Amerikas Fiasko in Kabul

Saigon 1975, Kabul 2021. Wie sich die Bilder gleichen. Quelle: Facebook, Screenshot eines Auszuges vom 15.8.2021, Berlin, 20:40 Uhr

Wien, Österreich (Weltexpress). Zwei Jahrzehnte im Kampf der USA und ihrer Verbündeten gegen den Rückfall Afghanistans in mittelalterliche Barbarei sind am letzten Sonntag kläglich gescheitert: Kabul als letzte Bastion der Freiheit ist gefallen, jetzt wird das „Islamische Emirat Afghanistan“ errichtet – mit allen Schrecken einer von Fanatismus geprägten Diktatur. Am internationalen Hamid-Karzai Flughafen in Kabul spielten sich Szenen ab, die an den 30. April 1975 erinnerten, als der letzte Helikopter vom Dach der amerikanischen Botschaft in Saigon abhob, Amerikaner evakuierte und Tausende von verzweifelten Südvietnamesen zurückließ, für die kein Platz mehr in der Maschine war. Der amerikanische Botschafter, Graham Martin, nahm das zusammengefaltete Sternenbanner mit in die Heimat. Wenig mehr als 46 Jahre später rollen amerikanische C-17 Transportmaschinen über die Startbahn des Flughafens Kabul, verzweifelte Afghanen klammern sich an Tragflächen und Fahrgestelle; einige stürzen in den Tod. Ross Wilson, der amerikanische Chargé d’Affaires in Kabul, rollt die amerikanische Flagge ein und wird ausgeflogen.

Die Bilder gleichen sich; Geschichte scheint sich zu wiederholen: Südvietnam 1975, Afghanistan 2021. Erneut hat die Supermacht Amerika einen jahrelang mit Milliardenaufwand und unter Einsatz modernster Technologie geführten Krieg in einem fernen Kontinent verloren – gedemütigt von einem unzulänglich bewaffneten aber hoch motivierten, todesmutigen Gegner. Diesem hat Amerika seine (zutiefst korrupten) Verbündeten schutzlos ausgeliefert. Als erster hat der afghanische Präsident Ashraf Ghani, der doch gelobt hatte, bis zum bitteren Ende zu kämpfen, die Flucht ergriffen – angeblich auf einem derart mit Bargeld überladenen Helikopter, dass stapelweise Banknoten auf dem Flugfeld zurückgelassen wurden.

Das afghanische Drama wirft viele Fragen auf: eine neue Flüchtlingswelle wird sich über die Nachbarländer und vermutlich auch Europa ergießen. Die Nuklearmacht Pakistan hat sich eilig den Taliban als Verbündete angedient. Wie aber wird sich die aufsteigende schiitische Nuklearmacht Iran gegenüber den sunnitischen Taliban verhalten? Wird Afghanistan wieder zur Brutstätte des Terrorismus – unmittelbar vor dem 20. Jahrestag von 9/11? China hat bereits die Hand für freundschaftliche Beziehungen zu den Taliban ausgestreckt. Die Sowjetunion hatte sich 1979 – 1989 in Afghanistan eine blutige Nase geholt, besiegt von den amerikanisch aufmunitionierten Mujahedin: Die Russen haben guten Grund, die Kapitulation der Amerikaner vor denselben islamistischen Kämpfern mit Häme, ja Schadenfreude mitzuverfolgen.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dr. Charles E. Ritterband wurde am 19.8.2021 in „Voralberger Nachrichten“ erstveröffentlicht.

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