Gestern eröffnete das MMK seine Herbsausstellungen – Serie: „The Lucid Evidence“ und „Not in Fashion“ sind zwei Foto-Ausstellungen im MMK in Frankfurt am Main (Teil 3/3)

Kunst oder Mode? Poesie und eine schöne Hüfte. Cris Moor, Tal, 1997

Das Tortenstück, wie die Frankfurter ihr MMK nennen, war so voll wie die Londoner U-Bahn zu Stoßzeiten. Alle waren sie da, die Frankfurter Galeristinnen und Galeristen, die Vertreter der Auktionshäuser, aktuelle und ehemalige Leiter der hiesigen Kunstinstitutionen, die Dozenten der Kunsthochschulen und sogar vier Klone von Andy Warhol mit mittlerweile grau angestaubten Perücken. Sie alle mischten sich unter eine Vielzahl anwesender Künstler.

Kunst, Mode und Fotografie sind originäre Auseinandersetzungen für ein Museum der Gegenwartskunst, sagte Kulturdezernent Felix Semmelroth. Wieder einmal zeige Frankfurt seine internationale Strahlkraft, nicht um sich darin gegen jemanden abzusetzen, sondern um die Werke zu zeigen, und damit die Diskussion auszulösen. In den 1990ern wurde eine „Sweet Revolution“ ausgelöst, in der Leben, Kunst und Mode zusammenflossen und eine neue, einflussreiche Bewegung entstand. Kurze, aber für das Eröffnungspublikum sehr schmeichelnde Worte fand Herbert Beck, ehemaliger Städeldirektor, der in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain als Festredner geladen war.    Zusammen mit den Schätzen, die sich im Historischen Museum, dem Städel, der DZ-Bank, der Börse, in den vielen Privatsammlungen und anderen Institutionen befänden, sei Frankfurt, das werde die Ausstellung zeigen, nicht nur was die Fotografie anbelange, aber auch da, der Nabel der Welt. Die Kulturfonds unterstützten zusammen mit der Kulturstiftung des Bundes die Ausstellung mit hohen Beträgen, um „der Region noch mehr zu geben, als sie ohnehin schon hat“.

Als Dritte sprach Susanne Gaensheimer, seit Januar 2009 Direktorin des Hauses. Erstaunt sei sie, als sie im Laufe der Vorbereitungen für die Ausstellungen erfahren habe, wie wenige Frankfurterinnen und Frankfurter wissen, welche Foto-Schätze hier gelagert seien. Allein von Nobuyoshi Araki besitzt das Haus über 180 Werke und 250 Künstlerbücher, und sie seien nicht pornographisch beteuert sie. Den Einträgen ins Gästebuch zufolge muss hier wohl noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Das Haus zeigt zwei Ausstellungen, die sich ergänzen. Auf der ersten und zweiten Ebene Fotografien aus der Sammlung, beginnend mit Larry Clark, den Gaensheimer einen der Wichtigsten im letzten Jahrhundert nennt. Seine Fotostrecken aus den 1970ern sind sehr hart und provokativ und hatten in den USA eine hohe Sprengkraft. Der Bogen spannt sich über Fotografien von Jeff Wall und Thomas Ruff, Jock Sturges zu Ryuji Miyamoto und weiteren. Bettina Rheims’ Reihe „Chambre Close“ aus den 1990er, die Alice Schwarzer damals wutschnaubend als sexistisch anprangerte, leitet über in die im oberen Geschoß befindliche Ausstellung „Not in Fashion“.

Dort, in der Ausstellung zur Mode und Fotografie der 90er Jahre haben die Künstler ihre Werke selbst gehängt, was zu einem sehr inspirierenden Ergebnis geführt hat. Mark Borthwick hat noch bis kurz vor der Eröffnung immer wieder neue Hängungen versucht, einige der Fotografien, die mit doppelseitigem Klebeband direkt an die Wand gehängt wurden halten daher nur an einer Ecke. Erleichtert zeigt Borthwick sich, als er, mit einem Weinglas in der Hand in seinem Raum steht. Die einzige die ihre Arbeiten nicht selbst hängen konnte, ist die leider im August verstorbene Corinne Day. Sie war es, die Kate Moss entdeckte, als sie das damals fünfzehnjährige Mädchen für das Cover der Zeitschrift „The Face“ ablichtete, und so eine Ikone erfand. Erstmals zu sehen eine Fotostrecke von Juergen Teller, die er 1996 ursprünglich für das SZ-Magazin mit dem Titel „Mode und Moral“ schoss: sie zeigt die „Supermodels“ nackter als nackt, jenseits der Hochglanz(mode)welt und erlaubte einen Blick hinter den Kulissen. Heute wissen wir um die Probleme von Erfolgsdruck bis Magersucht, damals aber waren sie nicht bekannt und wurden auch nicht diskutiert. Wir sehen Bilder von Cris Moor, Anders Edström, Jasons Evans, Nigel Shafran und anderen.

