Was ist Wahrheit, was ist Lüge? Im Leben von Stiller sind diese beiden Punkte schwer auseinander zu halten. Insofern kann der Leser getrost erst mal von einer relativen Märchenstunde ausgehen, wenn er Stillers Kladde zu Hand nimmt. Die SZ hat sich anlässlich der Buchvorstellung vor Wochen schon ein bissel über Stiller lustig gemacht. Stiller ist in der Rangliste der Wendepromis ziemlich weit nach hinten gerutscht, da ändert auch eine ungewollt ironisch-halbkonspirative Buchvorstellung mit knackiger Mietze nichts dran.
Doch wider Erwarten erweisen sich große Teile des Buches als richtig lesbar, besonders die Kapitel seiner hanebüchenen Flucht und die Biederkeit, ja Hilflosigkeit des BND erstaunt (und macht fast ein bissel Angst, wenn man an die richtig bösen Gegner wie Osama denkt).
Wie tickt ein Agent wirklich? Wie arbeiten Geheimdienste? Wie bewältigt er die Monate des Wartens, wie kommt er in der Höhle des Wolfes an geheime Informationen? Wie gelingt es ihm, seine Familie und seine Arbeitskollegen zu belügen und für seine Vorhaben auszunutzen? Welche Gedanken und Gefühle bewegen einen Menschen in extremen Situationen? Diesen Fragen stellt Stiller nach und findet mitunter lesenswerte Ansätze einer Antwort, beweist temporäre Nachdenklichkeit.
Bissel viel Aufmerksamkeit gibt Stiller leider seiner Frauengeschichten im Buch. Das nervt und sagt viel über seine Lebensmotivation. Auch, dass er angeblich mal das ganz große Geld bei fiesen Investmentbanken verdient hat, bekommen wir fast mit Kontoauszug geliefert. Über seine vermutete Verschwörungstheorie zwischen der Hauptabteilung Aufklärung und dem Mossad ganz zu schweigen. Das ist ziemlich verhuscht und wirft ein graues Licht. Er ist ein Besserwisser alter Schule, als junge Frau sollte man in seiner Gegenwart schnell den nächsten Baum als Fluchtpunkt wählen.
Die Jahre von 1984-2010 handelt er auf wenigen Seiten ab. So richtig erfahren wir nicht, was er da so getrieben hat. Nur der Nachname einer seiner Frauen (Corleone”¦.) wird breit gewalzt. Doll wird’s nicht gewesen sein. Spannend ist sein Leben nur bis zum Übertritt in die BRD. Danach große graue Suppe, Einerlei.
Mit Abstrichen lesenswert.
Der Agent: Mein Leben in drei Geheimdiensten, Werner Stiller, Ch. Links Verlag 2010, 256 Seiten, 19,90 Euro