Knackfuss: „Auf dem Weg zur Gründung des Nationalparks Hunsrück-Hochwald im Jahre 2015 haben sie bereits eine schwierige Wegstrecke zurückgelegt. Was kennzeichnete die Ausgangssituation?“
Egidi: Die große Herausforderung und das Neue im Gesamtprozess zur Gründung des Nationalparks Hunsrück-Hochwald war, dass das Vorhaben durch Partizipation geprägt sein sollte. Das heißt, wir wollten die Menschen vor Ort von vorne herein mitnehmen. Hinzu kam, dass wir ohne Vorfestlegung zunächst fünf fachlich geeignete Gebiete in die engere Wahl genommen haben. Man konnte also nicht vorhersagen, ob und in welcher Region man am Ende konkret die nächsten Schritte einleiten würde und welche Erwartungen im Raum stehen. Wir haben das Verfahren sozusagen auf den Kopf gestellt. Im Gegensatz zu den üblichen Verfahren bei der Gründung von Nationalparken, bei denen zunächst ein Gesetz- oder Verordnungsentwurf die Diskussion prägt und auch für Zündstoff sorgen kann, haben wir erst mit den Menschen geredet und danach als Ergebnis aus diesem Vorgehen das Regelwerk und die einzelnen Vorhaben entworfen.
So gesehen haben wir sehr viel Arbeit in die Vorbereitung gelegt. Bei einer Ablehnung wäre diese vertan gewesen. Andererseits sind wir sicher, dass wir in der nun anstehenden Umsetzung schneller und vor allem gemeinsam mit der Region vorgehen können.
Knackfuss: „Beide Bundesländer haben das Ziel ergebnisoffen angesteuert. Inwieweit sind sie auf Einwände und Ablehnungen gestoßen?“
Egidi: Neben unmittelbaren Einwänden und Ablehnungen hat es zunächst viele Fragen gegeben. Durch den intensiven Dialogprozess – es gab über 400 Termine vor Ort – konnten wir viele sich abzeichnenden Probleme oder auch Sorgen und Ängste aufgreifen und im Vorfeld bereits belastbare Antworten geben. Ein typisches Beispiel war die Sorge, das Brennholz könne knapp werden. Hier musste sehr schnell ein Konzept her, um Sicherheit zu geben. Entscheidend ist am Ende, nicht abstrakt über ein Mehr oder Weniger an z.B. Biodiversität zu verhandeln, sondern die Menschen, Betriebe und Kommunen in ihrer unmittelbaren Betroffenheit zu erreichen. Das beginnt beim Pilze sammeln, geht über Hilfen bei der Einrichtung von Ferienpensionen und reicht bis zum Thema Breitbandversorgung im ländlichen Raum. Das eigentliche Vorhaben, ein Großschutzgebiet einzurichten, gelingt nur, wenn es in die gesamtgesellschaftliche Situation vor Ort eingebettet ist und die Leute Perspektiven für sich und die Region erkennen. Man erreicht hierbei auch nicht alle Gruppen oder Konsens auf ganzer Linie. So hat beispielsweies die Sägeindustrie ihre Bedenken vehement vorgetragen und lehnt das Projekt weiterhin ab.
Knackfuss: „Welches Gebiet wird der 16. Nationalpark von Deutschland umfassen?“
Egidi: Der Nationalpark ist ca. 10.200 Hektar groß und liegt im westlichen Hunsrück, dem so genannten Hochwald. Er erstreckt sich vom Saarland im Bereich Otzenhausen – dort liegt der berühmte keltische Ringwalll – bis zur Mörschieder Burr im Osten – einem der ältesten Naturschutzgebiete im Land. Der Nationalpark erstreckt sich über die Höhenzüge des Hunsrücks. Der Erbeskopf, der höchste Berg Deutschlands westlich des Rheins , liegt im Gebiet. Es regnet dort viel und es kann recht frisch werden. Hingegen sind bekannte, warme und sonnenverwöhnte Regionen nicht weit. In den Tälern grenzen nach Norden die Mosel, nach Süden die Nahe mit der Edelsteinregion Idar-Oberstein an. Es ist ein alter vor allem bereits durch keltische Landnutzung geprägter Raum. Als Besonderheit finden sich dort viele Moore und Felsformationen auf engem Raum nebeneinander. Auch große alte Buchenwälder der Hochlagen prägen das Gebiet. Die Gegend ist rau und buchstäblich arm. Der Hochwald ist eine herbe und vielen unbekannte Schönheit. Die Besucher müssen sich hierauf einstellen. Wer für sich ganz privat Entschleunigung sucht, ist hier richtig aufgehoben.
