Die Schiffsbegrüßungsanlage in Schulau verabschiedet den Frachter stilvoll: mit Flaggendippen, Hamburger Hammonia Hymne und der Marseilleise. Da überläuft auch deutsche Rücken ein leiser Schauer. Bis die Klänge im Westwind verwehen, der die Trikolore stolz knattern lässt. Lotsenwechsel vor Brunsbüttel mit Einblicken in den Nord-Ostsee-Kanal. Der Seelotse erscheint auf der Brücke hanseatisch vornehm in dunklem Anzug mit Weste. Spontan entfährt ihm die Bemerkung: „Auf dieses Schiff wollte ich immer schon mal!“, und staunt ehrlich über den Kommandostand: „Ist das ein hypermodernes Design, passt irgendwie auch zur Ladung!“
Um 21 Uhr, sechs Stunden nach dem Auslaufen, ist das neue Lotsenstationsschiff, der Katamaran „Elbe“, querab. „Tschüß und gute Reise!“, verabschiedet sich der Lotse mit Handschlag. Ein paar Minuten später steigt er auf das kleine gelbe Versetzboot an der knapp über dem Wasser liegenden Seitenpforte. Über die Wellen tänzelnd und torkelnd nimmt es Kurs auf das weiß-rote Mutterschiff, das weithin sichtbar in den Farben der Lotsenflagge H gehalten ist. Der Felsklotz Helgoland grüßt an Steuerbord im ockerfarbenen Abendlicht, vor dem sich ein paar zu Anker liegende und wartende Frachter als Schattenrisse abzeichnen.
Blinde Passagiere
„City of Hamburg“ dampft mit knapp 18 Knoten und Kurs 270 Grad auf dem Verkehrstrennungsgebiet „Deutsche Bucht“ genau nach Westen. Zunehmend drücken Wind und Wellen gegen die Backbordflanke. Der Frachter spielt Großsegler und legt sich nachgebend auf die Seite. Die Ingenieure Nicolas Bricout und seinen Kollegen Philippe Briand ficht das nicht an. Ihnen unterstehen zwei Mal 4000 Pferdestärken, das Diesel-Doppelherz der „Hamburg“. „Obwohl wir mit vier Meter sechzig nur wenig Tiefgang haben“, erklärt der schwarzgelockte Südfranzose Bricout, „macht uns Seegang wenig aus“. Schließlich habe das Schiff Stabilisatoren wie ein Kreuzfahrtschiff. Für Ballast-Ausgleich und ruhige Lage sorgen maximal 2040 Tonnen Flüssigkeiten in den Boden- und Seitentanks: See-, Frisch- und Technikwasser sowie Treibstoff. „Von Letzterem verbrauchen die deutschen Maschinen nur 16 Tonnen pro Tag“, ergänzt der Bretone Philippe, „wenn wir mit sechzigprozentiger Auslastung fahren
Absturzdrama auf dem Bootsdeck: Verzweifelt strampelt ein Maikäfer in Rückenlage und versucht mit ausgebreiteten Flügeln zu starten. Anscheinend ist dem Krabbeltier beim kräftezehrenden Überflugversuch der Nordsee die Puste ausgegangen. Erste müde Kletterversuche unternimmt der putzige Käfer ausgerechnet auf dem A 380-Tischmodell im Besprechungsraum. Wie aus Solidarität hat sich auf dem Rettungsboot ein erschöpftes Taubenpärchen niedergelassen. Unterm Strich sind das drei „Blinde Passagiere“ an Bord. Flugkünste hingegen demonstriert die „Pollution Control“, ein Ölüberwachungsflugzeug vom Typ Do 228 der Deutschen Marine. Im Tiefflug kurvt es dröhnend über die „Hamburg“ und dreht dann in Richtung Cuxhaven ab zu seiner Basis Nordholz.
Commandant-Kapitän Dupré de Boulois indes bleibt auf dem Teppich. Statt Flugübungen steht, wie jeden Samstag, eine Dienstbesprechung mit seiner Crew an. Heute direkt vor der heimatlichen Küste. Dazu werden echte Crèpes mit Karamel-Creme und Sahne serviert. Von Kadettin Justine Choirat mit kundiger Hand hauchzart zubereitet. Auch einer zukünftigen französischen Kapitänin kann das nicht schaden.
