Nun ist es also soweit, ein September-Sonntag mit Bilderbuchwetter, und ich besuche das erste Mal in meinem Leben ein American-Football-Spiel. Ort der Veranstaltung ist der Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg, einer Art Ausweichstandort für Berliner Sportvereine ohne Lobby und eigene Heimat.
Im Vergleich zu den sonst hier stattfindenden "Soccer"-Fußballspielen, ist der Andrang an den beiden Kassen überschaubar. Die Preise sind im mittleren Bereich angesiedelt (8-18 €), lassen aber die Frage offen, ob zur Erschließung neuer Anhängerschaft nicht über Schnupperangebote nachgedacht werden müsste, denn in den Hauptstadtmedien findet American Football so gut wie gar nicht mehr statt. In besseren Zeiten, den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, kamen manchmal über 10000 Zuschauer zu den Spielen. Das ist, spätestens nach der Einstellung der NFL Europe im Jahr 2007, Schnee von gestern. Wahrscheinlich ist es nicht mehr genügend im Bewusstsein der Berliner, dass es in ihrer Stadt Hochleistungssport gibt, der durch journalistische Missachtung quasi im Abseits stattfinden muss.
Nachdem der Sitzplatz auf der gut gefüllten Haupttribüne (offizielle Zuschauerzahl 952) von meiner Begleitung und mir eingenommen worden ist, hat sich die Legende vom reinen Männersport bereits erledigt: Mindestens die Hälfte der anwesenden Supporter sind Frauen unterschiedlichsten Alters, die ohne sichtbare Beeinflussung durch Alkohol für eine lautstarke und beschwingte Stimmung sorgen. Ein besonders enthusiastische Dame, die bereits Fan der untergegangen "Berlin Thunder" gewesen war, reicht mir freundlich lächelnd ein Freundschaftsband herüber. "Fans are friends", steht darauf, ich bin augenblicklich im Kreis der Eingeweihten angenommen.
Sie erzählt mir, dass nach der Auflösung des "Thunder"-Teams große Teile der Anhängerschaft zu den "Adlern" gewechselt seien, weil "American Football" für Sie und den Gatten zum Leben dazu gehöre. Wow! Das muss wahre Liebe zu diesem Sport sein, denke ich. Unvorstellbar so etwas im "Soccer", das man eben mal das Team wechselt. Ich sage nur Schalke und Dortmund. Warum die Berliner Mannschaft der "Adler" jedoch die einzige der Liga ist, die zum Glück einen deutschsprachigen Anhang im Namen trägt (z.B. hört sich "Dresden Monarchs" und "Plattling Black Hawks" doch arg gekünstelt und bemüht an), weiß auch sie nicht zu sagen. Die Dame, ich nenne sie einfach mal Irmgard, hupt mir gleich danach in Motörhead-Frequenz mit einer an sich unscheinbar aussehenden Tröte fröhlich und begeistert in das linke Ohr, unabsichtlich natürlich. Hoff ich mal. Grinsend empfiehlt Sie die Mitnahme von Ohropax beim nächsten Spiel.
Knapp einem Hörsturz entronnen, sehe ich nun auf dem Rasen ein sonderbares Bild: Etwas verloren stehen die Spieler des Gegners, die Weinheim Longhorns, allein vor den leeren Rängen der Gegengeraden auf dem Rasen und versuchen, durch eine lautstarke Choreo sich Respekt zu verschaffen. Das klappt nicht ganz, denn schon ertönt eine Fanfare wie seinerzeit die von General Custer am Little Big Horn, die den Einzug der heimischen Mannschaft akustisch begleitet.
Die erfreulich zahlreichen und hübsch anzusehenden Cheerleader geben das erste Mal tänzerisch alles, um ihr Team mit Moves und Shouts zu unterstützen und auch die Stimmung auf den Rängen ist erwartungsvoll lautstark beim Einzug der Gladiatoren. Die Show stimmt also schon mal, jetzt kommt der schwierige Teil: das Spiel selbst.
Ich muss gestehen, dass ich dem "American Football" bis dato eher skeptisch gegenüberstand, und das aus hauptsächlich zwei Gründen:
Erstens habe ich in einer Bierlaune mal von einem Kumpel überreden lassen, ein mitten in der Nacht ausgestrahltes Endspiel der amerikanischen NFL um die Superbowl anzusehen. Wahrscheinlich muss man live dabei sein oder zumindest Amerikaner, aber auf einem kleinen Fernseher war das irgendwie nix. Was damals unheimlich genervt hat, war die Unzahl von nicht eben kurzen Spielunterbrechungen, die nur deshalb so ausgedehnt werden, damit die amerikanischen Sender ordentlich Werbeminuten verkaufen können.
Zweitens bin ich gebürtig aus Hannover, das neben Heidelberg eine Hochburg des deutschen Rugbys ist. Schon als Kind war ich schwer beeindruckt von der Schnelligkeit und Robustheit des Spiels. Später, als mein Gehirn Spieltaktik und die dazugehörige Philosophie besser einschätzen konnte, war es dann vor allem das Verbot von Vorwärtspässen das dem Rugby seinen eigenen Reiz verleiht und mich faszinierte.
Aber, was zählt ist auf’m Platz, Vorwärtspässe hin oder her. Und Sport, den man als Zuschauer live geniessen kann , übt eigentlich immer einen ganz eigenen Reiz aus, wenn man Curling und Schach jetzt mal nicht mitrechnet. Die Stimmung, die die vergleichsweise wenigen Zuschauer der "Berlin Adler" entfachen, ist schon beindruckend; das Drumherum etwas ungewohnt, aber spaßig anzusehen. Langeweile kommt jedenfalls nicht auf, schon allein, weil ich wie ein Schiesshund aufpassen muss, dass mir Irmgard nicht doch noch spontan das Trommelfell wegbläst.