Knackfuss: „Seit Beginn dieses Jahres haben sie ein gemeinsames Starterteam vor Ort. Welche Funktion haben diese „Nationalpark-Pioniere“?“
Egidi: Das Starterteam ist unser Scharnier in die Region. Die Kolleginnen und Kollegen bereiten die Ausweisung der verschiedenen Zonen im Gebiet und Entwicklungsmaßnahmen, wie z.B. die Renaturierung von Mooren vor. Es muss ein Wegeplan entworfen werden, es müssen Start-Angebote für Besucher entwickelt werden, man muss mit den Touristikern geeignete Konzepte entwerfen und es bedarf einer Anlaufstelle für die Bürgerschaft und die Kommunen. Wir hoffen, auf diese Art und Weise quasi aus dem Laufenden starten zu können.
Knackfuss: „Bei der Gestaltung der Kernzonen geht es auch um den bestehenden Fichten-Bestand. Welche Konzepte werden dsbzgl. Verfolgt?“
Egidi: Es gibt bei der Fichte, die im Moment noch ca. 37 % des Gebiets einnimmt, drei große Entwicklungslinien.
Auf den Moorstandorten finden sich viele alte Entwässerungssysteme, die die Moore mitunter stark in Mitleidenschaft gezogen haben. Hier soll zunächst die standörtliche Situation, zum Beispiel durch Grabenverschluss wieder in den natürlichen Zustand überführt werden. Im nächsten Schritt ist zu prüfen, ob die seinerzeit nach der Anlage der Gräben gepflanzten Fichten wieder entnommen werden. Auch sie ziehen Wasser, wirken auf den Boden wie ein Stampfer und eutrophieren die Flächen. Wir gehen davon aus, dass über 1.000 Hektar hiervon betroffen sind.
Im Randbereich zum angrenzenden Wirtschaftswald außerhalb des Nationalparks werden in der Übergangsphase junge Buchen unter alte Fichten gepflanzt. Viele Flächen sind bereits entsprechend vorbehandelt. Seit Ende der 1980iger baut man dort die Fichtenwälder der Hochlagen in buchenbetonte Mischwälder um. Auf den Auszug der Fichte in den Randbereichen folgt dann ein von der Buche geprägter Mischwald, der mit Blick auf Borkenkäfer wesentlich unproblematischer ist.
Im Kern des Gebietes finden wir auf ca. 400 ha Flächen, in denen sich auch die Fichte gänzlich frei entwickeln soll. Wir werden sehen, ob sie dort uralt wird, ob der Borkenkäfer den Wald umgestaltet oder ob Orkane oder Schnee die Strukturen neu formen. Hier gilt von Beginn an: Natur Natur sein lassen. Die Bereiche sind so ausgewählt, dass es keine „Blickfänge“ für die angrenzenden Dörfer sind. Dies war übrigens eine deutliche Forderung aus der Bürgerbeteiligung. Sie sind auch so weit von bewirtschafteten Nachbarwäldern entfernt, dass keine Gefährdung nach Außen entsteht.
Knackfuss: „Für die Bürger soll der neue Nationalpark auch Wohlfahrtswirkungen haben. Worauf können sich die künftigen Besucher freuen?“
Egidi: Das Vorhaben ist ganz klar auch auf eine modellhafte Entwicklung des strukturschwachen ländlichen Raums im Hunsrück ausgerichtet. Die Region leidet stark unter dem demographischen Wandel und auch der Abzug der Streitkräfte führt zu spürbaren Einschnitten. Mit dem Gesamtprojekt wurden Förderprogramme für die ländliche Entwicklung neu aufgelegt. In der Verwaltung arbeiten wir für die Nationalpark-Region ressortübergreifend zusammen, Akteure werden zusammen gebracht und Fördertöpfe ausgeschöpft. Eine Expertengruppe „Modelldörfer“ optimiert hier Beratung und Umsetzung von Vorhaben. Es wurden bereits viele Starterprojekte initiiert, die sich auch um ganz essentielle Fragen der Infrastruktur kümmern. Hierbei müssen Kreis- und Gemeindegrenzen und damit auch manche „Kirchtürme“ überwunden werden. Sowohl die touristische Bewerbung als auch die Optimierung der Verkehrssituation bringen Vorteile für Gäste und auch die Bevölkerung. Die Region wächst zusammen und entwickelt ihr eigenes Profil.
Viele Schulen möchten ihre Unterrichtsinhalte auf das Thema „Nationalpark“ ausrichten. Das beginnt bei Naturwissenschaften und reicht bis zu Fragen der regionalen Identität.
Oft hört man in Gesprächen, der Hochwald läge „zentral abseits“ und es mangele auch an Selbstbewusstsein, sich klar zur Lage und Herkunft zu bekennen. Das Nationalparkprojekt ist eine einzigartige Chance, einen Impuls aufzugreifen, sich in einer neuen Form bekannt zu machen und selbst zu finden.
Knackfuss: Vielen Dank für das Interview.