Am Fuß der Blauen Berge – unterwegs in Kanadas Wildem Westen

Deutsch-kanadische Gemütlichkeit mitten in der Wildnis in der Clearwaterlakelodge

Noch ein letzter Kontrollblick auf Lämpchen und Schalter, dann gibt Ralph Gas. Die Schwimmer pflügen volle Kraft durchs Wasser. Doch nicht lange. Kurz darauf steigt die Beaver gleichmäßig aufwärts. Bald ist die Dockanlage am Nimpo-Lake unseren Augen entschwunden. Wohl nur aus der Luft lässt sich das weit verzweigte Geflecht von Seen, Wäldern, Bergen und Gletschern erkennen, welches für das Chilcotin –Gebiet typisch ist. Der Westen Britisch-Kolumbiens, zwischen dem Fraser River und den Coast Mountains, vereint alles, was Kanada zu bieten hat: prärieartiges Ranchland, bevölkert von zahlreichen Rindern, tief eingeschnittene Canyons, vereiste Berggipfel und reißende Flüsse.

Das Flugzeug nimmt Kurs auf den Tweedsmuir Provincial Park. Das kräftige Gelbbeige der um diese Jahreszeit gemähten „rolling hills“ bildet einen starken Kontrast zu den endlosen grünen Wäldern. Dazwischen mäanderartige Flüsse und blau glänzende Seen. Wir überfliegen die Hunlen Falls. Beinahe 300 Meter stürzen die Wassermassen in die Tiefe. Vorsichtig kreist Ralph immer näher um dieses Naturspektakel. Weiter geht es zum Jakobsen-Gletscher, der in den gleichnamigen See kalbt. Welch ein Unterschied. Vor einer Stunde befanden wir uns noch in der frühherbstlichen Wärme am Nimpo-See, hier oben dagegen herrscht lebensfeindliche Kälte, zumal sich die Wolken über uns zusammengezogen haben. Nach einer kurzen Zwischenlandung geht es wieder zurück Richtung „Ausgangs-Flughafen“. Die Farben der Rainbow-Mountains, strahlen nach einem Regenschauer besonders intensiv. Über die Turner-Lake-Chain, eine bekannte Kanu-Route spannt sich ein Regenbogen. Nach sanfter Landung steuert Ralf die Beaver zu ihrer Andockstelle.

Neue Heimat in der Einsamkeit am See

Nach wiederholter Aufforderung greifen Bill und Don doch nochmals zur Gitarre. Der angesagte Westernabend musste wegen des starken Windes in das gemütliche Blockhaus der Clearwater Lake Lodge verlegt werden. Überzeugender hätte selbst Kenny Rogers nicht die Geschichte der vom Leben enttäuschten Farmersfrau Lucille besingen können. Dann greift Cindy zu zwei Esslöffeln, die sie ähnlich wie Kastagnetten aneinander schlägt und damit den von ihr gesungenen Song schwungvoll begleitet. Die Gäste staunen. Cindy, die morgens Salat putzt und Gemüse schneidet entpuppt sich als talentierte Country-Sängerin. Bald singen auch die Schüchternen mit.

Als 1860 der Goldrausch über das Chilcotin-Gebiet schwappte, entstanden entlang der Fundstätten Siedlungen. Schnell erkannten die Rancher die Vorteile dieser Landschaft. Das ausgedehnte Grasland bot endlos Weidemöglichkeit für riesige Rinderherden. Mit dem Fleisch wurden die Goldsucher-Camps versorgt.
Entlang des Highways 20 von Williams Lake bis vor zur Küste nach Bella Coola ist das Land spärlich besiedelt. Die Menschen sind aufeinander angewiesen. Der Pioniergeist ist zum Glück noch nicht erloschen. Vor 17 Jahren haben sich die Gisela und Bernward für Kanada und für diese Landschaft entschieden. Arbeit gibt es ständig in einer Lodge mit Feriengästen. Langeweile kennen die Beiden nicht. Und einsam fühlen sie sich überhaupt nicht. Sie schätzen den freundschaftlichen Umgang mit den benachbarten Ranchern und die wilden Naturschönheiten.
In dem mit vielen Antiquitäten und persönlichen Erinnerungsstücken eingerichteten  Blockhaus fühlen sich die Besucher wohl. Über den See klingt der einsame Ruf der Loon, des kanadischen Eistauchers. Ob sich die Wolken bis morgen verziehen? Schließlich ist Heli-Hiking in den nahe liegenden Bergen angesagt.

