„Das Töten eines Tieres ist Teil unseres menschlichen Lebens“, sagt der alte Herr mit Hut auf dem Kopf, Brille auf der Nase und Hörgerät im Ohr als illustrer Hauptdarsteller des Films von Betram Verhaag, der über „seine symbiotische Landwirtschaft und sein Schlachtfesthaus“ reden will. Doch der Massenmetzger spricht anfangs über das Schlachten nicht als Fest sondern als Opferhandlung.
Er, der in den USA studierte, um zu lernen, was die Zukunft bringt, „krempelte“ die Familienmetzgerei komplett um, nachdem er sah, daß der Fordismus in den Stockyards von Chicago auch in der Massentierhaltung und Metzgerei Einzug gehalten hatte. Genormte Einzelhandlungen von Vereinzelten, die wie Chaplin am Zeiteisen hängen wie Abhängige an der Nadel. Entfremdete Menschen in stupider Lohnarbeitssklaverei am Schwein. Scheiße für beide Kreaturen. Töten im Takt des Zeigers als Tätigkeit. Das sah Schweisfurth seinerzeit nicht sondern war verblendet, begeistert und brachte die im Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten gesammelten Erfahrungen heim nach Westdeutschland. Die größte Fleisch- und Wurstfabrik Europas lies er aufbauen. Aus einem Handwerk wurde Fabrikation.
Nach 35 Jahren voller Erfolge verkauft der Kapitalist Schweisfurth sein Imperium und kauft das Gut Hermannsdorf, um daraus ein ökologisches Unternehmen zu schaffen, der auch wirtschaftlich zu betreiben ist. Dort, unweit von München, inszeniert der heute 80-jährige Metzgermeister seine Schlachtefeste. Ein Schwein wird getötet. Menschen schauen zu. Das Schwein wird wie beim Barbier rasiert. „Das Schlachtfest war so wichtig wie Weihnachten und Ostern“, erklärt er, während das Schwein geschlachtet wird. Der Metzger kauft heute das Fleisch beim Großhändler zu.
Schweine seien Feinschmecker, meint Schweisfurth, sie würden sich zuerst die besten Gräser suchen und dann den Rest aus zwei Dutzend Pflanzen, die auf der Weide wachsen, fressen. Herrlich anzusehen sind die Wiesen und Weiden zudem, die nicht Mono- sondern Polykulturen sind und Insekten, Schmetterlinge und Vögel anziehen wie Frohnaturen aus der Stadt. Wenn die Schweine die Erde aufwühlen würden, dann würden sie diese fressen, denn die Erde sei „zur Hälfte Lebendiges“, lebendiges Eiweiß, erzählt Schweisfurth.
Das, was die Schweine und Hühner bekommen, sei für Gesundheit und Wohlbefinden der Tiere. Im Sommer werde dennoch etwas zugefüttert, im Winter natürlich mehr. Brot, das in den Müll geworfen werden würde, wird, das zeigt Verhaag, bei Schnee den Tieren zugeworfen. Richtig, die Schweine sind nicht voller Antibiotika und im Stall sondern auch im Winter draußen, wenn sie wollen. Die Tiere können sich jedoch in einen mit frischem Stroh ausgelegten Stall aufhalten, sehen wir und wissen, besser könnten sie es kaum haben.
Schnitt zurück zum Schlachtfest. Das Innere wird herausgeholt und auf den Tisch gelegt zum ansehen und anfassen. „So sieht es auch bei uns drin aus“, hören wir Schweisfurth berichten, der erklärt, daß der Mensch dem Schwein sehr ähnlich sei. Wenig später erläutert der zur Besinnung gekommene Metzger die Symbiose zwischen den Hühnern und den Schweinen. Der Weise gibt sein Wissen weiter. Wunderbar wie er vermittelt, daß die Schweine den Hühnern die Erde aufreißen, damit diese besser suchen, finden und picken können, während das Federvieh den Vierbeinern die Parasiten von der Haut holen.
Der Metzger, der einerseits demütig staunen kann vor dem Wunder der Natur, das er begriffen zu haben scheint, und andererseits gerne das beste Fleisch, die besten Schinken und die besten Würste produzieren möchte, gibt noch einen Tipp: Das beste Fleisch eines Schweines kommt vom Kopf. Anders gesagt: Das feine Filet ist was für die reichen Dummen.
„Es ist klar, daß diese Form der Tierhaltung teurer ist und mehr Fläche brauchen“. Diese Art und Weise ist teurer und der Preis höher. Wenn Tiere zu lange an einer Stelle sind, wird der Boden müde. Krankheiten könnten kommen und deswegen wechseln die Tiere die Weide. Weil in dem Moment, in dem das Tier getötet wird, der Verwesungsprozeß beginnt, muß das Tier warm und schnell zerlegt werden, damit das Fleisch gesund und nahrhaft bleibt. Bratwurst, Leberwurst und Blutwurst seien bei der Hausschlachtung die Grundwürste, hören wir und wenig später, wie die Würste im Fett der heißen Pfanne brutzeln. Bei Akkordeon- und Blasmusik essen die Gäste des Gutshofes Bratwurst, die auch ohne Curry und Ketchup schmeckt.
Er, dem dem Tier gnädige Gutsherr, hält die ganze Fleischwirtschaft für total kaputt. Das Schweine-System, wie ich es nenne, mit den unbeschreiblichen Großschlachthöfen sei am Ende, wie er sagt. Der Rüssel ist und bleibt das Beste vom Schwein.
DENKmal Film, Betram Verhaag und seinem Team ist eine gelungene Dokumentation gelungen, die fast ohne Sprecher und Kommentar auskommt. Ohne gute Regie, Kamera und Schnitt ist sowas schlechterdings unmöglich. Hinzu kommt mit Karl-Ludwig Schweisfurth ein nahezu perfekter Protagonist. Mit mehr Geld für die Produktion hätte Verhaag auf Fotos verzichten können. Gebt dem Mann ein Budget, denn er scheint was zu können.
WELTEXPRESS meint: ansehen und anders einkaufen. Wer die Möglichkeit hat, in München zu sein, sollte einen Abstecher auf das Gut Hermannsdorf, wo der Boden bearbeitet und bewahrt wird, wo verschiedene Arten zum gegenseitigen Nutzen und Wohlbefinden miteinander leben, bis sie getötet, geschlachtet, zerlegt und zu Nahrungsmitteln, schmackhaften Leckereien verarbeitet werden. Fahren sie hin, feiern sie mit, essen sie mit.
* * *
Titel: Ehrfurcht vor dem Leben
Untertitel: Lasst uns über das Töten reden
Genre: Dokumentation
Regie: Bertram Verhaag
Kamera: Geradl Fritzen, Sebastian Felsch und Pauli Hien
Hauptdarsteller: Karl-Ludwig Schweisfurth und seine Schweine
Länge: 35 Minuten
Produktion: DENKmal Film
Post-Produktion: Michael Sänger Film
Schnitt: Stefan Frank
Website: www.DENKmal-Film.com