Berlin, Deutschland (Weltexpress). Am Pfingstsonntag öffnet im Klein-Mühlingen, ein Dorf in der Magdeburger Börde, pünktlich um 10 Uhr das Friedensfahrt-Museum. Wer will, kann sich dort auch einen Kurzfilm vom Friedensfahrer-Treffen am vergangenen Himmelfahrtstag anschauen. Da versammelten sich nämlich ehemalige Friedensfahrer, um an die große, einstige, humanistisch geprägte Drei-Länder-Tour zu erinnern. Zum Abschluss ihres Traditionstreffens ließen die einstigen Rennfahrer 18 Friedenstauben zur Untermauerung ihrer Sehnsucht nach Frieden in den Himmel steigen. Dazu halten die Töne eine Fanfare durch den Ort, die einst Millionen Menschen mit dem Ruf an die Straßen trieb „Die Friedensfahrer kommen“.
Vor genau 70 Jahren rollte zum ersten Mal das Friedensfahrt-Peloton über deutsche Straßen von Warschau über Berlin nach Prag. Horst Schäfer hatte als Leiter des Friedenfahrt-Museums zum Traditions-Treff eingeladen. 18 ehemalige Friedensfahrer und mit Be Huizing aus Holland auch ein ehemaliger Betreuer kamen, um mit einigen Hundert Fans das Jubiläum zu begehen. „Wir wollen mit unserem Treffen auch zeigen, dass wir auf unseren Straßen in Deutschland viel lieber Radrennfahrer sehen als Panzer“, hielt der zweimalige Friedensfahrtsieger und Ex-Weltmeister Gustav Adolf Schur mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Die 18 Friedenstauben waren aus den Händen ehemaliger Friedensfahrer wie Donald Allen aus Australien, Tarek Aboul Zahab aus Lybien oder den Friedensfahrtsiegern Täve Schur (1955, 1959), Axel Peschel (1968) und Hans-Joachim Hartnick (1976) sowie den weiteren Radstar wie dem Weltmeistern Dr. Thomas Huschke (74) und Andreas Petermann in die Wolken geflogen.
Alte Berliner werden sich an den Spruch „Husch, Husch die Waldfee“ erinnern, mit dem Thomas Huschkes Opa und die Onkel und bei „Rund um Berlin“ angefeuert wurden… Mit 91 Jahren hielt beim Jubiläums-Treffen Gustav-Adolf Schur den Alters-Rekord. Munter wie immer berichtete er uns von seiner letzten Etappentour: „Wir waren im Mai mit einer Radtour auf Rügen unterwegs und haben dabei Geld für krebskranke Kinder gesammelt. Wir sind stolz, denn 1,5 Millionen Euro sind zusammen gekommen.“ Nach kurzem Schweigen fügte Täve noch hinzu: „Aber was sind schon 1,5 Millionen gegen die Milliarden, die für Waffen ausgegeben werden.“
Horst Schäfer freute sich auch über einen Brief von Alexander Awerin. Der Friedensfahrtsieger von 1978 aus Baku bedauerte zutiefst, dass er nicht an dem wichtigen Traditionstreffen teilnehmen kann. Er betont besonders, dass er sich nach Frieden sehne, um sich im nächsten Jahr wieder mit seinen Sportkameraden in Klein-Mühlingen treffen zu können.
Der Gubener Günter Hoffmann stieg für den ASK Leipzig in die Pedale und drückte fünfmal den Rennsattel bei den Friedensfahrten. 1964 stand er neben dem Sieger Jan Smolik aus der damaligen CSSR als Zweiter und seinem Mannschaftskameraden, dem Dritten, Dieter Wiedemann, auf dem Siegerpodest. Sicher war es Zufall, dass die beiden auch am Himmelfahrtstag in Klein-Mühlingen nebeneinander die weißen Tauben nach oben mit dem Wunsch nach Frieden schickten. Unter die Friedensfahrer hatte sich mit Elisabeth Eichholz (82) auch eine Frau gemischt. Sie fühlt sich zum Radsport hingezogen, schließlich hechelte sie 1965 als erste Deutsche in San Sebastian zu einem WM-Sieg im Straßenradsport.
Der Cottbuser Hans-Joachim Hartnick vermittelt mit 67 Jahren und der sportlichen Figur den Eindruck als könne er aufs Rad steigen und die nächste Friedensfahrt-Etappe unter die Räder nehmen. Er denkt übrigens nicht an Rente: „Ich arbeite in Forst an einer Schule für behinderte Kinder. Da werde ich gebraucht.“
So denkt auch Andreas Petermann, der nächste Woche seinen 65. Geburtstag begeht. Petermann wohnt in Zwenkau und ist als Lehrer an einer Förderschule in Grimma tätig. Die 37 Kilometer fahre ich jeden Tag hin und zurück mit dem Rad. Das hält mich fit.“ Verschiedene Fans fragten den einstige „Giganten der Landstraße“ beim Treff am Donnerstag immer wieder nach der Schlussetappe 1983 von Tabor nach Prag. „Das war komisch. Ich musste beim Start in Tabor noch etwas an meinem Schuh richten und fuhr dadurch als Letzter los. ‚Als Letzter gestartet und als Erster im Ziel‘, rief mir ein Kampfrichter vom Motorrad aus zu.“ Er sollte Recht behalten. Nach 27 Kilometern zog Andreas los, strampelte 100 Kilometer allein, kassierte unterwegs alle Prämien und die Bergwertungspunkte und gewann die Schluss-Etappe der 36. Friedensfahrt. Er sicherte damit den Gesamtsieg für Falk Boden (Frankfurt/Oder) und den Sieg in der Mannschaftswertung.
