Aber Barbara Stang war auch dabei, weshalb wir sie befragten – Serie: Eröffnung der Ausstellung: „Photographien von Gisela Getty und Jutta Winkelmann aus drei Jahrzehnten“ in Bensheim/Bergstraße und zwei Bücher zum Thema (Teil 2/2)

Während noch geredet wird, spinnen wir im Kopf diese Geschichte weiter. Zwar ist der Taxifahrer befragt worden, aber niemand wußte nichts und alle wußten ganz und gar nichts. Deshalb, so sinnen wir, wird eines Tages ein junges Bursche oben auf dem Speicher der Oma oder Uroma eine dicke Mappe finden, mit lauter Bilder von halbnackten und sogar ganz nackten Frauen, von vielen Blumen und bunten Tüchern und von soviel prallem Leben, daß er neidisch wird auf diese Zeit, die er doch immer für altmodisch und von gestern gehalten hat”¦

Tatsächlich schaut man sich auf diesem Hintergrund, der also nur für die Fotos vor 1975 gilt, diese noch genauer an. Und vor einem Bild bleiben wir länger stehen, weil es einem so natürlich vorkommt, als könne es gar nicht anders sein. Da kommen auf einer südlichen Straße – das sieht man an dem Haus im Hintergrund und den Strüppbäumen weiter weg – zwei fröhliche Frauen einem entgegen. Die eine hat ein dunkelrotes Tuch um die Hüften geschlungen, die andere trägt einen langen weiten, leicht lilastichigen Rock. Diese schaut mit verwuschelten Haaren direkt in die Kamera und zeigt uns so, wie angenehm und frei sie sich fühlt mit nacktem Oberkörper.

Tatsächlich werden Männer wohl nie begreifen können, welche Freiheitsgefühle das für Frauen, für manche Frauen, bringt. Die andere lacht vor sich hin und wedelt mit einem weinroten Tuch, das ihre Arme bedeckt und von daher den Oberkörper besonders nackt präsentiert. Man sieht aber auch, daß die beiden – wir sind im katholischen Italien1973, wo so etwas absolut verboten war – nicht immer barbusig sein konnten, denn die Bikinispuren sind deutlich. Was man erst für einen Benzinkanister hielt, den die Rechte in der Hand hält – was durch den VW im Hintergrund wohl zusätzlich assoziiert wurde – entpuppt sich als gelbe Tasche, wo wohl die Sachen beider drinnen sind, denn barfüßig gehen sie des Weges.

Hinzu tritt Barbara Stang aus Berlin, der von den Rednern als ’Managerin` der Ausstellung gedankt wurde. "Welches ist Ihre Lieblingsbild?" fragen wir sogleich. Sie schaut sich kurz um und zeigt auf genau dies Foto, das Claudio Abate 1973 in Rom gelang. „Warum“? Sie lacht: „Dieses Bild zeigt Nacktheit in einer so wohltuenden Unbefangenheit, wie sie prägend das Lebensgefühl dieser Frauen in den frühen Siebziger Jahren verkörperte. Sie, Gisela und Jutta, atmen in ihre Körper in einer liebevollen Selbstvergessenheit. Diese Aufnahme, in denen das (italienische) Licht mit den Farben spielt, zeigt das Glück, auf der Welt zu sein, wie die beiden es zu dieser Zeit empfanden. "Sterntaler" nannten sie sich selbst – meines Erachtens eine sehr passende Bezeichnung."

Wir nutzten die Gelegenheit und fragten Barbara Stang gleich weiter: „Wie sind Sie die Managerin der Foto-Ausstellungsreise geworden?“ Und schon waren wir mitten im Interview:

Barbara Stang: „2008 wurde in Frankfurt am Main der Verlag weissbooks.com von Rainer Weiss und Anya Schutzbach gegründet; im ersten Programm erschien der Titel des Autorentrios Gisela Getty/ Jutta Winkelmann/ Jamal Tuschick" Die Zwillinge oder Vom Versuch Geist und Geld zu küssen". Rainer Weiss hatte mir die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für das Programm anvertraut – ich hatte mich gerade im Bereich der Verlags- und Autoren-PR selbständig gemacht. So lernte ich Gisela und Jutta (The Twins) kennen, dazu Jamal Tuschick, der den beiden "Traumfrauen der 70er Jahre" beim Verfassen des Buches mit schriftstellerischer Könnerschaft half. Dabei mußte er mehr als einen "Zwillings-Streit" aushalten – erzählte er schmunzelnd.

Das Buch wurde ausführlich in den Medien besprochen, im stern, in Brigitte Woman, in der Welt am Sonntag und, und, und. Schon damals gab es die Idee, darüberhinaus einen Bildband – zweisprachig deutsch-englisch – zu erstellen und zu publizieren. 2010 war es dann soweit: der von München gerade nach Berlin umgezogene Verlag Blumenbar nahm den repräsentativen Photoband in sein Programm – und die Planung einer Ausstellung begann. In dieser Zeit fragten mich Gisela und Jutta, zu denen ich seit der ersten Zusammenarbeit immer wieder Kontakt gehabt hatte, ob ich nicht als eine Art "Impressaria" – der Begriff gefällt mir eigentlich besser als Managerin – die Verantwortung für die Logistik der Ausstellung übernehmen wolle, dazu auch gezielte Pressearbeit für die Vernissage und alle Folge-Präsentationen.

