Zu jener Zeit war die Wirtschaftskrise erst im Anrollen, aber auch die folgenden Eruptionen konnten die Verantwortlichen nicht beirren. Schritt für Schritt begannen sie ihr Projekt zu realisieren: Im Dezember 2009 wurde der Planungswettbewerb europaweit ausgeschrieben, im Juni 2010 wählte eine Jury die vier besten Entwürfe aus (WELTEXPRESS vom 24. Dezember 2009 und vom 27. Juli 2010). Am 5. August schließlich entschieden die Stadtverordneten, den Auftrag für das Projekt dem Architektenbüro Max Dudler zu erteilen. Auf dieser Grundlage arbeitete Frank Steffen mit Hochdruck den Förderantrag für das EU-Projekt Interreg IV aus, den er am 8. Oktober fristgerecht in deutscher und polnischer Sprache einreichte. Das ist erst Phase 3 auf dem langen Weg bis zum fertigen Bau, aber ein Grund zum Aufatmen. Der Entscheidungsprozess kann seinen Lauf nehmen. Im Februar 2011 rechnen die Beeskower mit einer Entscheidung.
Über den Stand der Dinge informierte jetzt der Bürgermeister die Presse. Der Erfolg hat viele Väter, sagt der Volksmund. Er ist noch nicht eingetreten, aber die erwarteten guten Aussichten animierten hochrangige Landespolitiker, in der Pressekonferenz aufzutreten. Helmuth Markov, Finanzminister des Landes Brandenburg (Die Linke), André Schmitz, Kulturstaatssekretär des Berliner Senats (SPD) und die Berliner Sozialsenatorin a.D., Heidi Knake-Werner (Die Linke). Die CDU repräsentierte Ilona Weser. Gastgeber und Moderator war Thomas Nord, Landesvorsitzender der Linkspartei in Brandenburg, Mitglied des Deutschen Bundestages. Eine Parteienkoalition im Dienste des Kunstarchivs Beeskow, oder, wie Nord es nannte, ein »überparteilicher Lobbytermin«. Politikerversprechen werden oft gebrochen, das weiß jeder. Aus Erfahrung weiß man aber auch, dass Politiker, wenn sie etwas nicht wollen, gar nicht erst hingehen und bestenfalls nichtautorisierte Mitarbeiter schicken.
Den Kern der Statements kann der Beobachter so charakterisieren: Allen ist bewusst, dass das Kunstarchiv Beeskow – eine einmalige Einrichtung der Länder Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zur Bewahrung von Werken der bildenden Kunst der DDR – ein neues, dem technischen Standard der Zeit entsprechendes Depot braucht. Tilman Schladebach beschrieb den Ernst der Lage. Trotz aller Anstrengungen der Mitarbeiter leiden die Bilder im alten Depot. Eine Restaurierung ist in den vorhandenen Räumen nicht möglich. Ihre künftige fachgerechte Lagerung ist unausweichlich. Das neue Gebäude bietet die Möglichkeit, neben den 23 000 Kunstwerken Beeskows auch die 15 000 Werke der Artothek der Sozialen Künstlerförderung (West) Berlins endgültig unterzubringen. Nachdem der Berliner Senat im Januar 2008 unter der Ägide der Senatorin Knake-Werner die erste gemeinsame Ausstellung von Bildern des Kunstarchivs Beeskow und der Sozialen Künstlerförderung unter dem Titel »LebensMittelKunst« in Berlin abgesagt hatte, hat er offenbar einen Schwenk vollzogen. Ganz im eigenen Interesse, denn nach der Streichung der Mittel im Jahre 2004 hingen die Bestände der Sozialen Künstlerförderung in der Luft. Als Willensbekundung des Senats wertete André Schmitz den im Juni geschlossenen Kooperationsvertrag über die ständige Präsentation von 100 Bildern aus Beeskow im Schloß Biesdorf nach dessen Restaurierung. Das wird ein Standbein des Kunstarchivs in Berlin sein.
Das zweite Grundmotiv war die Sorge um die Finanzierung des Neubaus. Logischerweise waren aller Augen auf den Finanzminister gerichtet. Doch der Reihe nach. Bürgermeister Steffen: Die geplanten Kosten des Neubaus betragen 10 Millionen Euro. Noch nicht abgeschlossen ist die Planung der Kosten der Ausstattung, der archäologischen Untersuchungen und des Denkmalschutzes. Ein Unsicherheitsfaktor, begründet durch die Vorverlegung der Antragsfrist beim EU-Förderausschuss. Für diese Kostenfaktoren müssen spezielle Fonds erschlossen werden. Aus dem Förderprogramm Interreg IV können bis 85 Prozent der Kosten des Baukörpers gewährt werden. Die restlichen 15 Prozent will die Stadt selbst aufbringen. Wird die Förderung nicht bewilligt, stirbt das Projekt. Werden Abstriche gemacht, wird die Stadt Wege für den Ausgleich suchen. Das sind Risiken zur Genüge, doch in der Diskussion über Für und Wider zeigte sich Steffen als erfahrener Kommunalpolitiker, der die Schliche kennt, wie man Mittel nach Struktur und Zeitleiste geschickt disponiert. Vielsagend war die Erklärung Markovs, das Land könne den Neubau nicht direkt finanzieren, aber auf Umwegen sei eine Hilfe möglich. Etwas vage. Steffen glaubt jedoch im Gespräch mit dem Autor, im Zweifelsfalle werde das Land seine Stadt nicht im Stich lassen. Und Nord als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter wird das Seine tun, das größte Kulturprojekt seines Wahlkreises nicht scheitern zu lassen.
Die Kosten der laufenden Unterhaltung sind von Brandenburg und Berlin zugesagt einschließlich 100 000 Euro für die Werke der Sozialen Künstlerförderung. Ob das für einen Neubau mit der mehr als doppelten Nutzfläche ausreicht, darf bezweifelt werden, zumal hier im Bestand richtig wissenschaftlich gearbeitet werden kann. Auch Restaurierung im notwendigen Umfang ist erst im Neubau möglich. Ilona Weser ist jedoch zuversichtlich, dass unter den neuen Bedingungen auch Forschungsmittel eingeworben werden können. Spürbar ist bereits jetzt: die künftigen neuen Arbeitsbedingungen motivieren die Mitarbeiter zu neuem Schwung.
Viel hängt jetzt ab von der Bewilligung der EU-Mittel in den ersten Monaten des kommenden Jahres, denn das Auslaufen des Interreg-Programms Ende 2013 verlangt eine straffe Baudurchführung.
Nicht genannt wurden die Aufwendungen für den obligatorischen EU-Partner, das polnische Museum Lubuskie in Gorzow. Eine intensive Kooperation in Ausstellung und Forschung ist vereinbart. Auch Gorzow plant eine Modernisierung seines Depots.
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Erstveröffentlichung in »Neues Deutschland« vom 1. November 2010.