Die Menschen, die Nico von Glasow in seinem Film porträtiert, sind wie alle anderen. Sie plaudern, haben teils Scheu vor dem Ausziehen, sind mal selbstbewusst, mal unsicher. Ganz normal. Und eben doch nicht. Denn bei den Partizipienten, genau wie bei dem Regisseur und Drehbuchautor von Glasow selbst handelt es sich um Contergan-Geschädigte. Die durch das Medikament verursachte Behinderungen manifestieren sich bei ihnen in unterschiedlich starkem Maße. Bei einigen ausschließlich durch verkürzte oder fehlende Arme und Finger, bei anderen tritt sie zusätzlich in Form missgebildeter Beine hervor. Normalität im Sinne der allgemeinen Auffassung gibt es für sie nicht. Aber, dies vermitteln die vorgestellten Menschen selbst einem voreingenommenen Zuschauer schnell, normal ist ihr Alltag eben doch. Man sieht sie mit ihren Kindern, ihren Partnern, Familienmitglieder. Sie scherzen und lästern, erzählen von ganz gewöhnlichen Leben. Von Liebesfrust und Eifersucht, Leidenschaft und Glück, Karriere und beruflichen Schwierigkeiten. Man sieht sie beim Sport, der Arbeit, bei lästigen Pflichten des täglichen Lebens wie Hausarbeit genauso wie bei ihren Hobbies. Mit ihrer Behinderung haben sie umzugehen gelernt, von klein auf.
Und mit noch etwas mussten sie umgehen lernen. Mit den Blicken der anderen. Vor ihnen verstecken können sie sich nicht. Ein Ausweichen, ein Sich-Entziehen ist im Alltag unmöglich. Körperbehinderung und abweichendes Aussehen wirken hier als mutuelle Katalysatoren aufeinander ein. Die Blicke richten sich auf sie. Mal mitleidig mal versteckt, die einen tuscheln, andere zeigen offen ihr Befremden. Der divergente Körper ist nach wie vor ein soziales Tabu. Auf keinem zweiten Gebiet, abgesehen von dem der psychischen Nonkonformität, diskriminiert die Gesellschaft dermaßen stark. Wer anders aussieht, erlebt die Ächtung durch seine Mitmenschen täglich. Das Ausmaß, in welchem diese sich abspielt, ist ebenso erschreckend wie erzürnend. "Ich habe mich mein Leben lang unwohl gefühlt mit meiner Behinderung.", erzählt Regisseur und Autor Nico von Glasow. "Die Gesellschaft muss sich an unseren Anblick gewöhnen." Leider fehlt es seiner Dokumentation trotz der interessanten und ungewöhnlichen Thematik zu oft an Dynamik und Innovation. Mehr Witz und einer intensiveren Thematisierung der inneren und äußeren Konflikte der Modelle wünscht man sich.
Manche fühlen sich durch die Akte, welche im Laufe der Dokumentation entstehen, bewegt, andere provoziert. Die Intoleranz der Passanten angesichts der lebensgroßen Fotografien, ausgestellt vor dem Kölner Dom, hält die Kamera ebenso fest wie die Scheinliberalität. Das Lob der Verweilenden ebenso wie deren Irritation. Das Bemerkenswerte ist aber, dass "NoBody is perfect" eben nicht nur die erwartungsgemäßen Zweifel sowie die Distanz der anderen thematisiert. Er handelt auch von den Ängsten und Unsicherheiten der Contergan-Geschädigten im Bezug auf den eigenen Körper. Nicht immer ist es dessen Andersartigkeit, die hemmt. Zuviel Bauch könnte sie haben, fürchtet etwa eines der Modelle. Nicht muskulös genug oder vielleicht zu schmale Schultern? Die optischen Mankos, welche die Frauen und Männern an sich bemängeln, werden von unzähligen geteilt. Derart gelingt es dem leider eher betulich daherkommenden Film in seinen stärkeren Momenten die Brücke zur Normalität gerade da zu schlagen, wo die Kluft zwischen Norm und Divergenz, zwischen gesund und behindert, am größten scheint.
Die Gefühle, Bedenken und Reaktionen der sich entkleidenden Persönlichkeiten und deren Mitmenschen sind nicht das einzige Thema in "NoBody is perfect". Der Contergan-Skandal ist ein weiteres. 1957 bis 1961 vertrieb die Firma Chemie Grünenthal das expliziert für Schwangere empfohlene Medikament. Nach einer Häufung von Fehlbildungen bei Neugeboren wurde der Zusammenhang dieser mit der Contergan-Einnahme nachgewiesen. Dennoch wurde der Vertrieb nicht eingestellt. Als das Mittel 1961 endlich vom Markt genommen wurde, gab es bereits über 10.000 Geschädigte. 1970 wurde das Strafverfahren gegen Grünenthal nach einem Vergleich wegen geringfügiger Schuld und mangelndem öffentlichen Interesse eingestellt. Auf eine Geste oder ein Wort der Entschuldigung warten die Geschädigten bis heute vergebens. Auch Nico von Glasow erreicht nichts dergleichen. Das Gespräch wird verweigert, das Kamerateam hinaus gebeten.
Vor die ihm im figurativen wie praktischen Sinne vor der Nase zugeschlagenen Tür aber stellt der Regisseur eines der Fotos. Es zeigt ihn mit dem kichernd auf den nackten Vater zeigenden Sohn. Nicht die Behinderung ist für das Kind Grund zum Grinsen, sondern, dass Papa ganz ohne Sachen dasteht. Verschämt schleicht ein Mitarbeiter hinaus und zerrt das Bild hinein. Der Regisseur aber, genau wie seine Modelle, schämen sich nicht. Am Ende sieht man ihm beim Baden gehen im Meer zu. Zittern lässt ihn nur der kühle Wind. Auch das ein Sieg. Über die eigenen Ängste, wie die der anderen. Ein anderer Körper stand nie zur Verfügung. Wie anderen Menschen, ob mit oder ohne Handicap.
Start: 11 September 2008, jetzt am 10. August 2010 um 22.45 Uhr in der ARD
Regie: Nico von Glasow
Mit: Stefan Fricke, Sofia Plich, Bianca Vogel, Sigrid Kwella, Kim Morton, Fred Dove
Kamera: Ania Dabrowska, Andreas Köhler
Buch: Nico von Glasow Ania Dabrowska, NoBody’s Perfect, Elisabeth Sandmann Verlag, 2008-09-13
Kalender: DIN A3 mit 12 Hochglanzfotos; Bestellung ab sofort unter info@palladiofilm.de