Haarsträubende Geschichte
Es brist zunehmend auf, vierkant von vorn, Regenböen waschen die Brückenscheiben und die Wellenkämme schäumen. „Typisch mal wieder“, brummt Chiefofficer Padellec, hier Capitaine genannt – weil er wie auch der Commandant das entsprechende Patent hat -, beim Blick auf die graue Einheitssuppe aus See und Himmel, „englisches Wetter!“ Der Mann aus der bretonischen Hafenstadt Lorient fuhr zwanzig Jahre in der Fischerei, „hauptsächlich Biskaya und Irische See, das war extrem hart, besonders im Winter“. Hier sei das dagegen wie Zuckerschlecken.
Das meint auch der philippinische Matrose Gaudencio Martinez. Während der abendlichen Acht-Zwölf-Wache berichtet er emotionslos von seiner sechsjährigen Arktis- und Antarktisfahrtzeit auf koreanischen Fischtrawlern. Zu Sechst hausten sie in einer eiskalten, engen, muffigen und ständig nach Fisch stinkenden Kammer. Es gab nur eine Dusche für 30 Mann und daher ständig Aggressionen. Bis zu einem Jahr waren die Männer ununterbrochen an Bord, unter widrigsten Wetter- und Sozialbedingungen. Den Job konnte der Familienvater nicht ablehnen, „sonst hätte mich die Crewing-Agentur nie wieder genommen“, sagt er. Ausbeutung pur. „Hier verdiene ich mehr und lebe viel besser“, ist der kleine, drahtige Mann zufrieden. Der Bericht schnürt einem die Kehle zu. Selbst der sonst so gesprächige Wachoffizier Loic ist für ein paar Augenblicke sprachlos. Bis die englische Küstenwache mit ihren Funkanfragen an durchfahrende Schiffe nach dem Woher, Wohin und der Ladung die eingetretene Brückenstille durchbricht.
Am Westausgang des Englischen Kanals empfängt der Atlantik das rund 34 Meter hoch über die Wasserlinie aufragende Schiff mit waagerecht peitschendem Regen und heran rollendem Schwell. Bei jedem Eintauchen in ein langgestrecktes Tal erzittert der Rumpf. So lernen die Flugzeugteile im Laderaum wenigstens einmal die „Freuden“ der Seefahrt kennen.
Dennoch: Das sonntägliche Menü mit Steak, Pommes frites samt üppigem, sahnegekröhnten Eis-Dessert genießen alle ausgiebig. Zum Abendessen auch den monströsen „Hamburger“. Doch in den Schlaf findet keiner so recht. „Dank“ rapider Sichtverschlechterung. Alle zwei Minuten dröhnt das Nebelhorn einmal lang. Bis Kaffeeduft-Schwaden durch die Klimaanlage kriechen und die Nacht endgültig gelaufen ist.
Grünes Paradies
Seit sieben Uhr ist der französische Lotse an Bord. Der Rudergänger steuert jetzt nach seinen Gradangaben mit der Hand. „City of Hamburg“ stemmt sich der braunen Loire entgegen. Vor Saint-Nazaire wird der mit 1030 Kilometer längste Fluss Frankreichs von einer gewaltigen Brücke überspannt. Ameisengleich kriecht über sie der stockende morgendliche Berufsverkehr. An Backbord ein weißer Riese auf der Werft: der Neubau „NCL Eclipse“, mit 155.000 Tonnen das größte je dort gebaute Kreuzfahrtschiff. Beim Anlegen hilft die feine Rolls-Royce-Technik des Bugstrahlruders. Commandant Dupré de Boulois schaltet erleichtert die Navigationsgeräte ab, als sein Schiff pünktlich um acht Uhr dreißig festgemacht ist. 910 Seemeilen hat es von der Elbe an die Loire unter den Kiel genommen.
