Passend zu dieser erstaunlichen Nachricht liegt nun der mit Spannung erwartete Roman des Neukölln-Künders Uli Hannemann auf dem Tisch. Darin beschreibt er auf gut 300 Seiten das Phänomen des Hipsters, aus Sicht des vierundvierzigjährigen (gescheiterten) Slam-Poeten Thomas, alias thomas68. Dieser Thomas verliert zunächst aus Dusseligkeit seine Freundin und sein Heim und schlingert durch die Gosse direkt in die WG einiger sehr viel jüngerer Menschen, die es sich in „Kreuzkölln“ bequem gemacht haben. Dabei das zierliche Mädchen Franziska, Chelsea Boots, langer Schlauchschal, die Haare lodernd rot wie ein Buschbrand. Voll süß irgendwie.
Thomas wird als Mehrgenerationen-Projekt in die WG aufgenommen und merkt schon bei der Wohnungsführung durch die Angebetete, dass hier einiges anders läuft. Es gibt keinen Fernseher.
„Wo guckt ihr denn Fußball?“ frage ich mutlos. „Schräg gegenüber“ antwortet sie zu meiner Überraschung. „In Mannes Sport’s Bar. Voll der Retrokult. That’s real Neukölln, so wie’s wohl früher war. Komplett abgefahrene Hartz-IV-Typen in original-90er Klamotten… So kernige post working class people eben. Schade, dass damit im Sommer Schluss ist. Dann kommt ein bayrisch-balinesischer Vegi-Whopperladen rein. Aber auf den freue ich mich natürlich auch.“
Heiterkeitsausbrüche, Mitleid, Häme, Fremdschämen. So könnte der Erlebnispegel des Lesers dieses atemberaubend komischen Buches umrissen werden. Wir erleben ein Jahr der skurrilen Irrfahrt eines Gestrauchelten durch die Gewässer heutigen Jungseins mit, kann das gut gehen? Das wird natürlich nicht verraten. Uli Hannemann schreibt seit jeher sarkastische, selbstironisch bis selbstzerfleischende Texte über sich und seine nächste Lebensumwelt. Die von Neukölln bis nach Mitte, zum Fußballplatz Bero, dem Schokoladen und dem Kaffee Burger reicht. In letzteren Lokalitäten liest er regelmäßig frische Texte vor, die bisher gesammelt unter Titeln wie „Neulich in Neukölln“, „Neulich im Taxi“ oder „Neukölln, mon amour“ veröffentlicht wurden.
Gespannt warteten unzählige Fans darauf, ob der Lesebühnen-Profi auch die lange Form beherrscht. Macht er, sehr machtvoll sogar. Die Neuköllner Odyssee ist rund (was für ein Ende!) und bei allem Humor äußerst dramatisch. Eine klassische Liebesgeschichte gespickt mit Versagens-, Verlust- und anderen Ängsten sowie allerlei Aufregungen. Nicht nur die Dialoge und Kurz-Fassungen beziehungsinduzierter Gespräche sind ausgefeilte Miniaturen, Hannemann trifft mit beiläufigsten Beobachtungsschnipseln ins Schwarze. Mit seltsamen Aphorismen wie „Statt nachzudenken, schreibe ich lieber Gedichte“ (Iwan der Schreckliche) oder „Die Börse des Habenichtses ist voller leerer Träume“ (Der Schwarze Tod) schmückt Hannemann die wenige Seiten kurzen Kapitel und stellt schon im Schmutzblatt die gewagte Behauptung auf; „Das Buch ist aus Zauberpapier, das sich nach dem dritten Verleihen selbst auflöst.“ Das wäre ziemlich schade.
Vorsicht: Der Genuss dieses Buches kann süchtig machen! Eine zeitnahe Verfilmung zur Linderung der Entzugserscheinungen ist angeraten.
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Uli Hannemann, Hipster wird’s nicht, der Neuköllnroman, 320 Seiten, kartoniert, Berlin Verlag, März 2014, ISBN: 978-3-8333-0954-0, € 9,99 [D], € 10,30 [A], sFr 14,9