Wenn Hans–Joachim Hartnick an seinen Sieg 1976 denkt, reibt er sich jetzt noch Hände und Oberschenkel: „Ich denke wir sind damals von Tatra Lomnica nach Krakow die härteste Friedensfahrt-Etappe aller Zeiten gefahren“, sagt Hartnick und erzählt: „Am Start schien die Sonne. Aber bereits zehn Kilometer weiter, hinter der Tatra-Wetterscheide, brach die Hölle los. Erst peitschte uns eiskalter Regen ins Gesicht, danach wird jeder Meter nicht nur wegen der Kälte zur Qual. Die Straßen waren durch den Schnee auch tückisch glatt. 21 Fahrer gaben auf.“ Auch die beiden Russen Nikolai Gorelow und Sergej Morosow wollten zitternd und entnervt aufgeben, aber UdSSR-Trainer Wikotor Kapitonow hielt die Autotüren geschlossen. Am Ende kamen beide am Ziel in Berlin an und sicherten der UdSSR den Mannschaftstriumph. Daran erinnerte sich auch noch Rainer Rechenberger, der in Klein-Mühlingen durchs Programm führte und einst als Streckensprecher für heiße Infos sorgte.
Im eleganten Zwirn tauchte Dieter Voigtländer beim Traditionstreffen auf. Der Chemnitzer trat 1970 und 1971 beim „Course de la Paix“ in die Pedale. Bei verschiedenen Rundfahrten gewann er Etappen. Der Aufstieg in die Elite glückte dem Chemnitzer erst im Anschluss seiner aktiven Karriere. Nach einem Studium mit dem Abschluss einen Diplom-Ingenieurs für Anlagenbau in Zwickau stieg Dieter Voigtländer ins Berufsleben ein. Seit Jahren führt er nun schon als Geschäftsführer die Hörmann-Firma für Industrie-Technik in Chemnitz mit 2 500 Mitarbeitern. „Langsam muss ich aber aufhören, immerhin bin ich 77“, sagt der einstige Rad-Held und seine Worte hören sich nicht so an, als ob er es wirklich ernst meint.
Den Eindruck scheint auch Dieters ehemaliger Mannschaftskamerad Siegfried Huster gewonnen zu haben. Der einstige Kletterkönig und mehrmalige DDR-Straßenradmeister sieht das wohl ähnlich. Huster schult seine Kletterqualitäten immer noch, wie er stolz sagt: „Ich bin jetzt sechsmal beim Großglockner-Rennen mit gefahren. Jetzt mache ich Pause und trainiere für das nächste Jahr. Da werde ich 80 und will noch einmal beim Großglockner-Rennen antreten.“
80, da kann Rolf Töpfer nur lachen. Der einstige Friedensfahrer wird in diesem Jahr 90 wohnt in Neuglobsow und sitzt noch jeden Tag auf dem Rennrad. „Nicht weit von meiner Wohnung ist der Stechlin-See. Ich denke, es ist der schönste See Deutschlands. Mit unserer herrlichen Luft hole ich mir die Kondition für meine Radtouren.“
Detlef Zabel legt noch einen drauf. Er verhalf als Edelhelfer Täve Schur 1955 zu seinem ersten Friedensfahrtsieg und fuhr selbst noch als Neunter unter die Top-Ten. Opa Zabel verfolgt auch jetzt mit 89 Jahren von Berlin-Marzahn aus noch aufmerksam den Straßen-Radsport in allem Facetten. Erst mit Blick auf seinen Sohn Erik (51) als Tour-de-France-Held (sechsmal das Sprintrikot) und jetzt auf Enkel Rick (28) beim aktuellen Giro, wo Rik für das Team Israel Start up Nation startet. „Ich hoffen, dass Rick am Sonntag in Verona gut ins Ziel kommt. Er fühlt sich in seinem Team sehr wohl und das ist wichtig.“
Ein Anruf traf am Donnerstag aus Bulgarien ein. Am Telefon war Olaf Ludwig (38 Tagessiege bei der FF). „Olaf ist Mitglied in unserem Traditions-Verein. Er wünschte uns einen guten Verlauf unseres Treffens nach zwei Jahren Corona-Pause. Er ist gerade gemeinsam mit Ex-Friedenfahrer Michael Schiffner (73) in Bulgarien unterwegs. Sie betreuen dort Radtouristen“, erklärt Organisator Horst Schäfer, um sofort von Fans wieder mit Fragen bestürmt zu werden.