Erfreulicherweise hat beim American Football der Stadionsprecher nicht, wie beim Soccer, nur die Funktion den Spielstand und den Sponsor des Halbzeitergebnisses anzusagen, sondern erläutert in kurzen Sätzen das soeben erlebte, wie das gleich zu erwartende Spielgeschehen. Für einen Neuling wie mich ist das natürlich praktisch, woher soll man auch aus dem Stand wissen, wann ein Pass "icompleeete" ist.
Nach kurzer Lektüre der, in der erstaunlich professionellen Stadionzeitung lobenswerterweise abgedruckten Basisregeln, dem wie gesagt eloquenten Anheizer am Stadionmikro und, nicht zuletzt, der freundlichen und geduldig antwortenden Irmgard an meiner Seite, fällt es mir also an diesem Tag nicht schwer, in den scheinbar seltsamen und fremden Kosmos des U.S.-Footballs einzutauchen.
Ziel des amerikanischen Fußballs ist zunächst einmal Raumeroberung, nicht im Osten, sondern in Richtung des gegnerischen Malfeldes. Vier Versuche hat das ballführende Team zunächst, um 10 Yards (ca.9m) voranzukommen. Gelingt dies, gibt es vier neue Versuche, wenn nicht, kriegt der Gegner den eiförmigen Ball.
Gelingt es einer Mannschaft, den Ball in die gegnerische Mal-Zone zu tragen oder zu passen, erhält sie für diesen "Touchdown" sechs Punkte und die Möglichkeit zusätzliche Punkte zu erzielen. Entweder durch einen "Kick" durch die Malstangen (1 Punkt) oder durch einen erneuten "kleinen" Touchdown für 2 Punkte. Weitere Möglichkeiten den Spielstand zu erhöhen sind das "Field-Goal" (Schuss aus dem Spiel heraus zwischen die Stangen= 3 Punkte) oder die "Safety", bei der die verteidigende Mannschaft den ballführenden Spieler in seiner eigenen Malzone zu Boden bringen muss (2 Punkte).
Eigentlich gar nicht so schwer, könnte man meinen, aber das sind wirklich nur die ganz groben Regeln. Um die unzähligen möglichen Verstöße und Fouls zu erkennen, stehen, je nach Liga, zwischen drei und sieben Referees auf dem Feld. Quasi ein Team für sich. Das ist aber auch notwendig, denn das schnelle Spiel und das komplexe Regelwerk müssen oft in Bruchteilen von Sekunden erkannt und angewendet werden, und das bei teilweise enormer Rudelbildung.
Mit laufender Spielzeit (4 X 12 Minuten effektiv) gelingt es dem geneigten Betrachter zunehmend, einige Besonderheiten des Spiels zu erkennen, auch wenn er, wie ich, ein eher durschnittlich schneller Begreifer ist. Auch das passen nach vorne stört mich irgendwann nicht mehr, es ist halt ein eigener Sport mit eigenen Regeln. Den Berlinern gelingen im Spiel gegen Weinheim einige sehenswerte Aktionen. Besonders als ein Spieler einen Pass abfängt und sich dann seinerseits allein durch die gegnerische Defense tankt hat etwas Spektakuläres an sich.
Wenn auf dem Spielfeld gerade mal nichts los ist, z.B. bei einer Auszeit, übernehmen die Cheerleader das Ruder. Die "Berlin Adler" haben vier Gruppen von Mädchen und jungen Frauen, die sie akrobatisch und lautstark unterstützen. Flick-Flack, Radschlag und menschliche Figurtürme auf hohem artistischen Niveau haben die "Aces", "Junacs", "Animaniacs" und "Diamantics" alle drauf, als wenn das gar nichts wäre. Sehr schön anzusehen und mit großem Applaus bedacht.
Besonders beeindruckt haben mich dabei aber die schon etwas erwachseneren "Aces": Jedesmal wenn "ihre" Adler punkten, müssen die armen Hasen den erreichten Spielstand in Liegestützen wiederholen. Das macht bei einem Endstand von an diesem Tag 30:13 für Berlin mal eben locker 70-80 Liegestütze an einem Nachmittag, die sie zusätzlich zum Restprogramm zeigen müssen/dürfen. Da weht ein Hauch von Full Metal Jacket durch das Oval, wenn auch mit gottlob besserem Ende.
Nach dem Viertelfinalsieg der Adler gab es eine beim AF anscheinend übliche schöne Geste der Spieler: Das gesamte Team klatschte nicht nur seine unermüdlichen Cheerleader ab, sondern ging auf Tuchfühlung mit dem Publikum. Eine schöne Tradition, die besonders die Damenwelt zu ausgiebigen Kuss-und Kuscheltacklings nutzte.
Insgesamt war es ein interessanter, bunter Nachmittag: familientauglich amüsant und kurzweilig. Zum normalen Fußball kann man ja als Familienvater heutzutage fast gar nicht mehr gehen, und für Kinder gibt es beim American Football allemal mehr Action als in der Fußball-Bundesliga. Wenn es den Adlern jetzt noch gelingt, den Fans Original-Burger und Hot-Dogs (warum nicht den Sponsor mit dem Clown nehmen?) zu servieren statt Kotlett und Bratwurst, geh ich bestimmt mal wieder hin.
Vielleicht schon am Sonntag, dem 13. September, wenn die Berliner Adler im Halbfinale der GFL auf die Marburg Mercenaries (noch so’n gestelzter Name) treffen. Ich lerne nämlich unter anderem gerade den Unterschied zwischen "Encroachment" und "Illegal Shift", und möchte doch wissen, ob ich das auch wirklich verstanden habe.