Und so begannen wir im Frühjahr 2010 mit einer wunderbaren, von viel Prominenz besuchten Eröffnung in der Galerie im Café EINSTEIN (Unter den Linden) in Berlin; danach wanderten die 60 großformatigen Photographien nach München, später nach Köln, zur Photokina – dort wurden sie im Rahmen der "visualgallery at photokina" gezeigt -, und jetzt nach Bensheim, unweit Mannheims. An dieser Stelle möchte ich den Dank seitens Christoph Breitwieser, der die Ausstellung hier im Bensheimer Museum kuratierte, zurückgeben und für die vorzügliche Kooperation selber danken!"

Wir fanden das dann doch interessanter, als weiter über die Bilder zu schreiben, die Sie zudem im Fotoband in prächtiger Aufmachung sehen können. Zu kurz kommt das Buch, das beide mit Hilfe von Jamal Tuschick über ihr Leben schrieben, auf 391 enggedruckten Seiten, mit einem einzigen Bild von den Zwillingen und Paul Getty, den Gisela heiratete. Zuvor war er, der Enkel des damals reichsten Manns der Welt, entführt worden, was die Entführer nach vielen Wochen mit dem Abschneiden seines Ohrs beweisen wollten. Das alles liest sich wie von einem anderen Stern, das Hippieleben mit Rauschmitteln und einer Haltung, daß das Morgen schon bringen werde, was man brauche, dann Kinder, die woanders aufwachsen, das Kennenlernen der damaligen Politprominenz und der Showwelt.

Dieses alles wird mit einer solchen Selbstverständlichkeit erzählt, daß man immer wieder staunend den Atem anhält und denkt: „Gut ausgegangen für die beiden.“ Aber auch: „Ob die überhaupt gewußt haben, was sie tun?“ Und so wird der Leser überrascht von einer Ahnungslosigkeit, Arglosigkeit und Naivität des Schreibpersonals dem ’normalen` Leben gegenüber, was entweder gezielt ein Kunstmittel dieses „Romans“ ist oder eine doch sehr auf die eigene Person bezogene Weltordnung, hier eine Zwillingsweltordnung in absoluter Selbstbezogenheit. Interessant ist es allemal, zu gucken, wie unglücklich und chaotisch es in der Welt der Berühmten und Reichen zugeht und wie die Schmidtschwestern gemeinsam, aber auf je eigenen Wegen ihren eigenen Pfad durch dies Gestrüpp finden. Sehr einsichtig ist der gesamte Anfang mit der Darstellung der kleinbürgerlichen Welt der Eltern in Kassel, die nicht nur als Einengung und Formierung begriffen wurde, sondern die auch eine war. Allerdings nicht nur in Kassel, sondern in der gesamten Bundesrepublik, die man für die Fünfziger Jahre als Adenauerrepublik gar nicht engstirnig genug beschreiben kann. Meinen wir.

*** 

Info:

Die Ausstellung wird auch noch in den Deichtorhallen in Hamburg zu sehen sein. Aber nicht jeder kann nach Bensheim oder Hamburg kommen, aber jeder kann sich den Fotoband und den Lebensbericht der Zwillinge kaufen. Es ist halt so, daß, wenn man sie kennenlernt oder ihre Fotos, das Interesse an ihren Personen noch wächst. Aber auch als Zeitdokument sind das Aufnahmen, die über die abgebildeten Dinge hinaus eine Gefühlsdimension vermitteln. Das Unbändige, das Lustvolle, das sich selber Inszenierende, aber auch selber Durchschauende, das alles finden Sie auf den Bildern, die in der Ausstellung reduziert, im Begleitbuch dann weit umfangreicher und auch mit kleinen Erläuterungen tiefer gehen können.

Fürs das Museum: Neben dem schönen Foto-Band aus dem Blumenbar Verlag, sollte man dort dringend auch das biographische Buch über ihr Leben zum Verkauf anbieten. Erst zusammen wird ein Ganzes daraus. Hier die Bilder. Dort die Texte.

The Twins, Gisela Getty & Jutta Winkelmann, Design by Walter Schönauer, Blumenbar Verlag

Gisela Getty, Jutta Winkelmann, Jamal Tuschick, Die Zwillinge oder Vom Versuch Geist und Geld zu küssen, Verlag Weissbooks, als Taschenbuch auch bei Heyne

Vorheriger ArtikelIm nächsten Jahr kommen neue Web-Domains
Nächster ArtikelKiew versichert: Alle Fußball-EM-Objekte stehen rechtzeitig bereit