildbäche. Während im Winter Schneewehen unter den Gleisen knirschen, rauschen im Sommer die Wälder im Wind. Sightseeing im Star der eidgenössischen Schiene ist eine Klasse für sich als Querschnitt durch die uralte, mit Kirchen, Burgen und Klöstern als Wegmarken faszinierende, schweizerische Kulturlandschaft. Entlang berühmter Sehenswürdigkeiten aller Stilepochen erklimmt die rote Bahn viele Höhepunkte der Schweiz.
Vorbei am durch den gewaltigen Bergsturz aus dem Jahr 1991 bei Rande hervorgerufenen gigantischen Geröllkegel, der hier einmal auch die zerstörerische Seite der Natur zeigt, streift der Glacier-Express winzige Dörfer, die sich an die Flanken der Berge schmiegen und passiert uralte, vom regen Handelsverkehr vergangener Tage zeugenden Steinbrücken über die Rhone. Tief im Berg schraubt sich der Zug 150 m höher und belohnt zurück im hellen Sonnenlicht mit altehrwürdigen Walliser Holzhäusern und scheuen Steinböcken an den Steilhängen. Der Zug mit Aussicht spart nicht mit Superlativen: Auf 2033 m bezwingt er den Oberalppaß mit dem grandios in die Kulisse der schneebedeckten Berge eingebetteten gleichnamigen See. Disentis erwartet den Glacier-Express, und selbst aus dem fahrenden Zug nimmt der monumentale Bau der ältesten Abtei der Schweiz mit seinen Doppeltürmen das Ortsbild seit 1695 beherrschend in der von den Benediktinern geprägten Surselva gefangen. Kaum Zeit bleibt für ein Atem holen, bevor auch das als „Grand Canyon der Schweiz“ bekannte Vorderrheintal mit spektakulären Ausblicken auf ein beeindruckendes Naturschauspiel empfängt: kreidebleiche Felswände in skurrilsten Formen und Farben beiderseits der Gleise türmen sich in mächtige Höhen und gebieten dem türkisblauen Fluten einen schäumenden Durchlaß. Da können fast nur noch die lieblichen Landschaften des folgenden Graubündens die aufgebrachten Emotionen wieder beruhigen.
Eine Fahrt mit dem Glacier-Express ist aber nicht nur für die Augen ein Schmaus; hier wird auch kulinarisch verwöhnt und mit dem Gaumensinn genossen! Besonders stolz sind die eidgenössischen Betreiber der Bahn auf die kredenzten Delikatessen des Landes. Wie die klare Luft der Berge mit dem würzigen Duft der Wälder harmoniert und die Farbenpracht der Blüten dem saftigen Grün der Weiden keinen Abbruch tun, paßt zum tiefen Blau der Bergseen ein guter Schluck des berühmten Weißweines aus der Fendant-Traube – serviert vielleicht im extra schrägen Glas für steilste Berg- und Talfahrten. Oder doch lieber ein Stückchen zarte Alpenmilchschokolade? In jedem Fall: im historischen Gourmino oder dem längsten Speisewagen der Welt, dem Jumbo, stimmt der Rahmen mit weißen Stofftischtüchern, frischen Schnittblumen und Porzellangeschirr. Hochprozentiges wird hier traditionell mit höchster Kunstfertigkeit auf eine besondere Art serviert: die geübte Bedienung läßt das kostbare Getränk aus mindestens einem Meter wie ein Wasserfall treffsicher ins Glas plätschern, ohne daß ein Tropfen daneben geht.
Früh bereits wurden beim Glacier-Express Maßstäbe gesetzt. Von jeher reisten die Passagiere in gediegenen Salon- oder umgebauten Personenwagen. Heute ist der sich daraus entwiclte „Alpine Classic Pullman Express“ nichts Anderes als eine Steigerung des Glacier-Express: in liebevoll und aufwendig restaurierten Karossen aus den Zwanziger Jahren, in denen sich schon Louis Armstrong und Feldmarschall Montgomery verwöhnen ließen, erleben Gäste jetzt eine faszinierende Fahrt durch die Eisenbahnhistorie Europas.
Schnaubend und zischend kämpfen sich auch wieder schwarze Ungehäuer durch die Berge wie bereits vor 100 Jahren – mit Wasserdampf und Kohlenstaub; und am Abend steht es den Fahrgästen im wahrsten Sinne des Wortes im Gesicht geschrieben, daß sie ein außerordentliches Erlebnis hatten. Bahn frei für ein Stück Eisenbahngeschichte; denn die Dampfbahn Furka-Bergstrecke läßt die goldenen Zeiten der Dampfeisenbahn in der Schweiz aufleben. Unendlicher Pioniergeist wurde 1983 im Verein Furka-Bergstrecke gebündelt, Bahnenthusiasten aus ganz Europa setzten in abertausenden Stunden ehrenamtlicher Arbeit die im Zuge des Streckenneubaus durch den Basistunnel aufgegebene alte Trasse zwischen Realp und Gletsch wieder in Stand, führten die vier nach der Elektrifizierung der Bergstrecke 1942 nach Vietnam verkauften Dampflokomotiven wieder in die Schweiz zurück und machten diese schließlich erneut betriebsfähig. Rund 700 kg Kohle und 3000 Liter Wasser verbrauchen die Ungetüme, um einen voll besetzten Zug mit 60 Tonnen Anhängerlast von Realp nach Gletsch zu befördern. Um die 110 Promille Steigung zu erklimmen, bedient man sich auf fast 2/3 der Strecke der sog. Zahnstangentechnik, einer Art Steigehilfe für Lokomotiven, bei der sich der Zug an einer im Gleis eingelassenen Zahnradschiene hoch zieht, weil die alleinige Adhäsionskraft nicht mehr ausreicht und die Räder ansonsten durchdrehen würden.
Überhaupt sind es ingenieurbauliche Meisterleistungen, die den Betrieb des Glacier-Express überhaupt ermöglichen, seien es Schwindel erregende Linienführungen über den turmhohen Landwasser-Viadukt, Spiraltunnels im wilden Albulatal oder Kletterpartien zum höchsten Punkt 2033 m über Meer. Mit den einfachen Möglichkeiten der Jahre 1890 bis 1930 schufen beherzte Pioniere unter Anwendung zahlreicher Kunstgriffe ein einzigartiges Stück Bahnbau, ohne es dabei vermissen zu lassen, Natur, Kultur und Technik in Einklang zu bringen. Dabei entstand manch ein weltweites Unikum, etwa die 37,5 m lange Steffenbachbrücke, deren geniale Konstruktion jeweils von Wintereinbruch an die Bergflanken zurück gezogen wird, um den zu Tale donnernden Lawinen den Vortritt zu lassen.
Dabei wird die Erfolgsgeschichte des schweizerischen Superzuges ständig fortgeschrieben und die jüngst zur Flotte gestoßenen vier gleichwertigen Panoramazüge bieten ein innovatives State-of-the-art-Betriebs-, Angebots- und Verpflegungskonzept. Die Weichen für die Zukunft des Glacier-Express sind gestellt.