In dieser längsten Geschichte des vorliegenden Bandes früher Erzählungen erleben wir die Welt durch Grischas Augen. Es sind die stärksten Texte Iwan Bunins, die mit den ganz jungen Augen sehen, den knapp erwachsenen Händen greifen. Hier wird zum allerersten Mal geliebt, sinnlich geschaut, gerochen, ertastet. Auch der Intellekt ist noch scheu und fahl, bedarf der Anregung und der Ausschau. Wunderbar entblättert Bunin in der zitierten über 60 Seiten reichenden Novelle „Auf der Datscha“ die Sinnsuche eines jungen Mannes. Grischa erfährt durch den Eigenbrötler Kamenski die nötige Einweisung für ein Leben im Geist der Unruhe und des Aufruhrs, und muss gleichzeitig erleben, wie seine Familie und die Datschennachbarn den alten Philosophen verspotten.
In den siebzehn Erzählungen spielt das russische Land die Hauptrolle, mit seinen Bewohnern und Bewirtschaftern, seinen Landschaften und Tieren. Armut, Hunger und Leid der einfachen Leute wie die Verarmung des kleinen Landadels hat Bunin kennengelernt und in diesen Prosastücken verdichtet. Stark schimmert dennoch die Liebe durch all seine Melancholie, Liebe zu den Wintern und Wäldern, Schlitten und Glocken, den Menschen des Nordens mit all ihren Wundern und Erhellungen im Dunkel dickstämmiger Hütten. Beim Leser kommt ein Funke Bedauern auf, dass er nicht dabei sein kann, wenn der Autor von solchem berichtet:
„Es kam vor, daß die Jagdgesellschaft sich mehrere Tage bei so einem gastfreundlichen Nachbarn einquartierte. Im frühen Morgengrauen ging es durch den eisigen Wind und den ersten feuchten Frost in die Wälder und aufs Feld, und zur Dämmerung kehrte man zurück, über und über verschmutzt, mit geröteten Gesichtern, nach Pferdeschweiß und dem Fell der erlegten Tiere riechend, und das Trinkgelage begann. In dem hell erleuchteten Haus mit den vielen Menschen ist es nach einem ganzen Tag in der Kälte auf dem Feld sehr warm. Alle gehen in aufgeknöpften Westen von einem Zimmer ins andere, trinken und essen durcheinander, teilen einander ihre Eindrücke über den ausgewachsenen Wolf mit, den sie erlegt haben und der mit gefletschten Zähnen und gebrochenen Augen mitten im Saal liegt, den buschigen Schwanz zur Seite geworfen, und mit seinem blassen, schon erkalteten Blut den Boden färbt.“
Iwan Bunin verbrachte 33 Jahre seines Lebens im Exil, seine Heimat hatte er 1920 in Richtung Paris verlassen, als Fünfzigjähriger. Wie er unter diesem Verlust gelitten haben muss, ahnt man anhand der vorliegenden Texte, die zwischen 1890 und 1909 erstmals publiziert wurden. Dank der liebevollen Edition mit ihrer einfühlsamen Übersetzung von Dorothea Trottenberg und einem hilfreichen Nachwort Thomas Grobs wird Bunin neue Verehrer finden, die ihm begeistert zum Ursprung der Tage folgen werden.
„Im Nebel meiner Vergangenheit gibt es einen fernen Tag, an den ich mich besonders häufig erinnere. Ich sehe ein großes Zimmer in einem Holzhaus”¦“
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Iwan Bunin: Am Ursprung der Tage, Frühe Erzählungen 1890-1909, Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg, hrsg. v. Thomas Grob, 283 S., Dörlemann Verlag, Zürich, 2010, 24,90 €