Das MMK hat eine der weltweitgrößten größten Sammlungen an Gegenwartsfotografie, und dies kann man jetzt in geballter Ladung auch sehen. Im gesamten Haus hängen 800 Fotografien, die alle irgendwie mit Menschen und Mode zu tun haben. Inhaltlich unterscheiden sich die Fotografien wenig. Es sind die Augenblicke, Stimmungen, Blickwinkel und die Geschichten, die uns erzählt werden, die für Vielfalt sorgen. Für Abwechslung sorgt auch die Materialität. Es finden sich Fotos als Tintenstrahl-Ausdruck, mit und ohne Rahmen, auf Dibond und in Acryl. Das MMK zeigt, wie Fotografie unseren Blick auf die Mode und wie Mode unseren Blick auf die Fotografie veränderte.

Ein Besuch beider Ausstellungen lohnt sich unbedingt, sie bieten erstmals einen breiten Überblick über die Szene. Viele der Bilder waren noch nie außerhalb der Magazine zu sehen. Noch um halb elf suchten Spätgekommene vergeblich um Einlass. Sie seien getröstet: die Ausstellungen laufen noch bis zum 9. Januar respektive 25. April 2011.

* * *

Sonderausstellung: bis 9. Januar 2011

Sammlungsausstellung: bis 25. April 2011

Die vielen Veranstaltungen zur Sonderausstellung entnehmen sie bitte der Webseite.

Katalog: THE LUCID EVIDENCE. Fotografie aus der Sammlung, hrsg. von Susanne Gaensheimer und Mario Kramer, Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg 2010

Man könnte befürchten, dass der eine oder andere potentielle Besucher, den gewaltigen Katalogklotz kauft, aber den Besuch gleich lässt, nach Hause fährt, Urlaub nimmt und nun genügend Zeit hat, sich mit den Fotografien und Texten zu beschäftigen, die eines auszeichnet, dass man – wenn man genug hat – , den Klotz beiseite legt und wieder aufschlägt, wenn sie das Hirn durch andere Medien oder ein wenig Luft erholt hat. Tatsächlich ist ein Museum, das von oben bis unten voller Fotografien hängt, in der Rezeptionsmöglichkeit sehr einseitig, weil eine Ermüdung – Augen sowie Geist – eintritt, die durch die Gleichform des Mediums, nicht durch die Fotos selbst evoziert wird. Mit einem Wort: kaufen Sie den Klotz. Mit einem weiteren Wort: gehen Sie trotzdem hin. (Claudia Schulmerich)

Katalog: NOT IN FASHION. Mode und Fotografie der 90er Jahre, hrsg. von Susanne Gaensheimer und Sophie von Olfers, Kerber Verlag 2010

Während die Ausstellung nach Künstlern ’geordnet` ist, ein herkömmliches Prinzip bei Ausstellungen, sucht man dieses im Katalog vergeblich, flucht auch erst mal, wenn man ein bestimmtes Bild nicht findet, entdeckt dann, dass hier die ’Ordnung` der Bilder chronologisch erfolgt, also die Jahr ab 1990 kontinuierlich zeigen, was einen völlig anderen Blick ergibt, wird also zunehmend begeisterter für diese Präsentation und findet am Schluss, man müsste mit dem Katalog in der Hand durch die Ausstellung wandern und die Bilder in den Künstlerräumen dann noch einmal auf ihren Zeitbezug mit anderen Fotografen überprüfen. Beim ewigen Suchen nach Bildern fiel dann ein didaktischer Trick auf: durch das unentwegte Blättern sah man auf einmal Bilder, die man noch nie sah, obwohl man doch gerade in der Ausstellung war. Das ist immer so. Die Aufmerksamkeit nimmt ab, aber sie nimmt wieder zu, wenn der Kontext, wie hier, ein anderer ist. Sehr zu empfehlen also. (Claudia Schulmerich)

Internet: www.mmk-frankfurt.de

Vorheriger ArtikelDas Sein und der Schein in der Fotografie – Serie: „The Lucid Evidence“ und „Not in Fashion“ zeigen zwei Foto-Ausstellungen im MMK in Frankfurt am Main (Teil 2/3)
Nächster ArtikelSänger Eddie Fisher mit 82 Jahren verstorben – Heaven was never like this: Fünfziger-Jahre-Ikone Eddie Fisher stirbt am 22. September