Das alles kann für den alternden Sportler umso mehr gelten. Es kommen noch einige altersspezifische Faktoren hinzu. So wie äußerlich die Haut altert, altert auch das innere, nicht sichtbare Gewebe und ist nicht mehr so belastungsfähig. Die Gewebetoleranz lässt nach. Muskeln, Bänder und Gelenke reagieren empfindlicher und die Erholungszeit wird länger. Also kann nicht mehr so hart und umfangreich trainiert werden. Daneben lässt die Kraft nach und damit trotz erhaltener Ausdauerfähigkeit die erreichbare Geschwindigkeit. Viele leistungsorientierte älter werdende Sportler versuchen den Leistungsabfall durch vermehrtes Training zu kompensieren und heraus zu schieben. Sie müssen meist eine vermehrte Verletzungsanfälligkeit in Kauf nehmen. Oft haben sie noch die früheren Leistungen als Maßstab im Kopf und erleben den Abfall als Enttäuschung und Versagen. Für sie ist die absolute Leistung der Maßstab und nicht die altersgerechte Leistung.
Jugendwahn
Sollten die Sportler in Zeiten des Fitness- und Jugendwahns Alterung als Verfall und als Selbstwertdefizit betrachten, gegen das sie sich anstemmen und das es zu kompensieren gilt, den Versprechungen der Werbeindustrie für Sport wie etwa „forever young“ (wie das Buch von Ulrich Strunz heißt, worin allerdings in reißerischer Aufmachung größtenteils eine seriöse Trainingslehre verkündet wird) auf den Leim gehen, verstärkt sich der Teufelskreis. Dann kommt zum Gewebeschmerz infolge der körperlichen Überforderung noch der psychische Versagensschmerz hinzu, der wiederum als körperlicher Schmerz wahrgenommen werden kann. Mancher frühere Spitzensportler muss bei der Alterung einen leidvollen Weg gehen. Das Versprechen der ewigen Jugend durch Sport erweist sich als Fluch.
Früherer Trainingsstil
Auch haben frühere Leistungssportler meist den früheren Trainingsstil im Kopf, den sie später nicht mehr aushalten und als Folge verletzt sind. Aufgrund ihrer Beschwerden verzichten viele dann auf die weitere Sportausübung. Für sie heißt das auch den Leistungsstress, mit der Begründung etwa „das Knie ist kaputt“, und verzichten dabei allerdings auch auf die Vorteile des Sportelns. Dann sind die gut dran, die erst mit 50 oder 60 anfangen. Sie haben nicht einen früheren Trainingstil als Maßstab im Kopf, haben auch meist nicht mehr aufgrund ihres Alters größere Leistungsambitionen, richten sich mehr nach ihrer Befindlichkeit und können das bringen, was sie halt gerade bringen. Auch im Alter ist noch ein erheblicher Leistungsaufbau möglich, sodass man jahrelang die Freude des Fortschrittes genießen kann, wenngleich nicht mehr auf dem Niveau des Jüngeren. Das kann oft mehr sein als bei der altgedienten, etablierten Konkurrenz. Dafür kenne ich einige Beispiele. Dann heißt es „die Gelenke der Newcomer sind nicht so verschlissen“, die allerdings als lebendes Gewebe auch bei einem langjährigen, leistungsambitionierten Ausdauersportler nicht verschlissen zu sein brauchen. Außerdem haben auch Nichtsportler, die sich nie im Leben stärker belastet haben, oft kaputte Gelenke.
Funktionalität
Die Beschwerdefreiheit oder –anfälligkeit sind eine Frage der körperlichen und psychischen Funktionalität. Auch stark organisch geschädigte Gewebe können oft noch recht gut funktionieren, und Training und Wettkampf können in Maßen gut absolviert werden. Dafür gibt es wiederum genügend Beispiele. Aber auch ein völlig intaktes Gewebe kann Beschwerden und Reizungen verursachen. Dabei spielen, wie erwähnt, die körperliche und seelische Überforderung eine ausschlaggebende Rolle.
Beschwerde- und körperlicher Befund stimmen oft nicht überein. Dafür ist ein typisches Beispiel der sogenannte Bandscheibenvorfall. Der Rückenschmerz ist die häufigste Erkrankung. Wenn man die Bevölkerung durchröntgt, finden sich auch Bandscheibenvorfälle bei Beschwerdefreien. Er ist lediglich häufiger bei Rückenschmerzkranken. Andere Faktoren spielen eine tragende Rolle, evtl. eine körperliche und seelische Überlastung.
