Diese Zeilen sind dem Tagebuch Justinas entnommen, 1984 mit Bleistift notiert. Justina, von der Farm Uellendahl aufgebrochen, Namibia in seinem Kampf für ein freies Land zu unterstützen, ist eine Freundin der Erzählerin Emilia gewesen.
Der Roman „Namibia-Namibia“ führt in das Land der Kindheit Emilias, einer weißen Farmertochter, die nach über zwanzig Jahren das erste Mal aus Deutschland zurückkehrt. Mit ihren Augen und Ohren nehmen wir die jüngste afrikanische Republik wahr. Ausgelöst durch den frühen Tod ihres Mannes reist Emilia in ihre eigene, schmerzliche Vergangenheit, die Fahrt ist Trauerbewältigung und Suche zugleich. Emilia beschäftigt sich mit Fragen, die sie jahrzehntelang verdrängt hat – was ist aus ihrer Jugendliebe Hosea geworden? Wie ist Justina damals ums Leben gekommen und wo lebt ihre Tochter Nandesora heute? Sind Emilias Eltern auf der Farm Uellendahl geblieben und könnte man sich gegenübertreten?
Emilia reist durch ein ihr fremd gewordenes Land und so haben wir die Chance, mit ihr ein Namibia kennen zu lernen, dass noch immer den mühsamen Weg in die Freiheit, in die Demokratie lernt. In eindringlich leisen Bildern schafft Renate Klöppel den Zugang zu einer Gesellschaft, die mehr mit uns zu tun hat, als es auf den ersten Blick scheint. Die deutsche Geschichte ist untrennbar mit der Namibias verknüpft, nicht zuletzt durch die koloniale Epoche und ihre grausamen Vernichtungskriege. Die Suche nach der verschollenen Tochter Justinas führt Emilia in eben diese Wüste, die Omaheke, in der tausende Hereros vor über hundert Jahren einen grausamen Tod fanden.
„Zwei Tauben landeten auf dem Wellblechdach. Das Kratzen und Scheppern, wenn die Vögel über das rote Blech liefen, war die Erinnerung an eine andere Welt: Tauben auf dem roten Wellblechdach eines weißen Farmhauses hoch über dem Fluss, ein alter einäugiger Elandbulle, Eukalyptusbäume, Palmen, deren Wedel im Wind raschelten…“
Renate Klöppel kombiniert geschickt den Aufenthalt ihrer Erzählerin in einem Hüttendorf in der Kalhari-Wüste, in dem Hererofamilien mit ihren Rindern noch immer abgeschieden leben, mit ihren Kindheitserinnerungen auf der Farm.
Ihre Landschaftsbeschreibungen sind präzise wie poetisch, verknüpft mit den Tagebucheinträgen Justinas und Emilias Recherchen, Gesprächen. Das Besondere an diesem Roman ist die Dominanz der weiblichen Perspektive, Emilia sucht Nandsora, schreibt an Nora in Deutschland, liest Justinas Notizen und trifft Martha (eine junge Hererofrau, die ihr in der Wüste Unterkunft gewährt).
Von Martha erfahren wir, dass die jungen Männer ihres Stammes dem Irrglauben aufsitzen, wer mit einer Jungfrau schlafe, werde von AIDS geheilt. „Die Mädchen, mit denen sie schlafen, werden immer jünger. Kinder werden vergewaltigt, sogar Kleinkinder, in der Vorstellung, sich durch die reinen Körper von der Krankheit zu befreien. Die Männer glauben, was ihnen gefällt, und nicht was offensichtlich ist. Sie schänden die Mädchen und dann nehmen sie sie mit sich in den Tod“.
Schmerzhafte Erkenntnisse, die Emilia mit ihren eigenen Erfahrungen abgleicht. Wie stark sind rassistische und patriarchale Prägungen in Namibia erhalten geblieben? Was hat ihre weiße Mutter damals zur Liebe ihrer Tochter zu einem Schwarzen gesagt? Wie leben Frauen, die dem Männerdiktat in den Homelands entronnen sind? Wie lebt es sich in Katatura, den Slums der Hauptstadt?
Gegen die starken weiblichen Figuren im Roman fällt die Jugendliebe Hosea etwas flach aus, auch seine Wiederbegegnung mit Emilia hätte getrost gestrichen werden können. Wie die Suche Emilias ausgeht, soll nicht verraten werden. Der Roman bietet neben der Spannung der Haupthandlung weitreichende Lektionen zum Freiheitskampf Namibias, zum bestehenden Kampf um Gleichberechtigung der Geschlechter und Rassen. Dem Überlebenskampf gegen AIDS und Armut. Und führt uns immer wieder die landschaftliche Schönheit vor Augen, die etwas versöhnt mit den harten Episoden des Buches.
„Wie der glühende Tisch eines Riesen ragte plötzlich das Waterberg-Massiv vor Emilia aus der Ebene. Die roten senkrechten Felswände, die wie ein Stehkragen aus Bernstein das Plateau einfassten, waren gewaltiger, als sie sie Erinnerung hatte. Und leuchtender. Die Felswände thronten auf einem massiven Sockel, der, kaum weniger steil als die Felswände, sich mit seinen bewaldeten Abhängen unvermittelt aus der trockennen Savanne erhob.“
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Renate Klöppel, Namibia – Namibia, 336 Seiten, Wellhöfer Verlag Mannheim, 2015, Preis: 12,95 Euro