Es ist darum ein einsichtiges Konzept, wenn das Badische Landesmuseum in Karlsruhe seine Ausstellung über „Jungsteinzeit im Umbruch“ im Karlsruher Schloß mit einem „Erdwerk“ beginnt und die gesamte Ausstellung hindurch versucht, die meist in Gräbern gefundenen Gegenstände zurückzuverwandeln in Gebrauchs- oder Kultdinge von Familien und Familienverbänden und sie in diesem Kontext zu zeigen. Selbst so bleibt die Materie unseren bilderüberfluteten Augen noch merkwürdig spröde, so daß man sich ein wenig selbst konditionieren muß, jetzt in Karlsruhe auf Entdeckerjagd zu gehen, nämlich diejenigen Teile aus den rund 400 Exponaten aus vielen Museen und Ländern zu suchen und zu finden, was einem bisher unbekannt war, nicht als Einzelstück – das nämlich sowieso -, aber als genereller Gegenstand in seiner spezifischen Funktion.
Daß sich die Karlsruher auch dazu berufen fühlen konnten, hängt nun wiederum zusammen damit, daß in Südwestdeutschland bedeutende Funde zu ur- und frühzeitlichen Perioden gemacht wurden. So wurde der vor 125 Jahren aufgefundene Michaelsberg bei Bruchsal als Ort einer jungsteinzeitlichen Siedlung gleich namensgebend für die „Michelsberger Kultur“, die man von 4 300 bis 3 500 v.Chr. ansetzt, was dann vom Heute her über 6 000 Jahre Besiedlung dieses Gebietes bedeutet. Was allerdings ’Besiedlung` heißen kann, das zeigen die „Erdwerke“, die für diese Zeit charakteristisch sind. Durch ein sogenanntes Erdwerk bestritt man die Ausstellung und sieht an den Wänden die Fotografien der originalen Erdwerke, die Anlagen von bis zu 100 Hektar Innenfläche sein können, was mehr als 100 Fußballfeldern entspricht, die von einem Wall und Gräben eingefaßt werden. Das wurde absichtsvoll vom Menschen gestaltet, aber zu wessen Behuf, sprich: ob es normale Besiedlungen waren oder Einzäunungen fürs Vieh, ob wie Ritterburgen Fluchtzentren oder gar Kultplätze und gemeinsame Grabstätten, all das weiß man heute noch nicht.
Das ’noch` ist der Situation geschuldet, daß die Suche nach dieser weitzurückliegenden Vergangenheit noch nicht sehr lange intensiv ist und man immer noch auf weitere Funde hoffen darf, die Bisheriges interpretieren helfen. Denn bis ins Pariser Becken und die südlichen Niederlande hinein, den Oberrhein entlang bis nach Mitteldeutschland erstreckt sich die Michelsberger Kultur, weshalb die Bezeichnung ’Mitteleuropa` zutreffend ist. Zutreffend ist auch – wie immer, wenn sich auf der Erde etwas änderte – die Aussage, daß sich diese Kultur auf der Grundlage von technischen Innovationen und neu aufgefundenen Metallen, bzw. Metallverbindungen entwickelt hat. Für Michelberg waren das die Erfindung von Rad, Wagen und Pflug, was den Ackerbau revolutionierte und zu einem Wandel der Gesellschaft und ihres geistigen/religiösen „Überbaus“ führte, der wiederum veränderte Kultpraktiken und zu einem neuen Bestattungswesen führten.
Das alles kann man im Karlsruher Schloß im Detail nachverfolgen, wobei einem die Dreitteilung der Ausstellung hilft, das Gesehene miteinander zu verschränken. So zeigen die Objekte der „Michelsberger Kultur“ Keramik, wo man sich wie immer wundert, wie gleich geblieben sich keramische Formen sind und angesichts der Scherben, die man im eigenen Leben schon vorgefunden hat, ergreift einen Bewunderung, was noch aufgefunden wurde und wie man die Fundstücke ’in Form` bringen konnte. Solche Scherben fand man in den Erdwerken, zusammen mit Gehörnen vom Urrind und auch menschlichen Überresten, die allesamt sowohl Alltag wie auch Gräberfeld bedeuten könnten.