Oder neulich erzählte mir ein Orthopäde: Ein Rückenschmerzkranker hatte einen Bandscheibenvorfall und einseitige Ischiasschmerzen, aber leider jeweils auf der falschen Seite. Das soll nicht heißen, wenn Beschwerdebild und organischer Befund nicht übereinstimmen, dass die Erkrankung nicht ernst zu nehmen ist. Das ist wiederum das Problem. Wenn sich keine ernsthaften organischen Veränderungen zeigen, wird der Kranke im mechanistischen Krankheitsbild häufig von sich selbst und dem Umfeld nicht ernst genommen, gilt als eingebildeter Kranker oder gar als Psychokrüppel. Deswegen der Run nach organischen Erkrankungen, um sich ernst genommen zu fühlen und nicht in Rechtfertigungsdruck zu geraten, der wiederum krank machen kann.
Lebensaussichten
1992 wurde in der Laufzeitschrift „Spiridon“ ein Artikel von mir mit dem Titel „Ausdauer und Lebenserwartung“ zu den Ergebnissen einer Studie der Verlaufbeobachtung von über 2000 Teilnehmern des Elfstädteschlittschuhlaufes (gut 200 km) in Holland hinsichtlich ihrer Sterblichkeit über 30 Jahre hinweg veröffentlicht. Die Sterblichkeit war geringer als bei der Vergleichsbevölkerung, also die Lebenserwartung höher, jedoch nicht bei den Spitzenläufern. Damals schrieb ich ähnliches wie heute und führte die nicht verbesserte Lebenserwartung der Spitzenläufer auf den gesundheitsschädlichen Leistungsstress in Training und Wettkampf zurück.
Eigene Erfahrungen
Nun komme ich zu mir selbst und meinen Erfahrungen. Bei aller Schreiberei meine ich, wie jeder Schreiberling, natürlich auch mich selbst. Ich bin inzwischen 67 Jahre alt und habe einen erheblichen Leistungsabfall zu beklagen, zumindest, so lange ich das so sehe und jetzige mit früheren Leistungen vergleiche. Zum Ausgleich meiner ausschließlich sitzenden beruflichen Tätigkeit habe ich mit 33 Jahren zuerst mit Skigymnastik, dann mit Laufen angefangen. In den Jahren zuvor mit Anfang 20 und später war ich mit Fuß- und Knieschmerzen belastet. Mit 25 ließ ich mich am Knie operieren. Leistungsambitionen hatte ich damals überhaupt nicht im Kopf. Dazu fühlte ich mich zu alt. Außerdem hatte ich keinerlei Vorstellungen, was da so trainiert wird.
Marathon war für mich etwas für Helden. Angeregt durch das Umfeld der Mitläufer des Skiklubs, nahm ich mit 34 Jahren an Volksläufen teil, verbesserte meine läuferische Leistungsfähigkeit und lief mit 35 meinen ersten Marathon. Beim ersten Versuch des vermehrten Trainings schwollen meine Knöchel beidseitig an, so dass ich den Marathon erst mal vergessen wollte, es aber ein halbes Jahr später nach dreiwöchigem Training noch mal versuchte. Wiederum schwollen die Knöchel an, aber nicht so stark, und ich lief trotz geschwollener Knöchel Marathon. Danach trat dies Problem nie mehr auf. Das Gewebe war adaptiert.
Als ich mich Spiridon Frankfurt und einer Läufertruppe im Grüneburgpark anschloss, wurde das Laufen immer mehr und intensiver, und die Zeiten verbesserten sich. Das ergab sich einfach so von selbst. Das Laufen entwickelte sich neben Familie und Beruf zu einem wichtigen Standbein im Leben. Nach dreieinhalb Stunden im Marathon lief ich dann unter dreieinviertel, dann unter drei Stunden, mit 38 unter 2.50, nur unter 2.40 schaffte ich nicht mehr, vielleicht, weil ich angeregt durch die Mitläufer zuviel trainiert hatte. Unter dem Einfluss von Spiridon-Mitläufern versuchte ich mich mit 38 in Biel auf 100 km, musste den ersten Versuch wegen Kniebeschwerden abbrechen. Als ich mit den 9-Stundenläufern unter der Dusche stand, beneidete ich diese so sehr, dass ich mich nach dem nächsten Hunderter erkundigte und in Dillingen startete. Dort traten die Kniebeschwerden zwar wieder auf, ließen aber bald nach, so dass ich (trotz Verlaufens 200 m vor dem Ziel und Umweg) knapp unter 9 Stunden als Gesamtfünfter im Ziel ankam.