Der romantische Teil des wegen seiner zahlreichen Schlösser viel besungenen Loire-Tals fängt oberhalb von der Halbmillionen-Stadt Nantes an, rund 30 Seemeilen weiter flussaufwärts. Wir sind angekommen im Département Loire Atlantique, dem „Paradis vert“ oder zu Deutsch „grünen Paradies“, wie ein Magazin getitelt hat. Bis zum Abend soll die Ladung komplettiert sein: mit weiteren Flugzeugteilen aus dem in Sichtweite liegenden Airbus-Werk von Saint-Nazaire und dem von Nantes. Endhafen ist Pauillac an der Garonne nördlich von Bordeaux. „Dort gedeiht auch der beste Rotwein“, ist Kenner Dupré de Boulois überzeugt. Für die Airbus-Logistiker kommt der edle Tropfen erst in Frage, wenn die beiden nächsten aufwändigen Transportschritte bewältigt sind: per Binnenschiff und LKW zum Werk in Toulouse.
Zurück nach Deutschland geht es im Stundensprung – mit Airbussen: A 320 und als Steigerung 321. Als der sich in den Himmel von Paris erhebt, lässt er den brandneuen A 380-800-Riesenvogel am Boden schrumpfen. Eins ist sicher: Zur See gefahren sind sie alle drei schon mal, entweder mit der „City of Hamburg“ oder ihren Schwestern.
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Infos:
MS „City of Hamburg“ : Bauwerft: Singapore Technologies Marine; Bau-Nummer: BO 615; Kiellegung: 17.9.2007; Ablieferung: 4.12.2008; erstmals in der Patenstadt Hamburg: 28.1.2009; IMO-Nr.: 9383558; Länge: 126,47 m; Breite: 20,64 m; Tiefgang (max.): 5,50 m; Seitenhöhe bis Hauptdeck: 19,65 m; BRZ: 15.643; Deadweight: 3564,3 t; Typ: Ro-Ro-Vessel, High Heavy Vehicle Carrier (Klassifizierung durch Bureau Veritas); Ladefläche: 9400 qm; Maschinen: 2 x MAN B & W í 2940 kW (8000 PS); Dieselgeneratoren: 2 x (STX í 970 kW);Wellengeneratoren: 2 x LEROY í 1000 kW; Geschwindigkeit: 17,5 Knoten (Verbrauch dabei max. 36 t/Tag); Bugstrahlruder: Rolls-Royce (750 kW); Verstellpropeller: Schottel; Eigner: ANITA SNC, Bereederung: LOUIS DREYFUS ARMATEURS SAS und Hoegh, Norwegen (gemeinsam mit LDA-Logo am Schornstein), Betreiber: FRET CETAM; Charterdauer: 20 Jahre; Heimathafen: Marseille; Flagge: Frankreich; Crew: 19; Schwesterschiff: „Ciudad de Cadiz“, „Ville de Bordeaux“ (etwas größer, in China gebaut); bediente Rundreise-Häfen mit Airbus-Rumpfsektionen: Hamburg, Mostyn/Wales, Cadiz/Spanien, Saint-Nazaire, Pauillac/Frankreich; Mitfahrtanfragen bei Reederei Louis Dreyfus Armateurs: www.lda.fr
Airbus A 380-800-Superlative: 220 Kabinenfenster, 16 Türen, 22 Räder (2 Bug, 20 Hauptfahrwerk), ca. 530 km Kabel, ca. 100.000 Einzelkabel, ca. 40.300 Stecker, ca. 550 qm Teppich, 18.000 Nieten und Bolzen verbinden Rumpf und je 28 Tonnen schwere Tragflächen, rund 4 Millionen Einzelteile von 1500 Firmen aus 30 Ländern weltweit sind in der A 380 verbaut, Anmeldung von 380 Patenten im Rahmen der Entwicklung, Länge: 72,2 m, Spannweite: 79,8 m, Höhe: 24,1 m, Tragflächen: je 846 qm, Rollout: 18.1.2005, Erstflug: 27.4.2005, Sitzplätze: 526, Tankkapazität: 310 t (Verbrauch pro Passagier u. 100 km: 3,4 l), max. Startgewicht: 569 t, Reichweite: 12.000 km, Reisegeschwindigkeit: Mach 0,85, Stückpreis für das größte Passagierflugzeug der Welt: 346 Millionen Dollar.