Wandern, wo die Adler hausen

Das Sausen in der Luft kommt langsam näher. Dann ist er als Punkt am Himmel erkennbar, der schnell größer wird. Der Hubschrauber schwebt noch kurz über dem Landeponton im Clearwater Lake, bevor er vorsichtig aufsetzt. Der Wind der Rotoren peitscht das Wasser aus dem See. Richard schält sich aus Sicherheitsgurt und Kopfhörer und deutet strahlend auf den blauen Himmel: „Isn ´t that a beautiful day?“ Ein wahrlich wunderbarer Tag erwartet die Wanderer, die sich mit dem gläsernen Vogel in die Bergwelt des Chilcotins transportieren lassen.
Danach kehrt wieder Ruhe ein. Wir schieben das Kanu ins Wasser. Ausgerüstet mit Schwimmwesten, Paddel, Schöpfkelle  und Lunchpaket machen wir uns auf den Weg zum gegenüberliegenden Ufer. Ein Otter schwimmt in großem Bogen an unserem Gefährt vorbei. Vereinzelt färben sich die Pappeln und Birken schon gelb. Am Himmel zieht schnatternd eine Schar Kanada-Gänse gen Süden. Der Morgen ist empfindlich kalt. Die Worte versagen angesichts der Stille, die sich über dem See ausbreitet.
Die etwas andere Route zu den bekanntesten Touristenattraktionen Banff und Jasper verläuft durch das Chilcotin-Cariboo-Country. Von Vancouver kommend nimmt man die Fähre, die zwischen Vancouver Island und Bella Coola verkehrt. Die Schiffspassage verläuft vorbei an vereinzelten Inseln bis tief in das Küstengebirge. Der teils abenteuerliche, teils gut ausgebaute Highway 20 führt nach Williams Lake. Von dort aus bieten sich verschiedene Möglichkeiten in die Nationalparks zu gelangen.

Modernes Cowboy-Leben

Tessa nimmt ihre Aufgabe ernst. Sie verbellt die Kuh, bis diese die gewünschte Richtung einschlägt. „Sie sind die geborenen Hütehunde“, lobt Terra ihre Boarder-Collies, die ihr beim Round-up der Kühe und deren Kälber eine große Hilfe sind. Für Stephan ist das ATV auf seiner „Working-Ranch“, dem Cariboo Country Inn, unentbehrlich, wenn er auf Kontrollfahrt unterwegs ist. Mika, der Hund, genießt den Transport in der Kiste. Der gebürtige Schweizer ist schon vor vielen Jahren ausgewandert und hat sich am Horsefly-Lake in der Cariboo seinen Traum vom „Leben in Kanada“ verwirklicht. Als völliger Neuling auf dem Gebiet der Rinderzucht betreut er inzwischen eine kleine Herde roter und schwarzer Angus, sowie Hereford-Mischungen, wunderschöne Tiere. Doch Ästhetik ist nicht gefragt auf dem Markt: Gleiche Farbe, gleiches Gewicht, gleiche Züchtung – nur so lässt sich Rindfleisch rationell vermarkten. Keine leichte Aufgabe, zumal Stephan großen Wert auf naturgemäße Bewirtschaftung legt. „Reich werde ich damit nicht, dafür habe ich viel Freude an meinen täglichen Pflichten“, räumt er ein. Nebenbei baut er noch ein großes Blockhaus, indem er und seine Frau Monika dann endlich mehr Gäste beherbergen können.

Die Pferde haben uns schon von weitem erkannt. Sie wissen, dass wir ein paar Leckerbissen für sie parat haben. Vorsichtig holen sie sich die Karotten von der flachen Hand und verkauen sie genüsslich. In der schrägen Spätnachmittagssonne leuchtet das stoppelige Grasland. Es riecht wohltuend nach Heu und Pferd. Wir genießen die Minuten voller Ruhe und Frieden.

Informationen:

Anreise: Täglich fliegt die Deutsche Lufthansa nonstopp von Frankfurt nach Vancouver. Mit Air Canada Anschlussflug nach Williams Lake, www.lufthansa.de

Unterkunft: Ein besonderes Erlebnis bietet der Aufenthalt in einer Wildnis Lodge mit  gemütlichen Zimmern im Loghaus Lodge Gebäude und Blockhütten am See,   www.clearwaterlakelodge.com.

Reiseliteratur: Soeben erschienen ist der prächtig bebilderte Band aus der Reihe Faszination Erde – Kanada Der Westen, im Kunth Verlag. ISBN: 978-3-89944-604-3; 160 Seiten, Format:23,1 x 29,5;  Gebunden, mit Schutzumschlag, Preis: €  19,90; www.kunth-verlag.de

Allgemeine Informationen über Kanada sind erhältlich bei Lange Touristik-Dienst, Postfach 200247, 63469 Maintal, Tel.: 01805 – 526232 oder unter www.travelcanada.ca

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