Jetzt war ich plötzlich der Beste im Verein Spiridon, ein zusätzlicher Ansporn. 100 km war meine Strecke. Im gleichen Jahr in Unna und im nächsten Jahr in Biel wurden die Zeiten schneller. Erst nach 2 Jahren lief für mich überraschenderweise mein Freund Wolfgang Karaschkewitz in Unna.schneller und gewann den Lauf. Meine Bestzeit lief ich mit 44 Jahren in Torhout in 7.25 Stunden, mehrfach um die 7.30. Danach ging es nur noch rückwärts. Trainingsfehler vermasselten mir mögliche Zeiten, und ab 47 gab ich die 100 km bei Versuchen nur noch auf, da ich, die alten Zeiten im Kopf, für meine inzwischen nachlassenden Verhältnisse zu schnell angegangen war. Heute sehe ich das so, mein Gewebe war inzwischen empfindlicher geworden. Vielleicht schmerzte mich dieser Umstand und der Leistungsrückgang noch zusätzlich. Wenn ich mit anderen zusammen lief und mir nach 20 km schon alles weh tat, hieß es „für dich ist das doch nur ein lockeres Einlaufen“ – von wegen, welch eine Verkennung der Tatsachen! Der Ruf ist halt zeitlos.
Aber inzwischen hatte ich etwas Neues. Angeregt durch die Grüneburgtruppe fingen wir zu viert, ich war 41, mit Triathlon an. Das Laufen war mir sowieso zu einseitig geworden und orthopädisch zu verletzungsanfällig. Beim alleinigen Laufen meldeten sich die Knie wieder. Das abwechslungsreichere Triathlontraining war orthopädisch besser zu verkraften. Das Laufen als das orthopädisch Belastenste habe ich lockerer gestaltet und lief trotzdem noch mit weniger Lauftraining anfangs bessere 100-km-Zeiten. Mit 46 ergab sich, eigentlich mehr zufällig und ohne Zielvorgabe, meine Ironman-Bestzeit in Roth. Damals lief ich Marathon zum letzten Mal unter 3 Stunden. Der Stress fing im nächsten Jahr an, als ich diese Zeit verbessern wollte, da in meinen Augen durch eigene Fehler einiges nicht optimal gelaufen war. Subjektiv besser trainiert, ging im nächsten Jahr der Schuss nach hinten los.
Damals schrieb ich über den Fluch des Erfolges und versuchte mir in Artikeln und Referaten die psychologischen Zusammenhänge klarer zu machen. Eine Alterung und ihre Folgen hatte ich aber damals noch nicht im Kopf. Aber mit 49 und 54, als ich meinem Körper vor der jeweiligen neuen Alterklasse mehr Schonung versprochen hatte und schon wieder zu eifrig war, ließ ich mich an den Knien, zuerst links, dann rechts, arthroskopieren. Schon vor vielen Jahren war ich für manche Ärztekollegen ein Paradebeispiel muskulärer Dysbalancen. Im Nachhinein gesehen waren die Zeiten langsamer, aber noch recht gut. Mit 57, 59 und 61 hatte ich noch mal schöne Erfolge beim Ultratriathlon, da die Ausdauer noch vorhanden war.
Der große Rückschritt erfolgte mit 60 Jahren beim ersten Ironman in Frankfurt, gut zwei Stunden langsamer als angenommen, und den Jahren danach. Im Ultratriathlon habe ich fast nur noch, wie früher bei 100km, aufgegeben, nicht wegen orthopädischer Probleme. Die langsamere, Kraft sparende Bewegung hat meine Orthopädie gut vertragen. Aber mein Stoffwechsel vertrug die lange Belastung nicht, wahrscheinlich weil ich, noch den alten Bewegungsablauf im Kopf, zu wenig Pausen gemacht habe und meinem Körper in der langen Ausdauerbelastung zu wenig Zeit zur Regeneration ließ. Meist um den ersten Marathon war ich fix und fertig und erholte mich nicht mehr. Andererseits hat mir das wenig ausgemacht. Ich war schon zufrieden, überhaupt so lange dabei gewesen zu sein, 11,4 km geschwommen und 540 km Rad gefahren zu sein.
