80 Musiker spielten im Rohbau des Foyers, die Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) und der Projektchef Axel Walther hielten Reden, und Sanderling legte (s)einen Taktstock in eine Hülse, die in die Grundmauer des Konzertsaals eingelassen wurde – gewissermaßen eine Grundsteinlegung. »Jetzt, wo die Bühnenumrisse zu erkennen sind, beruhigt das jeden Musiker und macht ihn glücklich«, sagte er. Die Verschiebung der Fertigstellung des Kulturpalastes um eineinhalb Jahre – aus August 2015 war März 2017 geworden – kostet natürlich Nerven. Jedoch die Aufbruchstimmung im Orchester hält sich, trotz Umzugs in ein ehemaliges Kino, trotz Verteilung der Konzerte auf sieben Spielstätten – letztlich alles Provisorien. Denn am Ende der fünfjährigen Wartezeit wird in der alten Hülle des Palastes der neue Konzertsaal mit exzellenter Akustik stehen.
An den Plänen für die erste Spielzeit im neuen Saal wird gearbeitet – eine der vornehmsten Obliegenheiten der designierten Intendantin Frauke Roth. Dabei treibt das Orchester ein hoher Anspruch, an die eigene Leistung und an die Liste mit den Einladungen bedeutender Gastorchester. »Der entscheidende Mangel des Kulturpalastes war«, sagt Sanderling, »dass die Spitzenorchester um ihn wegen seiner schlechten Akustik einen Bogen machten. Auf der Landkarte war Dresden für sie ein weißer Fleck. Dresden muss auf den Touringplänen der Spitzenorchester wieder seinen Platz haben.«
Doch wie steht es mit dem Spitzenorchester, einen Steinwurf vom Kulturpalast entfernt, mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden? Dort gibt es noch viel Wenn und Aber. Die »Kapelle« hatte 1992 den Kulturpalast auf Nimmerwiedersehen verlassen, weil viele Versprechen auf die Erneuerung des Saales nicht gehalten wurden. Sie hätte den Neubau eines Konzerthauses dem Umbau des Palastes vorgezogen, und die Umbaupläne weckten große Vorbehalte. »Ich glaube, wenn der Tag gekommen ist, werden alle, die einen guten Konzertsaal brauchen, ihn auch nutzen. Nach wie vor ist es möglich, dass sich die Einsicht in die Notwendigkeit durchsetzt. Von uns sind alle Vorzeichen gesetzt worden. Wir werden uns auf gleicher Augenhöhe verständigen können«, meint Sanderling.
Nicht anders sieht es der Kulturbürgermeister (ein Dresdner Titel) Ralf Lunau (parteilos): »Von uns als Stadt ist die Staatskapelle herzlich eingeladen, im Kulturpalast zu spielen. Dabei ist verständlich, dass sie sich nicht auf einen Saal festlegt, den sie nicht kennt. Doch der neue Konzertsaal wird eine Ausstrahlung haben, die beide Orchester beflügelt.«
Klar ist: entscheiden wird die Qualität des Baus. Seine Projektanten sind Kapazitäten: die Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Stephan Schütz (GMP) und für die Akustik die Peutz Consult Gesellschaft in Mook/Niederlande. Dass es nicht »auf Anhieb« klappen muss, zeigte sich bei der Berliner Philharmonie, entworfen von Hans Scharoun, wo auch erst nach vielen Experimenten der optimale Klang erreicht wurde. Von Gerkans Entbindung als Projektant und Planer des Flughafens BER dürfte seinen Ehrgeiz noch steigern, einen erstklassigen Konzertsaal zu schaffen. Im Vergleich zu den riesigen Konzert- und Opernhäusern, die er in China gebaut hat, kommt es in Dresden im Vergleich auf klein, aber fein an. Die Realisierung liegt in den Händen erfahrener Fachleute, des Projektleiters Christian Hellmund und des Bauleiters Bernd Adolph. Zeitplan und Kosten: »Alles im grünen Bereich«, sagt Adolph. Das kommt auf deutschen Kulturbaustellen selten vor, aber Gegenteiliges ist hier nicht auszumachen. Nach der Entkernung des alten Gebäudes werden nun die Aufträge für den Innenausbau des Konzertsaals, die Bühnentechnik und die technische Gebäudeausrüstung in Höhe von 30 Millionen Euro ausgeschrieben. Risiken sind unvermeidlich, meint Axel Walther, doch sind sie beim Ausbau einer bestehenden Hülle kleiner als bei einem Neubau wie in Hamburg. Der Umbau des Palastes bringt einen zusätzlichen Nutzen durch einen Saal für das Kabarett-Theater «Herkuleskeule« und viel Platz für die städtische Zentralbibliothek.
Die Angaben über die Baukosten jedoch sind widersprüchlich. Vom Dresdner Stadtrat beschlossen sind 81,5 Millionen Euro. Daran will auch Walther festhalten, sagt er in seiner Rede. In der Pressemitteilung der Stadt sind es mehr als 90 Millionen. Das wurde nach Nachfrage dementiert, aber zählt man die Innenausstattung von 6 Millionen und die Orgel mit 1,3 Millionen Euro hinzu, kommen 88,8 Millionen zusammen. Auf die Frage, ob die 81,5 Millionen »ausfinanziert« sind, reagiert die Oberbürgermeisterin entrüstet. Es sei alles im Haushalt enthalten!
Wir hören die Botschaft. Es gibt sogar eine Planübererfüllung. Wegen der ursprünglich nicht gesicherten Kosten der Konzertorgel hatten GPM den Platz für die Orgel vorgesehen, aber den Einbau auf später verschoben. Das aber ließ den Förderverein der Dresdner Philharmonie nicht ruhen. Er will eine Million Spenden sammeln. 850 000 Euro hat er bereits beisammen. 300 000 Euro gibt die Stadt. »Die Lücke wird geschlossen«, ist der Geschäftsführer Lutz Kittelmann überzeugt. Der Auftrag an die Firma Eule in Bautzen ist erteilt. Von Oktober 2016 bis März 2017 wird die Orgel eingebaut werden. Der Konzertsaal kann mit seiner Orgel im März 2017 eröffnet werden.
Bis dahin kann sich der Baustellenchef Axel Walther noch weitere Baustellenkonzerte vorstellen. Michael Sanderling und seine Musiker sind dafür sehr offen, und sie werden gern darauf eingehen. Damit die Dresdner ahnen können, was innen entsteht, ist das Gebäude an drei Seiten mit einer Plane eingehüllt, die das neue Innere zeigt, insbesondere den Konzertsaal mit seiner Orgel. Auch das historische Mosaik »Der Weg der roten Fahne« ist abgebildet. »Es wird restauriert«, bestätigt Lunau. Die Pressestelle der Stadt ist auf Sanderlings Vorschlag eingegangen, wie bei der Waldschlößchenbrücke die Bürger regelmäßig über den Bauverlauf zu informieren. Sie gibt lebhafte Schilderungen des Arbeitsstands sowohl beim Kulturpalast als auch beim Kulturkraftwerk Mitte heraus, das ebenfalls im Ausbau ist – ein Mammutprogramm für eine Landeshaupsstadt.