Die Kürzungen bedeuten jedoch nicht, daß London sich von seiner interventionistischen Strategie ab- und einer friedfertigen Zukunft zugewandt hat. Auch weiterhin soll es Angriffskriege geben, nur in kleinerem Maßstab. Laut neuem Budget muß das britische Militär trotz geringerer Finanzausstattung weiterhin fähig sein, jederzeit drei militärische Besatzungen gleichzeitig zu bewältigen. So soll für die Okkupation eines Landes im besten Fall eine Brigade von 6500 Soldaten für unbegrenzte Zeit zur Verfügung stehen (derzeit sind allein in Afghanistan 10000 Briten stationiert). Gleichzeitig müssen zwei Interventionen mit geringerer Truppenstärke möglich sein. Zeitlich begrenzt wird mit insgesamt sogar 30000 Soldaten für Besatzungsdienste kalkuliert.
Während des Wahlkampfs im Frühjahr hatte sich Cameron noch engagiert für ein militärisch starkes Großbritannien eingesetzt, das in alter imperialer Tradition fern der Heimat große Kriege führen kann. Nun scheinen Wirtschaftskrise, horrende Staatsschulden und die Realität der leeren Kassen ihn und seine Strategen auf den Boden der Tatsachen geholt zu haben. Die Regierung aus Konservativen und Liberalen hat sogar »heilige Kühe« der Streitkräfte geschlachtet, ein Vorgehen, das noch vor kurzem undenkbar gewesen wäre. Bemerkenswert ist, daß London auf warnende Stimmen aus Washington keine Rücksicht nahm. So unglaublich es erscheinen mag, die jahrhundertealte Rolle Großbritanniens als einer der großen Aggressornationen der Welt scheint sich dem Ende zuzuneigen, ausgerechnet nachdem ein außenpolitischer Falke neuer Premierminister wurde.
Die längst überfällige Beschneidung der britischen Kapazitäten, militärisch in fernen Regionen zu agieren, beruht allerdings nicht auf Einsicht und neuer Friedfertigkeit der Regierenden, sondern schlicht auf der Unmöglichkeit, die imperialen Ambitionen noch zu finanzieren. Analoges gilt auch für andere: Demnächst schon könnte die katastrophale Haushaltslage die Hyperimperialisten in Washington auf den gleichen Pfad zwingen. In diesem Fall würden die antiimperialistischen Kräfte am meisten von der Krise in der »entwickelten« Welt profitieren.
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Anmerkung:
Dieser Artikel von Rainer Rupp wurde am 22.01.2010 in der jungen Welt auf Seite 8 erstveröffentlicht.