In geheimer Abstimmung hat die Orchesterversammlung einstimmig für die Fortsetzung der Zusammenarbeit votiert. Die Vertragsverhandlungen sind im Gange und die allseitige Bereitschaft ist gegeben. Im Orchester empfindet man Fischers seinerzeitige Berufung als »goldene Entscheidung für das Konzerthaus und für Berlin«. Die geplanten Vertragsverlängerungen bei Fischer wie auch beim Chefdirigenten des Deutschen Symphonie Orchesters Berlin, Tugan Sochiew, sind Impulse für ein hohes Niveau des Berliner Musiklebens. Am 28. und 29.Juni wird sich Fischer im Konzerthaus auch als Komponist vorstellen, mit seiner Oper »Die Rote Färse« – eine Begebenheit aus der ungarisch-jüdischen Geschichte, uraufgeführt im Jahre 2013 in Budapest.
Populär war das Orchester bereits unter dem Namen Berliner Sinfonie-Orchester unter der legendären Leitung von Kurt Sanderling. Auch heute noch wird Sanderling als eine Art Übervater sowohl vom Orchester als auch von Iván Fischer verehrt, der dem Freunde zu seinem 100. Geburtstag im Jahre 2012 eine Hommage widmete. Doch die Zeiten sind härter geworden. Im Sozialismus drängten die Besucher geradezu ins Haus. Die Eintrittpreise waren niedrig. Es gab Betriebsabonnements. Und Partei und Gewerkschaft anempfahlen den Werktätigen Theater- und Konzertbesuche als Tugend des vielseitig gebildeten sozialistischen Menschen. Organisation jedoch war kaum nötig, denn allmonatlich stellten sich Hunderte im Morgengrauen am Schauspielhaus an, um einen Zettel mit Termin zu ergattern, zu dem sie an der Kasse Karten kaufen konnten.
Heute ist die Kunst »am Markt«, und Konzertbesuche muss man sich leisten können. Nun sind öffentliche Generalproben keine neue Erfindung, aber in Berlin nicht Usus. Iván Fischer führte bei seinen Konzerten sogleich öffentliche Generalproben ein – für fünf Euro, und das ganz dezidiert auch »für Leute, die sich keine Konzertkarte kaufen können«. Studenten haben freien Eintritt. Vor allem sollen die Proben zeigen, wie man sich dem Konzert oder dem Stück nähern kann. Zu Rennern wurden bei Fischer auch Überraschungskonzerte, spontane Wunschkonzerte, Espresso-Konzerte, szenische Aufführungen und – der Knaller – Marathon-Konzerttage »für Verrückte«, wie Fischer sich ausdrückt: einen ganzen Sonntag von früh bis spät in allen Sälen Beethoven, Dvorak oder demnächst Mozart. Das Publikum geht mit. Die Statistik bestätigt es. 2013 gab das Konzerthaus 324 eigene Veranstaltungen mit 158 000 Besuchern. Die Auslastung stieg von 74,4 auf 80,4 Prozent. Die Stammkundschaft wuchs um 15 Prozent. 2013 besuchten 10 000 Kinder und Jugendliche Juniorveranstaltungen. Alles in allem die beste Jahresbilanz seit zehn Jahren, resümiert der Intendant Sebastian Nordmann.
So soll es in der Saison 2014/2015 weitergehen. Trotz einer Unterbrechung im Großen Saal wegen des Umbaus der Bühne werden ab 10. Oktober 336 Eigenveranstaltungen geboten – fast jeden Tag eine, davon 90 für Kinder und Jugendliche. Für fremde Veranstalter kommen noch 200 hinzu. Da leisten die Techniker etwas! Als neues »Konzertformat« hat sich Fischer das »Mittendrin« ausgedacht. Der Große Saal wird von Stuhlreihen befreit. Jeder Besucher sucht sich einen Platz zwischen den Orchestermusikern. Er soll die besondere Atmosphäre erleben, die zwischen den Orchestermusikern und Iván Fischer entsteht. Der Erkenntnisgewinn beim Publikum und bei den Musikern bleibt abzuwarten, aber bekanntlich beherrscht das Genie das Chaos. Der Eintritt kostet 20 Euro mitten im Orchester und 18 Euro im 1.Rang. Wer da angesprochen werden soll, wurde in der Jahrespressekonferenz des Konzerthauses nicht diskutiert. Vier Übungen sieht die Spielzeit 2014/2015 vor. Die öffentlichen Proben zu fünf Euro werden wie bisher bei Konzerten von Gastdirigenten beibehalten.
Höhepunkt der neuen Saison ist im November eine Hommage an den österreichischen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, dessen Schüler Iván Fischer war. Harnoncourt kommt mit den Wiener Philharmonikern, es gibt eine Ausstellung und eine Festschrift, und der Meister schaut aus einem Film heraus. Im März 2015 veranstaltet das Haus ein »Festival Berlin der 20er« mit Raritäten wie der Opern-Farce »Triple-Sec. Die Sünde des Lord Silverside« von Marc Blitzstein und dem Bühnenspiel »Der Silbersee« von Kurt Weill. Schließlich »läuft« am 10. Mai der Mozart-Marathon in allen Sälen. Stargast wird die Pianistin Mitsuko Uchida sein. Zudem darf sich das Publikum auf den russischen Pianisten Arkadi Volodos freuen, der als Artist in Residence zwölf Konzerte geben wird. Die Eintrittspreise bleiben 2014/2015 stabil.
30 Jahre steht nun das ehemalige Königliche Schauspielhaus wieder. Bemerkenswert ist das unverkrampfte Verhältnis des Ensembles zur Geschichte des Hauses in der DDR. Bereits in der 2008 erschienenen Chronik »Apollos Tempel in Berlin« war die erstaunlich objektive Beurteilung der Kulturpolitik der DDR einschließlich der Rolle des Ministeriums für Kultur und der Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED aufgefallen. Am 1. Oktober ist der Jahrestag der Wiedereröffnung des im Kriege zerstörten Schauspielhauses im Jahre 1984. Interessant ist die Fragestellung des Pressematerials, wessen zu gedenken sei: »Nach der Karl-Marx-Allee, dem Fernsehturm und dem Palast der Republik nahm sich die Hauptstadt der DDR ein nächstes großes Projekt vor: ein Wahrzeichen in Form eines klassizistischen Baus nach preußischer Tradition. Doch wie konnte es im realsozialistischen Umfeld der DDR zu einem Schinkel-Neubau kommen, den es vorher so nie gegeben hatte?« Denn: die Hülle ist von Schinkel, die Säle des Hauses sind Neubauten der DDR. Bernhard von Hülsen wird im Auftrag des Konzerthauses einen Film produzieren: »Schinkel Reloaded – Warum die DDR sich und Schinkel neu erfand.« Den Machern ist Eile geboten, denn auch die Zeitzeugen werden alt. Der wichtigste ist der Chefarchitekt des Wiederaufbaus, Manfred Prasser. Am Ende des Films sollen die Zuschauer ein packendes Stück DDR-Geschichte gesehen haben. Die Dokumentation soll die emotionale und identitätsstiftende Dimension der Wiedereröffnung erlebbar machen. Ort und Zeit der Aufführung des Films sind noch nicht bekannt.