In den letzten Jahren habe ich versucht, meine Belastungsintensität an die psychischen und körperlichen Alterungsgegebenheiten anzupassen, habe aber immer noch teils mich zu stark belastet, noch die alten Erfahrungen im Kopf, mir zu wenig Erholung gegönnt, so dass ich mit Beschwerden, mal in den Knien, mal den Muskeln, büßen und aussetzen musste. Auch stehe ich der Ausdauersportausübung recht zwiespältig gegenüber, ob ich überhaupt noch an Wettkämpfen teilnehmen soll oder nicht besser etwas anderes, weniger anstrengendes mache wie Reisen und Kultur. Motorradfahren kam als neue Interesse hinzu, die mit dem Radfahren in Interessens- und Zeitkonflikt geriet. Manche fragen mich, warum ich das überhaupt noch nötig hätte.
Erst im letzten Jahr scheint es mir besser gelungen zu sein, einen inneren Konsens zu finden, zu trainieren, aber meist locker und nicht zuviel, und zu sehen, was so kommt. Und es kam letztes Jahr ungeplant und kurz entschlossen eine ganze Menge, mehrere Laufwettbewerbe, weniger als Wettkämpfer, mehr als Teilnehmer, 3 kurze Duathlons, 2 Kurztriathlons, ein Mitteltriathlon, 2 Quadrathlons (dazu Paddeln im Kajak ohne jegliche Vorbereitung) und eine Ironman-Distanz in Bad Ems, wo ich bei lockererer Wettkampfgestaltung auch nicht langsamer als 7 Jahre zuvor war.
Ob ich mit mir zufrieden oder sogar stolz auf mich bin, ist eine Frage der Perspektive und des Vergleichs. Wenn ich mich mit den Besten meiner AK vergleiche, falle ich inzwischen im Gegensatz zu früher völlig hinten runter. Manche altgedienten Leistungssportler haben Glück und können beschwerdefrei hart trainieren. Dies Glück habe ich leider oder gottseidank nicht. Gottseidank, weil ich so nicht unter Leistungsstress gerate. Vergleiche ich mich überhaupt mit meiner Altersgruppe, stehe ich bestens da und bekomme Beifall wie in Bad Ems, den ich sogar von Mitwettkämpfern überrascht zur Kenntnis nahm. Oft bin ich der Einzige in der Altersklasse. Wer kann das in meinem Alter überhaupt noch? Die Perspektiven in den nächsten Jahren sehen auch nicht ungünstig aus. Ganz abgeschrieben habe ich den Ultratriathlon auch noch nicht.
Warum schreibe ich das? Ich sehe manch traurige Verläufe von Leuten vor Augen, die mit diesem Alterungsprozess überhaupt nicht zurecht gekommen sind, oft je besser sie vorher waren, eine Wiederholung ihrer Erfolge im Auge, viel zu heftig sich belasten und belastet haben und jetzt nur unter Schmerzen leiden. Auch soll Doping unter Altersklassensportlern weit verbreitet sein. Leistungsehrgeiz und Erfolgssucht werden so zum Fluch mit allen negativen Folgen für Seele und Körper, wobei die seelischen Folgen weniger zu verkraften sind. Manche begnügen sich mit dem, was noch geht, wie Radfahren, Walken oder Schwimmen. Für besser halte ich, Leistung und Erfolg zu vergessen, sich dem Alterungsprozess und Leistungsabfall anzupassen, diesen zu akzeptieren und auf die eigene Befindlichkeit zu achten und frühe Warnzeichen nicht zu ignorieren. Auf diesem Weg wird innere Freiheit und Lockerung gewonnen, so daß die Wirkungen von Ausdauersport, besser als alle Medikamente, sich voll entfalten können. Das gilt auch für sämtliche anderen Lebensbereiche. Aber, wie soll das gehen in einer Leistungsgesellschaft, wo Leistung, Erfolg und Status oberste Priorität genießen?