Der zweite Ausstellungsteil gilt den Nachbarkulturen, die im „zweiten Landnahmeprozeß“ an Feuchtbodenstandorten mit Pfahlbauten Siedlungen errichteten. Gleichzeitig breitete sich in der Norddeutschen Tiefebene ebenfalls die neolithische Lebensweise aus. Auch hier ist die Keramik kulturtypisch, aber noch mehr schlägt einen in Bann der Teilnachbau eines steinzeitlichen Hauses vom Bodensee, bei dem die Innenwand weibliche Brüste trägt, sehr naturalistisch geformt und exakt zwei.
Den größten Raum nimmt der dritte Teil der Ausstellung ein, der nun die veränderte Welt für den Menschen benennt und an Objekten aufzeigt. Das sind dann Themen wie ’Ackerbau`, wo aufgrund der ausgelaugten Böden ab dem ausgehenden 5. Jahrtausend neue Anbaumethoden wie der Brandrodungswanderfeldbau einsetzen. Man brauchte mehr Land, mußte den Anbau an den Boden und die Klimaverhältnisse anpassen und neue Produkte wie Nacktweizen einführen. Für die Nahrung wurde neben der Fleischgewinnung das Tier auch für Milch und vor allem als Arbeitskraft genutzt, was in Verbindung mit der Erfindung des Rades das Zugtier möglich machte. Auch der Siedlungsanbau verändert sich. Das kann man in der Ausstellung sehr gut verfolgen wie aus den langgestreckten großen Einheiten kleinere Häufungen von Einzelhäusern zustandekommen, die aufgereiht schon die Form des Straßendorfes zeigen.
Besonders wichtig, daß zu den benutzten Rohmaterialien Holz, Ton, Knochen und Gehörn nun auch Kupfer genutzt wurde. Gold und Silber war Schmuck vorbehalten, hier in Karlsruhe sieht man die ältesten mitteleuropäischen Funde. Wem gehörten diese güldenen Schmuckscheiben? Die konnte nicht jeder haben und so sehen wir so früh am Anfang der Jungsteinzeit auch das Aufkommen der gesellschaftlichen Differenzierung, hier der Eliten, denen Gold, Kupfer und Jade vorbehalten waren. Und wie ging es im Tode weiter? Im Westen gab es bis dahin Kollektivgrabsitten und im Karpatenbecken geschlechtsdifferenzierte Bestattungssitten.
Es gibt auch vereinzelt monumentale Einzelgräber und wenn wir nun am Ende des Lebens eines Steinzeitmenschen angekommen sind, muß man sich erneut vergegenwärtigen, daß man vom eigentlichen Leben sehr wenig weiß. Das aber setzt unsere Phantasie in Gang, die einmal angestoßen, das Wunder der menschlichen Besiedlung dieser Erde für einen selber weiterspinnen läßt. Solche Ausstellungen, die so fern scheinen, haben eben doch mit uns heute sehr viel mehr zu tun, als wie vorher wissen.
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Ausstellung: bis 15. Mai 2011
Katalog: Jungsteinzeit im Umbruch. Die ’Michelberger Kultur` und Mitteleuropa vor 6 000 Jahren, Badisches Landesmuseum Karlsruhe 2010
„Schön bunt“, denkt man, blättert man erst einmal im Katalog. „Erstaunlich bunt“, ist dann der zweite Gedanke. Und der dritte beim Aufschlagen auf die erste Seite mit der ’Wandapplikationen einer naturalistisch geformten, weiblichen Brust`: „Wie schön und wie seltsam“. Ja, das mit den weiblichen Brüsten an den Wänden des jungsteinzeitlichen Hauses bleibt im Gedächtnis. Der Katalog allerdings sorgt dafür, daß Sie nicht alles behalten müssen, sondern nachschlagen dürfen, wann immer Ihnen danach ist. Denn so viel Literatur gibt es nicht zu dieser Materie, wie wir nach einem Blick in eigene, doch überquellende Bücherregale feststellen mußten. Neben dem Katalogteil, der vorbildlich die Objekte im Bild zeigt und im Text in ihrer Funktion und Herkunft beschreibt, sind es natürlich die Essays, die Ihr Wissen um die Jungsteinzeit fundiert und wo sich erst beim Lesen Fragen ergeben, von denen man vorher gar nicht wußte, daß man sie hatte und die teilweise auch beantwortet werden.
Homepage: www.landesmuseum.de